Deutsche-Bank-Prozess:Schuld und Bühne

Grafik Deutsche Bank

Die drei Chefs von der Anklagebank: Jürgen Fitschen, Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer (von oben). Die Oberstaatsanwältin Christiane Serini versucht, ihnen und zwei weiteren ehemaligen Managern der Deutschen Bank einen versuchten Prozessbetrug nachzuweisen. Illustration: Stefan Dimitrov

Seit fast einem Jahr muss sich Jürgen Fitschen vor Gericht verantworten. Wegen versuchten Prozessbetrugs. Für den scheidenden Co-Chef ist das Verfahren die letzte Chance, seinen Ruf zu retten.

Von Stephan Radomsky

Die Fassung wird Jürgen Fitschen nicht verlieren. Nicht so kurz bevor alles vorbei ist, der Strafprozess gegen ihn und seine Karriere auch. Dafür schweigt Fitschen beharrlich. Er will beides noch mit Würde über die Bühne bekommen, sich nicht mehr aus der Reserve locken lassen. Noch ist er schließlich der Co-Chef der Deutschen Bank, ein Profi trotz allem. Das verpflichtet.

In diesen letzten Tagen seiner Karriere geht es für Jürgen Fitschen, 67, noch einmal um alles: Um das, was bleibt, von fast 30 Jahren im Dienst der Deutschen Bank. Der Münchner Strafprozess gegen ihn und vier andere ehemalige Top-Banker ist seine letzte Chance, zu retten, was eben noch zu retten ist: einen Rest seines guten Rufs als Deutschbanker alter Schule, integer und bodenständig.

In Saal B 273/II des Münchner Strafjustizzentrums sitzen gleich drei Generationen von Deutsche-Bank-Chefs auf derselben Anklagebank: neben Fitschen seine beiden Vorgänger Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, dazu Ex-Aufsichtsratschef Clemens Börsig und der ehemalige Rechtsvorstand Tessen von Heydebreck. Seit fast einem Jahr müssen sie sich wegen versuchten Prozessbetrugs im jahrelangen, verbissenen Schadenersatzstreit mit dem pleitegegangenen Medienunternehmer Leo Kirch verantworten.

Weil das eine Strafsache ist, herrscht Anwesenheitspflicht.

"Ich schäme mich für die Rechtstaatlichkeit Deutschlands."

Den Anwalt zu schicken, genügt nicht. Also kommt der Co-Chef der Deutschen Bank Woche für Woche in diesen angegrauter Siebzigerjahre-Saal, der im Sommer so elend stickig werden kann. Er nimmt auf der Anklagebank Platz, letzte Reihe, ganz links. Dann schweigt er und beobachtet.

Oft ruht sein Blick dabei auf Christiane Serini, die ihm gegenüber, auf der anderen Seite im Gerichtssaal sitzt. Die Oberstaatsanwältin ist seine Gegnerin hier, sie will Fitschen und den anderen unbedingt deren Schuld nachweisen.

Anfang 2002, so ihre Version der Geschichte, soll die Deutsche Bank ihren finanziell angeschlagenen Kreditkunden Kirch, damals 76, unter Druck gesetzt haben. Das Ziel war demnach, von Kirch den Auftrag für die lukrative Zerschlagung seines Konzerns zu bekommen.

Der Alte lehnte allerdings erbost ab, ging bald darauf pleite - und machte dafür bis zu seinem Tod 2011 die Deutsche Bank und vor allem deren damaligen Chef Breuer verantwortlich. Im anschließenden Streit um Schadenersatz sollen die Banker versucht haben, ihre Pläne durch abgestimmte falsche Aussagen zu verschleiern.

Letztlich erfolglos, nach rund einem Jahrzehnt in Zivilprozessen wurde die Deutsche Bank Ende 2012 zu Schadenersatz verurteilt. Maßgeblich daran beteiligt war Guido Kotschy, der den Prozess leitete. Die Deutsche Bank und Breuer hätten seinerzeit eine Sanierung des Kirch-Konzerns verhindert, das sei nach Paragraf 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" an ihrem Kreditkunden gewesen.

Ein Triumph, den Leo Kirch nicht mehr erlebte.

