Deutsche Bier-Pioniere im Ausland:Das Ende der glorreichen Zeiten

Von Brasilien bis China: Deutsche Braumeister haben das Bier in der ganzen Welt verbreitet, darunter auch Sorten mit gewöhnungsbedürftigen Geschmacksrichtungen. Jetzt interessiert sich kaum einer mehr für die Deutschen.

Sonja Peteranderl

Der erste Einsatz von Hans-Heinz Stecker in Xi'an war gleich eine Notoperation. Die chinesische Brauerei, die der Braumeister 1987 beraten sollte, befand sich noch mitten im Bau, die Fertigstellung der Sudhaussteuerung hätte weitere vier Monate gedauert - doch das erste Bier musste fertig werden.

Der deutsche Braumeister Hans-Heinz Stecker ist in China bis heute durch das Hans-Bier präsent.

Der deutsche Braumeister Hans-Heinz Stecker ist in China bis heute durch das Hans-Bier präsent.

(Foto: Privat)

Mit Funkgeräten von der chinesischen Polizei verteilten sich der Magdeburger und sein Team auf verschiedene Stationen und funkten sich Signale wie "Wasser auf", "Rührwerk ein" oder "Schrotkasten öffnen" zu. Mal kam von der zentralen Energieversorgung kein Dampf, kein Wasser oder der Strom fiel aus. Doch trotz aller Schwierigkeiten hatten sie nach 38 Stunden drei Sude gebraut, gekühlt und mit Hefe angestellt.

Inzwischen ist der 80-Jährige 25 Mal nach China gereist, um Aufbauarbeit im Brauereiwesen zu leisten. Eine Anzeige in einer Fachzeitschrift hatte ihn kurz vor seiner Rente zu dem abenteuerlichen Job geführt: Die Chinesen suchten deutsche Experten, er sagte spontan zu.

Die Braumeister aus Deutschland haben im Ausland einen guten Ruf. Doch deutsche Bier-Pioniere wie Stecker gibt es nur noch selten. Deutschland ist nicht mehr die führende Biernation, die es einst war. In den vergangenen Jahrhunderten hatten deutsche Einwanderer das Bier und das Reinheitsgebot in die ganze Welt gebracht - mitsamt der dazugehörigen Kultur. So feiern auch Städte wie die namibische Hauptstadt Windhoek, das brasilianische Blumenau oder Kitchener in Kanada ein Oktoberfest. Das Bierfest in der nordchinesischen Stadt Qingdao zieht Millionen Besucher an, die zu Technobeats ihre Maßkrüge leeren.

Bier-Boom im Ausland

Viele bekannte Biere haben einen Migrationshintergrund, wie die beiden berühmten brasilianischen Marken Brahma und Antárctica. 1885 setzte der Wiesbadener Louis Bücher in São Paulo die ersten Antárctica-Biere an. Als Gründervater der modernen Brahma-Brauerei gilt der deutsche Kaufmann Georg Maschke, der das Unternehmen 1894 übernahm und zur Großbrauerei umbaute. Auch das bekannteste chinesische Bier Tsingtao geht auf die Germania-Brauerei zurück, die deutsche Siedler 1903, zur Zeit der kaiserlichen Handelskolonie, in der Küstenprovinz Shandong etablierten.

Inzwischen haben China und Brasilien Deutschland überholt: Weltweit wurden im vergangenen Jahr 1,8 Milliarden Hektoliter Bier gebraut - China ist mit einem Ausstoß von 423 Millionen Hektolitern die Nummer eins. Dahinter folgen die USA, Russland und Brasilien. Deutschland liegt mit etwa 100 Millionen Hektolitern nur noch auf Platz fünf. Dem Barth-Bericht 2010 zufolge ist der Bierausstoß im vergangenen Jahr in fast in allen westlichen Industrieländern zurückgegangen, in Südamerika und in Afrika legte die Produktion dagegen leicht zu. Und Asien verzeichnete sogar ein Plus von mehr als drei Prozent.

Von der Bierbegeisterung in aller Welt profitieren die in Deutschland ansässigen Brauereien kaum - nur etwa 14 Prozent des in Deutschland hergestellten Biers wird exportiert. Auch den Sprung ins Ausland haben die deutschen Brauereien verpasst. "Ende der neunziger Jahre hätte der Schwung kommen können, doch er ging in die neuen Bundesländer", sagt der Sprecher des Deutschen Brauer-Bundes. Internationale Konzerne beherrschen den Weltmarkt, die fünf größten Brauereigruppen Anheuser-Busch InBev, SAB Miller, Heineken, Carlsberg und die China Resource Brewery Ltd. teilten sich 2009 die Hälfte des Welt-Biermarktes auf.

