Deutsche Börse:Bis er einfach weg ist

Deutsche Boerse AG Chief Executive Officer Carsten Kengeter Interview

Börsenchef Carsten Kengeter ist noch da, aber am Donnerstag könnte der Aufsichtsrat seinen Rauswurf beschließen.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wider Erwarten weiter gegen Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter. Es sieht nicht gut aus für den Manager.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Carsten Kengeter hat oft genug seine Ausdauer bewiesen, um selbst jetzt noch durchzuhalten. Er lief über Schweizer Berge, bei den härtesten alpinen Marathons, er steuerte das Investmentbanking der UBS durch eine von Skandalen durchzogene Finanzkrise, und trotz verfehlter Ziele und monatelanger Ermittlungen wegen Insiderhandels blieb er in diesem Jahr an der Spitze der Deutschen Börse. Stets in der Hoffnung, die Geschichte werde gut ausgehen. Damit kann er spätestens jetzt nicht mehr rechnen. Denn die Zeit läuft ab, so viel Puste er auch noch hat.

Das Frankfurter Amtsgericht hat Kengeters Hoffnungen vorerst zunichte gemacht. Die zuständige Richterin lehnt den Deal ab, den die Staatsanwaltschaft mit dem Konzern und Kengeter ausgehandelt hatte: Er sollte 500 000 Euro zahlen, damit die Ermittlungen gegen ihn eingestellt werden, der Konzern Bußgeld in Höhe von insgesamt 10,5 Millionen Euro überweisen. Vor allem die Auflage für den Manager ist der Finanzaufsicht Bafin nicht hoch genug, das hatte die Behörde in einer Stellungnahme deutlich gemacht. Auch sei das öffentliche Interesse an dem Fall zu hoch, was einer Einstellung immer entgegensteht. Dieser Einschätzung schloss sich das Amtsgericht an. Für Kengeter heißt das: zurück auf Los.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun weiter, auch "im Wege der Rechtshilfe aus Großbritannien", wie eine Sprecherin mitteilte. Sie wird Dokumente sichten und Zeugen in London bei der London Stock Exchange (LSE) vernehmen, mit der Kengeter seinen Konzern verschmelzen wollte. Wochen-, vielleicht monatelange Arbeit, während derer Kengeter wieder nur mutmaßen kann, ob er ohne Gerichtsverfahren davonkommt. "Momentan ist die Sache nicht abschlussreif", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Der Insiderhandels-Verdacht besteht nach wie vor, nur zweifelsfrei beweisen, dass Kengeter sich strafbar gemacht hat, kann die Behörde nicht. Aber selbst ohne Anklage wird es für ihn knapp. Sein Vertrag läuft am letzten Tag im März aus, seinem 51. Geburtstag. Er könnte erst verlängert werden, wenn die Staatsanwaltschaft nicht mehr ermittelt.

"Er hat eine ganze Entourage, die daran arbeitet, dass er bleibt."

Zum Verhängnis wurde Kengeter ein eigens für ihn erfundener Sonderbonus: Mitte Dezember 2015 kaufte er für 4,5 Millionen Euro Aktien der Börse und erhielt dafür spezielle Anteilsscheine in gleichem Wert obendrauf. Inzwischen ist klar, wie weit damals sein Vorhaben, mit der LSE zu fusionieren, schon gediehen war. Zehn Wochen nach dem Aktienkauf wurden die detailreichen Pläne publik, die Aktienkurse beider Firmen stiegen deutlich.

Wusste Kengeter längst viel zu viel, als er kaufte?

Die Deutsche Börse hat das stets bestritten. Der Beschluss der Amtsrichterin sei überraschend gekommen, heißt es aus dem Unternehmen. Deshalb müsse man sich jetzt erst intern beraten. Eigentlich waren sie ja zuversichtlich, in den meisten Fällen gehen solche Abmachungen vor Gericht durch. Sowohl die Bafin, als auch die hessische Börsenaufsicht, die wegen der Ermittlungen Kengeters Zuverlässigkeit prüfen, seien während der Gespräche mit den Staatsanwälten über alles informiert gewesen. Offenbar wird die harte Linie der Bafin in der Deutschen Börse als Kurswechsel interpretiert.

Wenigstens sah sich der Börsen-Chef lange nicht mit einem breiten Aufstand der Investoren konfrontiert. Es gelte die Unschuldsvermutung, und solange die Zahlen stimmen, trage man den Kurs mit: Solche Sätze waren häufig zu hören von den großen Anteilseignern aus Deutschland, England und den USA. Zuletzt wurde deren Kritik an Kengeter und Aufsichtsratschef Joachim Faber aber lauter, wenngleich sich fast niemand zitieren lässt.

Spätestens am Donnerstag dürften einige endgültig ihre Geduld verlieren. Dann legt die Börse ihre Zahlen für das dritte Quartal vor. Und die werden wohl eher schlecht ausfallen, heißt es in Konzernkreisen. Manche Analysten befürchten gar, der Konzern werde seine Ziele für das Gesamtjahr verfehlen. Die Deutsche Börse wollte sich dazu nicht äußern. Nach dem ersten Halbjahr hatte das Unternehmen erklärt, weiter "das untere Ende" der Gewinnvorhersage erreichen zu können - wenn die Marktteilnehmer in der zweiten Jahreshälfte mehr auf den Plattformen der Börse handelten. Das ist aber nicht geschehen.

Die Erzählung von Kengeter als zu unrecht verdächtigtem Manager, der den Konzern auf Wachstum trimmt, hat ohnehin nie richtig funktioniert. Seit seinem Amtsantritt im Juni 2015 sind die wichtigsten Konkurrenten viel deutlicher im Marktwert gestiegen als die Deutsche Börse. Der einstige Wunschpartner LSE verzeichnete gar ein Kursplus von fast 60 Prozent, die Frankfurter weniger als halb so viel.

Große Wachstumsfantasien gibt es nicht mehr. "Er hat eine ganze Entourage, die daran arbeitet, dass er bleibt", sagt ein Konzerninsider, "diesem Ziel, ihn zu halten, wird natürlich vieles untergeordnet." Womöglich ändert sich jetzt auch dieses Ziel. Denn ebenfalls am Donnerstag tagt der Aufsichtsrat der Börse außerordentlich, um über Kengeters Zukunft zu beraten. Gut möglich, dass dem Manager doch irgendwann die Luft weg bleibt.

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