Die Deutsche Bank bestreitet bis heute die Vorwürfe, trotzdem einigte sie sich nach dem Zivilurteil mit Kirchs Erben auf eine Zahlung von 928 Millionen Euro. Davon soll das Institut nun etwa ein Zehntel zurückbekommen: Man habe sich in einem Vergleich mit Breuer auf eine Zahlung von 3,2 Millionen Euro aus dessen Privatvermögen geeinigt, hieß es am Donnerstag. Weitere rund 90 Millionen Euro soll seine Haftpflichtversicherung zahlen. All das sei kein Schuldeingeständnis, heißt es immer wieder, von niemandem. Man habe die leidige Angelegenheit nach so vielen Jahren nur vom Tisch haben wollen.

Ein Komplott gegen Kirch habe es jedenfalls nie gegeben, der sei wirtschaftlich schlichtweg am Ende gewesen. Deshalb habe man im Vorstand auch überhaupt kein Interesse an weiteren Geschäften mit ihm gehabt - egal in welcher Rolle. Genau daran meldete Richter Kotschy aber verschärfte Zweifel an. Auf denen basiert nun die Anklage der Staatsanwältin Serini.

Das Verfahren ist allerdings längst zum juristischen Abnutzungskampf geraten.

Der Ton ist rau, der Ablauf von Nickeligkeiten geprägt, etwa wenn die Staatsanwälte ihre zig Seiten langen Anträge entgegen den Gepflogenheiten nicht zum Mitlesen ans Gericht und die Verteidiger verteilen. Entsprechend gereizt ist die Stimmung, immer wieder gehen die Verteidiger und Serini aufeinander los. "Popanz" sei die Anklage, wetterte Fitschens Anwalt Hanns Feigen schon zu Beginn des Verfahrens, "Prozessverschleppung" und "Verschwörungstheorien" warf er Serini und ihren Leuten immer wieder vor. Die Angeklagten nervt, dass sie immer wieder bei Peter Noll, dem Vorsitzenden Richter im Strafprozess, mit ihren Anträgen durchkommt.

Fitschen selbst aber schweigt stoisch, umso tiefer, je länger der Prozess dauert.

Anfangs, da unterhielt er sich in den Pausen noch gelegentlich mit Ackermann, der direkt vor ihm sitzt. Er teilte seine Hustenbonbons mit dem Ex-Kollegen, sie diskutierten, lachten sogar manchmal. Vorbei, spätestens seit Mitte November. Da unterläuft Ackermann ein schwerer Lapsus im Gerichtssaal, der ihn in der Öffentlichkeit gar nicht gut aussehen lässt - mal wieder: "Ich schäme mich für die Rechtstaatlichkeit Deutschlands", raunt er den Journalisten in einer Sitzungspause beim Hinausgehen aus dem Saal zu, weil er sich über die Staatsanwälte ärgert. Sofort ist die Assoziation präsent zu jenem verhängnisvollen Foto von 2004, als er im Mannesmann-Prozess mit zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern fotografiert wurde.

Fitschen ist gewarnt. Von diesem Zeitpunkt an zeigt er praktisch keine Regung mehr, sobald er im Gericht ist. Nur nicht am Schluss doch noch unbedacht den Ruf ruinieren, das scheint das einzige Ziel.

Denn als Chef der Deutschen Bank ist Fitschen bereits gescheitert.

Er hat den dringend nötigen Umbau des Instituts nicht geschafft, nachdem die Bank noch einigermaßen glimpflich durch die Finanzkrise gekommen war. Im Gegenteil. Immer neue Krisen und Skandale beuteln das größte Kreditinstitut in Deutschland: Manipulationen an den Zinssätzen Libor und Euribor, bei Devisenkursen und am Goldpreis, dazu Geldwäsche, zweifelhafte Immobiliengeschäfte und Steuerbetrügereien. Die Aktionäre haben deshalb längst ihr Scherbengericht über Fitschen gehalten, auf der Hauptversammlung im vergangenen Jahr wurden er und sein damaliger Co-Chef Anshu Jain nur mit knapper Not entlastet - der Anfang vom Ende. Jain muss kurz danach gehen, sein Nachfolger John Cryan ist seit Mitte 2015 der starke Mann in der Bank. Fitschen und er führen das Haus nur noch formal gemeinsam. Geholfen hat das aber, so scheint es zumindest, bisher wenig: Der Kurs der Deutschen Bank liegt heute auf dem Niveau der schlimmsten Finanzkrisen-Zeiten: Gerade noch rund 15 Euro ist das Papier wert. Zu den besten Zeiten, im Frühjahr 2007, waren es mal über 100 Euro.

"Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, durch ein Interview einen Kunden zu schädigen."

Besonders klar wird die neue Machtverteilung Anfang Februar. An einem Dienstag stürzt der Aktienkurs der Deutschen Bank ab, an den Märkten droht Panik auszubrechen, ob das Institut seine Schulden bei den Geldgebern überhaupt noch bezahlen kann. Die Kommunikation übernimmt Cryan, von Fitschen ist nichts zu hören. Und am Abend, noch mitten im Sturm, muss der Noch-Co-Chef los nach München, ins Gericht. Am nächsten Tag ist wieder Verhandlung - und die fällt dann auch noch kurzfristig aus, weil einer der Richter krank ist. Fitschen aber zeigt auch da keine Regung.

Am 19. Mai nun, auf der nächsten Hauptversammlung, ist für Fitschen auch offiziell Schluss. Bis dahin wird wohl auch alles andere geregelt sein. Am Dienstag soll der Prozess fortgesetzt werden, bis Ende April könnte das Urteil fallen. Also sitzt Fitschen tagelang im Gerichtssaal, den Kopf meist leicht zurückgelehnt. Es sieht aus, als warte er dort hinten in der Anklagebank einfach ab, so lange, bis alles vorbei ist.

Die Chancen dafür stehen gut, auch wenn sich der Prozess schon viel länger hinzieht als ursprünglich gedacht. Wie sich die Dinge damals rund um die Kirch-Pleite und später im Zivilprozess wirklich zugetragen haben, das ist auch nach inzwischen mehr als 30 Prozesstagen nicht klar. Ziemlich deutlich ist dagegen, dass die Strategie der Staatsanwaltschaft nicht aufgegangen ist: Praktisch alle ihre Zeugen konnten sich entweder nicht recht an die Vorgänge erinnern - oder sie sagten gleich offen zugunsten der Angeklagten aus.

Zur herben Schlappe gerät für Serini und ihre Leute beispielsweise die Befragung von Christian Graf Thun-Hohenstein. Der leitete in den Jahren um 2002 das für europäische Medienunternehmen zuständige Investmentbanker-Team der Deutschen Bank, arbeitet aber schon lange nicht mehr für das Institut. Im Vorfeld war er daher als entscheidender Belastungszeuge gehandelt worden, auch weil er bereits 2012 und 2013 befragt worden war - mit offenbar ermutigenden Ergebnissen für die Ankläger. Im Zeugenstand aber äußert sich der Banker dann nur vage, beruft sich immer wieder auf Gedächtnislücken. Sein Team und er hätten zwar eine "strategische Perspektive" erarbeitet. Das belegen auch Akten. Was Breuer und die anderen Vorstände wirklich in Sachen Kirch vorhatten, habe er damals aber nicht gewusst.

Auch ein Feedback auf die Planspiele habe es nicht gegeben. Dass die Deutsche Bank einem Schlachtplan gegen Kirch folgte, dafür liefert auch Michael Storfner keine Indizien. Der Journalist führte am 3. Februar 2002 jenes Interview, das die ganzen Prozesse überhaupt erst lostrat.

Breuer sprach darin, mit Verweis auf Marktgerüchte, eine drohende Zahlungsunfähigkeit Kirchs an. Serini vermutet dahinter Absicht, Kirch sollte gezielt öffentlich unter Druck gesetzt werden. In seiner Aussage widerspricht Storfner aber klar: "Mein Eindruck war, das war spontan." Das beteuert auch Breuer: Er habe, sagt er an anderer Stelle, "keine Hintergedanken" gehabt. "Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, durch ein Interview einen Kunden der Bank zu schädigen."

Dass Breuers Äußerungen andere Banken davon abgehalten hätten, Kirch das dringend benötigte Geld zu leihen, verwirft auch Werner Schmidt, seinerzeit Chef der Bayern-LB. Dort hatte Kirch damals zwei Milliarden Euro Schulden. Dass der Medienunternehmer "nicht unerhebliche Probleme im Bereich der Liquidität" hatte, habe er nicht erst Anfang 2002 gewusst. Insofern sei das Breuer-Interview für ihn "uninteressant" gewesen, weil es "keine Neuigkeiten" enthielt, sagt Schmidt.

