Auf gigantische acht Milliarden Euro schätzen die Fluggesellschaften weltweit ihre Kosten für das, was viele als ganz normal ansehen: Bezahlungen mit der Kreditkarte. Denn jedes Mal, wenn ein Kunde einen Flug mit der Plastikkarte zahlt, müssen die Fluglinien Gebühren an Kreditkartenfirmen und Banken abdrücken. Damit soll nun Schluss sein. Zusammen mit der Deutschen Bank testet der einflussreiche Airline-Verband IATA eine Alternative zur Kreditkarte.
Bucht der Nutzer seinen Flug im Internet, will die Deutsche Bank künftig auf sein Konto schauen, checken, ob genug Geld da ist und den offenen Betrag dann an die Airline überweisen. Bei welcher Bank der Verbraucher ist, wird egal sein. Der gezahlte Betrag wird sofort überwiesen und nicht erst am Ende des Monats abgebucht. Für den Kunden soll das bequem sein, die Airlines sparen sich die Gebühren - und die Kreditkartenfirmen gehen leer aus. Die Pilotphase beginnt bald, im ersten Quartal 2019 will man dann mit einer Lösung an den Start gehen.
Möglich macht das System eine neue EU-Regulierung, die sogenannte zweite europäische Zahlungsrichtlinie, kurz PSD2. Seit Anfang des Jahres dürfen Banken, Drittanbieter und Finanz-Start-ups auf jedes Konto zugreifen, egal bei welcher Bank es liegt, Finanzdaten auslesen und Geld überweisen. All das geschieht immer unter der Voraussetzung, dass der Kunde sein Einverständnis gibt. Sonst ist es niemandem erlaubt, auf die Daten zuzugreifen. Zusammen mit der Einführung von Echtzeitüberweisungen können Banken so schon bald Geld in Sekundenschnelle von A nach B schieben und die Händler sofort darüber verfügen.
Beobachter halten den Schachzug für äußerst klug. Gerade bei Flugbuchungen wird gerne mit Kreditkarte bezahlt. Seit Anfang des Jahres dürfen Airlines zudem keinen Aufschlag mehr nehmen, wenn der Kunde im Internet mit einer Kreditkarte zahlen will und bleiben deshalb auf den Gebühren sitzen. Ihre Motivation ist klar.
Anders ist das bei der Deutschen Bank. Sie ist die erste Großbank, die ein so umfangreiches Projekt rund um die neue Regulierung PSD2 und Echtzeitüberweisungen an den Start bringt. Viele dürften sich allerdings fragen, warum gerade sie sich so stark engagiert. Das Geldhaus nimmt sich mit dem neuen Angebot schließlich selbst das Geschäft weg.
Wie fast jede Bank, gibt sie Kreditkarten aus und kassiert jedes Mal, wenn der Kunde damit zahlt, einen Teil des Umsatzes. Um den Händlern das neue Angebot schmackhaft zu machen, wird das Verfahren der Deutschen Bank günstiger sein müssen, womit auch die eigene Marge kleiner ausfallen wird. Shahrokh Moinian, der Manager, der das Projekt bei der Deutschen Bank leitet, hält dagegen: "Wir wollen auf die neuen Regeln nicht nur reagieren, sondern sie für uns nutzen." Neben den Umsätzen kommt die Bank an Kundendaten. Mithilfe der Daten wird das Geldhaus dem Kunden passgenaue Angebote machen und ihn so an die Bank binden.
Ralf Gladis, Geschäftsführer bei Computop und Experte für Bezahlmethoden, sieht die Beweggründe pragmatischer: "Lieber wird die Deutsche Bank eine kleine Gebühr mitnehmen als gar keine. Denn wenn sie das Angebot nicht macht, macht es ein anderer", so Gladis. Fintechs, andere Banken und Techfirmen wie Amazon arbeiten dem Vernehmen nach an ähnlichen Lösungen.
Der Deal mit dem Airline-Verband kann für die Deutsche Bank deshalb nur ein erster Schritt sein, will sie sich etablieren. Weitere Branchen werden folgen, verspricht Moinian von der Deutschen Bank: "Im Prinzip ist für uns jede Industrie interessant, in der beim Bezahlen Gebühren anfallen." Man sei in Gesprächen mit Versicherungen und auch großen Einzelhändlern.
Aktuell ist das allerdings noch Zukunftsmusik. Denn das Pilotprojekt ist eben genau das: ein Pilotprojekt. Bis das System der Deutschen Bank tatsächlich bei einer Großzahl der Fluglinien etabliert ist, dürfte es einige Jahre dauern.
Zwei wichtige regulatorische Neuerungen kommen nämlich frühestens in einem Jahr und werden erst dann ihre Wirkung entfalten. Zwar müssen die Banken wegen der PSD2 künftig die Kundendaten rausrücken. Doch die Europäische Finanzaufsicht hat ihnen eine Übergangsfrist bis September 2019 gegeben, um eine Schnittstelle zu entwickeln, über die die Daten abgerufen werden. Solange die Schnittstellen fehlen, ist es für die Deutsche Bank kompliziert, auf die Konten zuzugreifen und Geld zu transferieren. Hinzu kommt, dass Echtzeitüberweisungen (Instant Payments) bisher nicht sehr weit verbreitet sind. Um Geld in Echtzeit zu überweisen müssen aber sowohl die Empfängerbank als auch die Absenderbank dasselbe System anbieten. Hierzulande bietet das lediglich die Unicredit ihren Kunden. Die Sparkassen wollen erst im Sommer folgen, die Volks- und Raiffeisenbanken frühestens im Herbst. "Die Einführung und Etablierung von Instant Payment wird bis zum Abschluss rund zehn Jahre dauern", sagt Thomas Sontheimer von der Unternehmensberatung Accenture.
Kurzfristig muss die Deutsche Bank also noch mit einigem Widerstand rechnen. Langfristig aber wird das Verfahren ein ernsthafter Konkurrent für Visa oder Mastercard - vorausgesetzt, man bringt die Kunden dazu, die neue Bezahlmethode zu nutzen. "So eine Veränderung dauert meistens Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte", sagt Sontheimer von Accenture. Warum sollten die Kunden auf die komfortable Kreditkarte verzichten?
Gladis von Computop beobachtet die Bezahlgewohnheiten der Deutschen seit mehr als 20 Jahren. Er sagt, dass man den Menschen eben etwas bieten müsse, etwa zusätzlichen Komfort, Bonusmeilen oder einen Rabatt. Wie das Anreizprogramm bei dem Projekt der Deutschen Bank und IATA aussehen wird, ist noch nicht klar. Aber man ist ja auch noch in der Anfangsphase. Die wahren Folgen des Vorstoßes spüren Kunden wohl erst 2019 - wenn überhaupt.