Deutsche Börse:Der Rücktritt des Börsenchefs wurde unausweichlich

Carsten Kengeter an der Börse

Carsten Kengeter kam als Hoffnungsträger zur Deutschen Börse.

(Foto: AP)
  • Börsenchef Carsten Kengeter ist zurückgetreten. Der einstige Hoffnungsträger steht im Verdacht des Insiderhandels.
  • Lange versuchte er, die Affäre zu überstehen. Doch zuletzt forderten zu viele Kritiker einen Wechsel an der Spitze des Unternehmens.
  • Offen ist, wer Kengeter zum Jahreswechsel nachfolgt.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Für Eschborner Verhältnisse war Carsten Kengeter ein stürmischer Typ, genau richtig, dachten damals viele Kollegen in der Zentrale der Deutschen Börse westlich von Frankfurt. Endlich ein Neuer an der Spitze, nach zehn Jahren, einer aus London, der sich auf dem Parkett der Hochfinanz so gekonnt bewegt wie nur wenige. Einer mit Ideen, ein Zupacker, der zügig andere Firmen übernimmt und den Konzern fit macht für die Zukunft, in der Börsen mehr denn je Technologiekonzerne sein müssen. Aber Kengeter wollte zu viel auf einmal, schon als er im Juni 2015 den Chefposten übernahm. Mehrere Male scheiterte er krachend, stets hielt er dem öffentlichen Druck stand, andere wären längst weg gewesen.

Aber jetzt gibt er auf. Weil zu viel falsch gelaufen ist. Und weil er sich zu viele Feinde gemacht hat, die einer in seiner Rolle unbedingt als Freunde braucht.

Am frühen Donnerstagnachmittag traf sich der Aufsichtsrat der Deutschen Börse zu einer außerordentlichen Sitzung, es sollte um Kengeters Zukunft gehen. Die Lage war erdrückend. Wichtige Investoren hatten die Ablösung verlangt und das in drastische Worte gepackt. Der Betriebsrat hatte, ohne einen Namen zu nennen, den "Reputationsschaden" für das Unternehmen beklagt. Aufsichtsratschef Joachim Faber hatte bemerkt, dass er selbst ein ziemlich großes Problem hat, selbst auf der Kapitalseite im Kontrollgremium rumorte es. So verging nicht viel Zeit, bis die Börse in knappen Sätzen Kengeters Rücktritt verkündete. Um die Gesellschaft "nicht weiter Belastungen durch das laufende Ermittlungsverfahren auszusetzen".

Das nicht enden wollende Ermittlungsverfahren. Es nahm seinen Ursprung in einem Aktiengeschäft, das auch ohne den ungeheuren Verdacht des Insiderhandels fragwürdig war. Kaum hatte Kengeter bei der Börse angefangen, zimmerte ihm der Aufsichtsrat schon einen komplexen Sonderbonus zurecht: Der Manager kaufte für 4,5 Millionen Euro Aktien der Börse und bekam virtuelle Anteilsscheine im gleichen Wert, deren Entwicklung von seiner Leistung abhängt. Rechnerisch höchstmögliche Auszahlung: 38 Millionen Euro. Taktisch äußerst unkluger Zeitpunkt des Geschäfts: Mitte Dezember 2015.

Durchsuchung im Februar

Gute zwei Monate später sickerte die Nachricht durch, Kengeter arbeite an einer Fusion mit dem Londoner Konkurrenten LSE. Im Wettbewerb der großen Handelsplätze ist Größe entscheidend, am Ende gewinnt am meisten, wer die meisten Marktteilnehmer auf seiner Plattform weiß. Das Projekt war wirtschaftlich sinnvoll. Die Aktien beider Konzerne stiegen, die Details aber machten misstrauisch.

Kurz darauf gehen zwei Anzeigen ein, eine von einem Privatanleger, eine anonym. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, lässt sich aber Zeit. Anfang Februar 2017 durchsuchen die Ermittler Büros der Börse und Kengeters Privaträume, die Sache wird öffentlich: Börsen-Chef unter Insiderhandels-Verdacht. Entweder, Kengeter war mit seinem Aktienkauf nicht vorsichtig genug, oder er hatte das Ganze bewusst in Kauf genommen. Egal, wie: ziemlich peinlich. Dann platzt die Fusion, Kengeter hat die Brexit-Entscheidung falsch eingeschätzt, die LSE möchte nicht mehr. Fortan tritt er nur noch selten auf, schweigt zu den Vorwürfen, lässt seine Anwälte mit den Strafverfolgern verhandeln. Die Behörden nahmen ihn ins Visier: Die Finanzaufsicht Bafin, offenkundig verärgert, prüfte die Zuverlässigkeit des Börsenchefs - eine Prüfung, die sie nun nicht mehr fortsetzt.

Ermittlungen gehen weiter

Aber Kengeter bleibt, mit Fabers Rückendeckung, muss in der Zeitung lesen, wie sich die Belegschaft gegen ihn wendet, hofft auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft, dem das Amtsgericht zustimmen muss: Einstellung gegen Auflage von 500 000 Euro, zwei Bußgelder für das Unternehmen über 10,5 Millionen Euro. Aber das Gericht spielt nicht mit, lehnt die Abmachung ab, die Ermittlungen gehen weiter, die Investoren verlieren die Geduld und Carsten Kengeter seine Zuversicht.

Ausgestanden wird die Angelegenheit für ihn jetzt nicht sein. Zwar will die Bafin ihre Untersuchung nicht mehr fortsetzen, aber die Frankfurter Staatsanwälte werden weiter ermitteln. Noch ist offen, ob sie irgendwann Anklage erheben oder die Ermittlungen einfach mangels Beweisen einstellen.

Offen blieb am Donnerstag auch, wer nach dem Jahreswechsel auf Kengeter folgt. Chefaufseher Faber hat noch keinen externen Nachfolger suchen lassen, als Übergangslösung wird Finanzchef Gregor Pottmeyer gehandelt. Eines steht fest: Das Kapitel Kengeter wird in 66 Tagen enden. Und man wird sich noch lange von diesem Mann erzählen, der als Überflieger gekommen ist und als geläuterter Tatverdächtiger geht.

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