Das glatte Gegenteil behauptet allerdings Dieter Hahn, einst der engste Vertraute Kirchs, auch nach der Pleite. Das Breuer-Interview sei die "Wasserscheide" gewesen. Danach sei die Lage des finanziell notleidenden Konzerns sehr schnell außer Kontrolle geraten. Breuer habe dann, bei einem Treffen am Münchner Flughafen, zu Kirch gesagt, er sei "beauftragt, vom Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Ihr Unternehmen zu zerschlagen". Die Aussage hat allerdings zwei Schönheitsfehler: Erstens hat Kirch selbst diese Aussage Breuers nie erwähnt. Und zweitens war Hahn selbst, wie er nach einigem Hin und Her eingesteht, einer der Hauptprofiteure des Urteils gegen die Deutsche Bank. 200 Millionen Euro aus deren Zahlung flossen später an ihn. Glaubwürdiger macht ihn das nicht.

"Ich habe Zweifel, ob in dieser Verhandlung Erkenntnisse dazugewonnen wurden."

Bisher hat das Gericht Serini meist mit ihren Anträgen gewähren lassen. Schon mehrfach verschob sich deshalb der angepeilte Termin für das Urteil: Ursprünglich sollte es Mitte Oktober fallen, später wurden erst das Jahresende, dann Mitte Februar und Mitte März genannt.

Der Vorsitzende Richter hat Serini dabei aber immer wieder auch deutlich wissen lassen, was er von ihrer Arbeit hält: Wenn sie nicht klar beweisen könne, dass die vermutete vorsätzliche sittenwidrige Schädigung Kirchs durch die Deutsche Bank Absicht war, dann sei "die Sache hier mausetot", warnte Noll die Staatsanwältin bereits vor Monaten. Zuletzt fasste er dann zusammen, er habe "Zweifel, ob in dieser Verhandlung Erkenntnisse dazugewonnen wurden", dass die Angeklagten wirklich an einem versuchten Prozessbetrug beteiligt waren. Für Serini nach so vielen Prozesstagen eine Klatsche. Für Fitschen wohl die beste Nachricht seit Langem.

Wohl auch wegen der drohenden Niederlage eröffnete Serini zuletzt sogar ein weiteres Themenfeld im Prozess: Es geht um die Frage, ob Fitschen und Ackermann im Verfahren 2012 ihre Aufsichtspflicht in der Bank verletzt haben. Denn wenn sie schon nicht wissentlich falsch ausgesagt hätten, argumentiert die Anklage, dann müssten sie von Untergebenen mit Fehlinformationen versorgt worden sein. Ob aber etwa die Rechtsabteilung unsauber arbeitete, wird derzeit noch ermittelt. Ob er diesen Punkt annehme, stehe deshalb "auf Messers Schneide", sagt Noll.

Klein beigeben wird trotzdem keiner, die Oberstaatsanwältin nicht und auch nicht die Banker. Fitschen hätte sich, so schilderte es zumindest sein Verteidiger Feigen, sogar den gesamten Prozess ersparen können - wenn er vorab eine Geldauflage gezahlt hätte. Er ist von allen Angeklagten der am wenigsten belastete.

Fitschen habe den Deal aber abgelehnt.

Offenbar wollte er die Sache durchfechten, und zwar so, dass kein Beigeschmack bleibt. Anders, als es Ackermann im Mannesmann-Prozess machte, als er 3,2 Millionen Euro zahlte und das Verfahren eingestellt wurde. Und Serini hat klargemacht, dass sie als Chefanklägerin auch in die nächste Instanz ziehen will. Das zeigen ihre Dutzenden umfangreichen Beweisanträge in den vergangenen Wochen und Monaten. Sehr gut möglich also, dass es nach dem Urteil in die nächste Instanz geht, egal wie der Prozess endet.

Bis dahin wird Jürgen Fitschen wohl weiter schweigen. Er wird zu jedem weiteren Termin erscheinen, stets pünktlich, stets aufgeräumt. Er wird seinen Platz einnehmen in der Anklagebank, die fast die Ausmaße eines Klassenzimmers hat, und abwarten. Das hier, dieser Prozess, ist sein letzter wichtiger Kampf. Hier zumindest gibt es für ihn noch etwas zu gewinnen.

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