Deutsche Bank:Von wegen Heimat

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Erstmals seit 1870 sitzt kein Vertreter der heimischen Industrie mehr im Aufsichtsrat des größten deutschen Geldinstituts. Dafür zieht ein umstrittener Amerikaner ein.

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Für John Thain hat sich in Deutschland zuletzt kaum noch jemand interessiert. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise, im Jahr 2007, wurde er zum Chef der Investmentbank Merrill Lynch berufen, und aus dieser Zeit stammen auch die Geschichten, die man sich heute noch über den 62-jährigen Amerikaner erzählt. Zum Beispiel, dass er auf seinem Bonus bestand, obwohl ihm gekündigt wurde und nur ein Notverkauf an die Bank of America das Wall-Street-Traditionshaus im Jahr 2008 retten konnte. Oder dass er sich angesichts der Krise die Umgestaltung seines Büros mehr als eine Million Dollar kosten ließ. Jetzt steigt das Interesse an dem Mann in Deutschland aber wieder.

Denn Thain soll als einer von vier neuen Kandidaten in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank einziehen. Das hat das Geldinstitut am Mittwochmorgen offiziell bekannt gegeben, nachdem die Namen bereits über Ostern durchgesickert waren. Paul Achleitner, Chef des Kontrollgremiums, kennt Thain noch aus gemeinsamen Tagen bei der Investmentbank Goldman Sachs, wo die beiden einst Karriere machten. Zu den Wirren der Führungskrise schweigt Achleitner weiterhin, seine Nominierungen für den Aufsichtsrat kommentierte er zufrieden: "Wir freuen uns, dass wir so kompetente neue Mitglieder mit langer Erfahrung in der Finanzbranche gewinnen konnten", ließ er sich in einer Mitteilung der Bank zitieren.

Die Aktie der Bank fiel zwischenzeitlich auf den tiefsten Stand seit eineinhalb Jahren

Auch die Namen der ehemaligen Morgan-Stanley-Bankerin Mayree Clark, heute Chefin einer Investmentfirma, sowie der IT-Expertin und früheren Managerin der Schweizer Bank UBS, Michele Trogni, stehen nun offiziell auf der Liste. Bereits längere Zeit gesetzt war die Kandidatur von Norbert Winkeljohann, dem scheidenden Deutschlandchef der Prüfungsgesellschaft PwC. Aktionäre der Bank äußerten sich in ersten Reaktionen wohlwollend zu den Personalentscheidungen. "Wir sehen die vier Kandidaten durchweg positiv. Die Qualität des Aufsichtsrats wird weiter gestärkt", befand Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment.

Allerdings steht die Deutsche Bank mit der Neubesetzung auch vor einer Zeitenwende. Noch nie zuvor hat es in der 148-jährigen Geschichte des Instituts eine Phase gegeben ohne mindestens einen Vertreter der deutschen oder europäischen Industrie im Aufsichtsrat. Mit Eon-Chef Johannes Teyssen wird nach der Hauptversammlung Ende Mai der letzte seiner Art das Gremium verlassen.

Früher saßen dort Vertreter von Siemens, Bayer oder BASF, als personifizierter Beleg für das Selbstverständnis, wie es die Bank seit einiger Zeit wieder deutlicher betont: starker Partner für die deutschen Unternehmen in der Welt zu sein. "Es wäre aus meiner Sicht aber für das künftige Geschäft der Bank wichtig gewesen, sich noch mit weiteren Industrievertretern zu stärken", sagte Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Der Mittelstand, der ausweislich der Äußerungen der Bank stärker in den Fokus rücken solle, sei überhaupt nicht vertreten. "Da rufen wir Herrn Dr. Achleitner zu, sich zukünftig bei anstehenden Revirements entsprechend umzuschauen", sagte er. Achleitner signalisiert nun nicht Heimatverbundenheit, sondern stärkt die amerikanisch geprägte Investmentbanking-Expertise.

Inwieweit die Bank diese künftig noch braucht, steht zur Debatte. Analysten der US-Bank JP Morgan kritisierten die Strategie des größten deutschen Geldinstituts in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht scharf. Es sei Zeit, die strategische Ausrichtung zu ändern, schrieben die Analysten, das US-Geschäft gehöre geschrumpft. Die Deutsche Bank habe in den ersten drei Monaten wahrscheinlich weitere Marktanteile an die Konkurrenz verloren. Die Ertragsaussichten sähen "nicht ermutigend" aus, heißt es in der Notiz. Bankchef John Cryan weiß das, er überprüft derzeit tatsächlich, ob, und wenn ja, aus welchen Bereichen im Investmentbanking sich die Bank besser zurückziehen sollte - um die Kosten schneller zu senken.

Viel Zeit dürfte ihm dafür nicht mehr bleiben. Vor gut einer Woche war bekannt geworden, dass Achleitner bereits den Markt sondiert und mögliche Nachfolger von Cryan angesprochen hat. Während Achleitner dazu schwieg, machte der Bankchef in einer Mitarbeiter-E-Mail deutlich, dass er an der Spitze der Bank bleiben und weiter seinen Kurs verfolgen möchte. Aktionärsschützer Nieding, der Cryan schon länger für seine fehlenden Zukunftsvisionen kritisiert, findet es befremdlich, Personalfragen dieser Tragweite in der Öffentlichkeit auszutragen. "Das gehört professionell hinter verschlossenen Türen diskutiert", sagt er. Dafür ist es zu spät.

Spekulationen um das oberste Management kommentiert die Bank nicht. Es ist indes kein Geheimnis, dass sich Cryans Zukunft spätestens am 26. April entscheiden wird. An diesem Tag legt er die Zahlen für das erste Quartal vor. "Fallen die schlecht aus, wird es eng", heißt es bei einem wichtigen Aktionär, der Cryans Kurs eigentlich stützt. Die Marktteilnehmer senden bereits Warnsignale: Am Mittwoch fiel die Deutsche-Bank-Aktie zeitweise um 2,5 Prozent unter die Marke von elf Euro, auf den niedrigsten Stand seit eineinhalb Jahren.

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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