Deutsche Winzlinge auf dem Weltmarkt

Unter den 40 größten Brauereigruppen sind mit Radeberger, Oettinger und der Bitburger Braugruppe nur drei deutsche Konzerne vertreten. Mit geringen Weltmarktanteilen von unter einem Prozent fallen die deutschen Brauer dabei kaum ins Gewicht. Zudem haben sie im Vergleich zu den Vorjahren an Plätzen verloren - ein Trend, der sich dem Barth-Bericht zufolge auch in Zukunft fortsetzen wird. Erfolg im Ausland hätten vor allem Nischenprodukte - deutsche Spezialitäten wie Schwarzbier-, Bockbier- oder Weißbiersorten, wie der Sprecher des Deutschen Brauer-Bundes sagt.

Auch die meisten Brauereien, die Deutsche im Ausland gegründet hatten, wurden nach und nach von Großkonzernen aufgekauft. Die ehemalige Germania-Brauerei heißt inzwischen Tsingtao Brewery, ist die zweitgrößte chinesische Brauereigruppe und die sechstgrößte weltweit. Die japanische Brauerei Asahi ist einer der größten Anteilseigner von Tsingtao. Brahma und Antárctica hat der international führende Braukonzern Anheuser-Busch InBev geschluckt. Die brasilianische Schincariol Gruppe kaufte vor kurzem die Eisenbahn-Brauerei in Blumenau, die Biere nach deutschem Reinheitsgebot braut. Auch die Baden-Baden-Brauerei in Campa de Jordão gehört seit 2008 zu ihr. Der deutschstämmige Braumeister Carlos Hauser hatte dort elf beliebte Premium-Biere nach deutschem Rezept gebraut - und im selben Jahr noch die Auszeichnung "European Beer Star 2008" mit nach Hause gebracht.

Schlechte Aussichten für deutsche Brauer

Die deutsche Brauweise steht für Qualität - doch deutsche Braumeister werden dafür nicht mehr unbedingt gebraucht. "Bis vor 30 Jahren waren deutsche Brauer noch auf der ganzen Welt verbreitet - jetzt ist es sehr schwierig, im Ausland unterzukommen", sagt Heinrich Vogelpohl, Fachstudienberater der weltweit renommiertesten Ausbildungsstätte für das Brauereiwesen und der einzigen, bei der die Absolventen auch einen akademischen Abschluss erhalten.

Im bayerischen Weihenstephan lassen sich derzeit 174 Studenten zum Diplom-Braumeister ausbilden, 369 machen ihren Master im Studiengang Brauwesen und Getränketechnologie - die wenigsten werden Braumeister, die meisten arbeiten später in der Zulieferindustrie. "Das Ausland ist schon lange nicht mehr wie früher auf deutsche Braumeister angewiesen", warnt Vogelpohl vor großen Illusionen. Denn ausländische Konzernbrauereien würden oft ihre eigenen Angestellten nach Weihenstephan zur Ausbildung schicken.

Die Neuen: Braumeister aus China und Südamerika

Viele der angehenden Bierbrauer stammen aus China und Lateinamerika, vor allem aus Peru, Guatemala, Venezuela, Kolumbien, manche aus Brasilien. Den Deutschen fehle die Erfahrung mit großen Konzernen, sie seien an Kleinbrauereien gewöhnt, sagt Vogelpohl. Und durch das Reinheitsgebot hätten sie keine Erfahrung mit anderen Stoffen, die in der Bierherstellung im Ausland verwendet werden. Dort wird das Bier teils aus Zutaten wie Zuckersirup oder Maisstärke, Reis, Glukosesirup oder mit chemischen Zusatzstoffe gebraut.

Die Einwanderer in Brasilien nutzten anfangs den dort verfügbaren Rohstoff Mais. Ebenso musste Hans-Heinz Stecker während seiner Zeit in China experimentieren, um deutsches Rezept und chinesischen Geschmack zu vereinen. "Sie wollten deutsches Bier - aber nicht so bitter", sagt Stecker. Statt Gerste wurde auch mit Reis gebraut, da Gerstenmalz zu teuer gewesen sei. Die Chinesen tauften das Bier und 1991 auch die Brauerei in Xi'an zum Dank auf den Vornamen des deutschen Braumeisters um - in dem sich zufällig auch die Han-Chinesen, die ethnische Mehrheit in China, wiederfinden. Das Konterfei von Stecker prangt seitdem auf dem Hans-Bier, das in verschiedenen chinesischen Provinzen vertrieben wird.

Nach der Beratung von insgesamt 30 Brauereien und Mälzereien hat Hans-Heinz Stecker China zum letzten Mal vor sechs Jahren besucht. "In China sind große Braukonsortien eingestiegen", sagt Stecker. "Die haben ihren Mercedes vor der Tür stehen und brauchen die ehrenamtliche Hilfe eines deutschen Braumeisters nicht mehr." Mit Bier hat Hans-Heinz Stecker inzwischen nur noch privat zu tun.

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