Deutsche Firmen in Ägypten:Nichts geht mehr

Traders work at the Egyptian stock exchange in Cairo

Die Unruhen in Ägypten schaden der Wirtschaft: Die Börse gab um 2,5 Prozent nach, vor der Schließung am Donnerstag hatte sie schon zwei Prozent verloren. 

(Foto: REUTERS)

Die Ausschreitungen in Ägypten treffen auch deutsche Konzerne wie Thyssen-Krupp und BASF: Sie schließen Büros und Fabriken in dem Land. Dort öffnete am Sonntag zwar wieder die Börse, doch solange das Blutvergießen anhält, kommt kein Investor.

Von Markus Balser und Kirsten Bialdiga

Die schweren Unruhen in Ägypten treffen nicht nur deutsche Reiseveranstalter - auch Industrieunternehmen leiden unter den Folgen. Die Zentralen der Konzerne in Deutschland sorgen sich um die Mitarbeiter ihrer Repräsentanzen. Sie schließen Büros, viele raten den Beschäftigten, ihr Haus nicht zu verlassen.

Die deutsch-arabische Industrie- und Handelskammer hat ihre Büros in Kairo und Alexandria dicht gemacht. Ägypten droht nach Einschätzung von Experten ein wirtschaftlicher Rückschlag durch die Unruhen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befürchtet vor allem bei anhaltender Instabilität Konsequenzen. "Die deutschen Unternehmen werfen derzeit nicht das Handtuch", sagt DIHK-Außenhandelsexperte Felix Neugart. Es gebe bisher keine Pläne für einen kompletten Rückzug.

Ägypten zählt zu den wichtigsten Handelspartnern deutscher Firmen im arabischen Raum. Deutschland exportiert jährlich Güter im Wert von 2,4 Milliarden Euro nach Ägypten. Hinter Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das Land damit der drittwichtigste Abnehmer deutscher Produkte in der Region. Etwa 80 deutsche Unternehmen sind mit Vertriebs- und Produktionsstandorten in Ägypten vertreten und beschäftigten dort rund 24.000 Mitarbeiter.

Es sei derzeit so gut wie unmöglich, noch Geschäfte im Krisenland zu machen, sagt DIHK-Mann Neugart. Es gebe keine Staatsaufträge, weil Behörden nicht entscheidungsfähig seien. Lizenz- und Genehmigungsverfahren lägen auf Eis. Vor allem aber würden dringend benötigte Investoren abgeschreckt. Zu den großen deutschen Investoren zählt etwa der Öl- und Gasförderer RWE Dea.

Man beobachte die Lage genau, sagte ein Sprecher. "Wir sind vorbereitet, falls es notwendig wird, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen." Konzerne, die in Ägypten vertreten sind, stellen ihren Mitarbeitern zurzeit in vielen Fällen frei, ob sie ihren Arbeitsplatz aufsuchen oder zu Hause bleiben wollen. Beim Markenartikelkonzern Henkel galt dies nach Angaben eines Sprechers am Freitag allerdings bisher nur für die Beschäftigten in Kairo. Eine Waschmittelproduktion im entfernter gelegenen Port Said hält der Düsseldorfer Konzern bisher noch aufrecht. Insgesamt beschäftigt Henkel in Ägypten 800 Mitarbeiter.

"Die Sicherheit der Mitarbeiter hat oberste Priorität"

Der Autozulieferer Leoni, mit drei Werken und 4500 Mitarbeitern einer der größten deutschen Arbeitgeber in Ägypten, hielt seine Produktion bereits am Mittwochnachmittag an. Am Donnerstag stellte er von Drei- auf Zwei-Schicht-Betrieb um. Der Chemiekonzern BASF schloss am Donnerstag Büros und Fabriken. Am Sonntag teilte er mit, diese seien wieder in Betrieb. BASF ist in Ägypten seit rund 60 Jahren aktiv und produziert in Sadat City Bauchemikalien. Zudem gibt es Büros in Kairo und Alexandria. Insgesamt beschäftigt der Konzern rund 100 Menschen in dem Land, ausschließlich Einheimische.

Der Chemiekonzern Bayer forderte seine rund 190 Beschäftigten in Kairo auf, von zu Hause zu arbeiten. Die beiden Büros seien geschlossen, sagte ein Unternehmenssprecher. Auch die immerhin 1000 Beschäftigten von Thyssen-Krupp in Ägypten haben die Vorgabe, in ihren Häusern zu bleiben. Für einige Regionen Ägyptens hat der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern dem Vernehmen nach intern ein Reiseverbot erteilt. "Die Sicherheit der Mitarbeiter hat oberste Priorität", teilte Thyssen-Krupp mit. Die Essener sind in Ägypten mit einem Ingenieurbüro der Anlagenbau-Tochter Uhde vertreten und mit Vertriebsbüros der Aufzugssparte.

