Süddeutsche Zeitung

Deutsche Konjunktur stagniert:Angst im Wirtschafts-Wunderland

Angst lähmt den Konsum: Die Schuldenkrise verunsichert die Deutschen so sehr, dass sie Gefahr laufen, den Aufschwung abzuwürgen. Dabei ist die globale Rezession nur eine Befürchtung, nicht mehr. Vorausgesetzt, die Politik sorgt für klare Verhältnisse - und die Löhne steigen endlich stärker.

Alexander Hagelüken

Es war zu einfach: die Bundesrepublik, das Wunderland. Entsteigt ohne Schaden der härtesten Finanz- und Wirtschaftskrise seit drei Generationen. Schafft Jobs, als sei die Massenarbeitslosigkeit Historie. Wächst dieses Jahr mit einer Rate, als betreibe es eine Ökonomie mit Nachholbedarf wie China.

Die neuen Zahlen zeigen: So einfach ist es nicht. Die deutsche Volkswirtschaft stagnierte in den vergangenen Monaten nur noch, nachdem sie furios ins Jahr gestartet war. Die größte Wirtschaftsmacht der Währungsunion kann den fußkranken Rest nicht mehr allein aus dem Sumpf ziehen. Das ist noch kein Anlass für die selbst im Ausland bekannte German Angst. Nur für mehr Realismus über den bereits als neues Wirtschaftswunder gefeierten Aufschwung.

Wichtige Faktoren für die deutsche Konjunktur bleiben intakt. Unternehmen und Sozialsystem wurden in einer großen Anstrengung modernisiert, die dem Land auf den Weltmärkten noch länger eine starke Stellung sichert. Die Exportfirmen werden weiterhin vom historischen Aufstieg Chinas, Indiens oder Brasiliens profitieren.

Auch nach dem schwachen zweiten Quartal könnte die deutsche Wirtschaft dieses Jahr mit knapp drei Prozent wachsen - das wäre im Schnitt der vergangenen zwei Dekaden ein stolzer Wert. Doch natürlich kann sich gerade ein so international verflochtenes Land keinen globalen Trends entziehen, und die zeigen seit März abwärts

Das begann mit dem Atomunfall in Japan, der Asiens zweitgrößte Wirtschaft lahmlegte. Es setzte sich mit der schwachen Nachfrage aus Euro-Staaten fort, die unter Sparprogrammen ächzen. Und es gipfelt in der Einsicht, dass die weltweit größte Volkswirtschaft Amerika schwächelt - mit maroder Industrie, einem Schuldenberg und einer politischen Klasse im ideologischem Grabenkampf.

Sobald Industriestaaten Schwäche zeigen, betrifft es den Exporteur Deutschland. Wenn die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten tatsächlich in die Knie gehen sollte, wird es ganz schwierig. Die Europäische Zentralbank sollte darauf reagieren und ihre Zinsen vorerst nicht weiter erhöhen.

Die Einkommen stagnieren schon zu lange

Aber die Angst vor dem globalen Abschwung ist bisher nur eine Befürchtung, nicht mehr. Bemerkenswert ist, dass einige Facetten der deutschen Konjunktur nach wie vor gut aussehen. Die Exporte florierten, die Firmen investierten. Auffällig schwach fiel dagegen der Konsum aus. Obwohl die Unternehmen Stellen schaffen und erstmals seit längerem hohe Löhne zahlen, hielten sich die Deutschen zurück. Sie kauften nicht, obwohl sie das Geld dafür hatten. Das weist auf zwei Schwächen hin, um die sich die Politik kümmern muss.

Zum einen stagnieren die Einkommen vieler Deutscher schon zu lange. Für Menschen mit wenig Qualifikationen ist die Arbeitswelt unsicher und die Arbeit schlecht bezahlt. Und auch viele aus der Mittelschicht, die keine begehrten Spezialisten sind, können sich kaum mehr leisten als vor einigen Jahren. Die Deutschen werden nur mehr konsumieren, wenn nicht nur die Gewinne der Firmen steigen, sondern auch ihre Löhne.

Zum Zweiten sind viele Bürger völlig verunsichert. Erst sollen sie als Steuerzahler mit riesigen Rettungspaketen die Eskapaden der Finanzbranche ausbügeln, nun die Misswirtschaft einiger Euro-Länder ausgleichen. Die Rechnung dafür, das ist ihnen klar, werden auf Dauer höhere Abgaben oder eine höhere Inflation sein - das erzwingen die gigantischen Schulden aller Industriestaaten.

Bei dieser Perspektive konsumiert es sich ungern. Es ist eher die Zeit für die Bargeld-Reserve auf der Bank, das eilig erworbene Eigenheim oder die Goldbarren im Tresor. Je schneller Europas Politiker die Unsicherheit über den Euro reduzieren, desto eher werden sich die Deutschen wieder an der Ladenkasse zeigen. Noch aber ist es so, dass die Spekulanten die Regierungschefs vor sich hertreiben.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2011/lom
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