Der Handelskonzern Metro schloss vorübergehend seine Zentrale in Kairo, außerdem zwei Märkte in der Hauptstadt. Mancher Konzern hat nur ein paar Mitarbeiter vor Ort - trotzdem ist man besorgt. Beim Automobilzulieferer Schaeffler sind es drei Beschäftigte in einer Repräsentanz in Kairo. "Wir stehen in ständigem Kontakt zu den Mitarbeitern", sagt eine Sprecherin. Unmittelbar betroffen seien die Beschäftigten nicht, sie arbeiteten derzeit "den Umständen entsprechend" weiter.

Der schwedische Hausgerätehersteller Electrolux, die Mutter von AEG, verlängerte am Sonntag seinen Produktionsstopp in dem arabischen Land. Die Arbeit in den Betrieben werde erst wieder aufgenommen, wenn sich die Sicherheitslage stabilisiere. Mit rund 7000 Mitarbeitern ist Electrolux einer der größten ausländischen Konzerne in Ägypten. Der Autohersteller GM ließ seine Bänder wieder anfahren.

Am Sonntag öffneten wieder Banken und Börsen. Das Wochenende ist dort am Freitag und Samstag. Die Börse gab um 2,5 Prozent nach, vor der Schließung am Donnerstag hatte sie schon zwei Prozent verloren. Solange das Blutvergießen auf der Straße anhalte, werde kein Ausländer in dem Land investieren, sagte ein Händler.

Am Freitag hatten deutsche Reisekonzerne vorerst alle Reisen in das Land gestrichen. Tui, Thomas Cook, Der Touristik und Alltours sagten sämtliche Urlaubsreisen in das Land bis einschließlich 15. September ab. Air Berlin nimmt keine Neubuchungen für Flüge nach Ägypten mehr an, fliegt aber weiterhin in die Badeorte am Roten Meer. Mit den Annullierungen reagieren die Unternehmen auf die neue Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, das von Reisen in das Land abrät.

Infobox Ägypten
Wie das Militär die Wirtschaft beherrscht

Die Armee hält in Ägypten die Zügel in der Hand - auch in der Wirtschaft. In dem nach Südafrika zweitgrößten Industrieland Afrikas ist bereits unter der Herrschaft von Ex-Machthaber Husni Mubarak ein Firmengeflecht entstanden. Ob im Tourismus, am Bau, in der Erdölwirtschaft, im Gesundheitsweisen oder in der Rüstungsindustrie - überall mischen die Generäle mit. "Das Militär ist der wirtschaftliche Machtfaktor in Ägypten", lautet das Fazit der Wissenschaftler vom Deutschen Orient-Institut (DOI). 

Mubaraks Vorgänger Anwar al-Sadat legte mit dem Friedensvertrag von Camp David Ende der 1970er-Jahre den Grundstein für das mächtige Wirtschaftsimperium der Armee: Die Truppenstärke des Militärs wurde drastisch reduziert, die Soldaten sollten aber nicht auf der Straße landen. In der Folge investierte das Verteidigungsministerium in den Tourismus und andere Sparten. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht. Entsprechend vage sind Schätzungen über die Größe des vom Militär beherrschten Sektors.

DOI-Direktor Gunter Mulack geht davon aus, dass rund ein Drittel des Wirtschaftsaufkommens in Ägypten direkt oder indirekt von der Armee kontrolliert wird. Die Streitkräfte besitzen demnach mindestens 30 Großbetriebe. Dort werden neben militärischen Produkten auch vermehrt zivile Güter hergestellt. Nach Angaben seines Instituts nahmen die Militärs im Jahr 2009 aus dem Verkauf ziviler Güter rund 300 Millionen Dollar ein. Hohe Offiziere sitzen nach ihrem Militärdienst zudem an der Spitze von großen Staatsunternehmen und verdienen sich so mehr als ein Zubrot zu ihrer Pension. "Der Begriff der 'Vetternwirtschaft' ist hier nicht ganz unangebracht", konstatiert die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing (GTAI). Dass die Militärs besonders im Tourismus Kasse machen, hänge mit dem Friedensvertrag mit Israel zusammen.

Militärische Sperrzonen auf dem Sinai und am Roten Meer wurden danach frei zur zivilen Nutzung: Durch die Verpachtung von Land an Hotelbetreiber konnten die Streitkräfte eine sprudelnde Einnahmequelle im Wüstensand erschließen. Flughäfen wie der in Hurghada waren Militärflugplätze. Auch weil die Armee an den Touristen mitverdiene, wolle sie stabile Verhältnisse: "Sie hat ein Interesse daran, dass die Ruhe in den Urlauberhochburgen nicht gestört wird", sagte Mulack. 

Reuters

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