Fast vier Jahre lang gab es das nicht bei der Deutschen Bank: einen Quartalsverlust. Einschließlich der ersten drei Monate in diesem Jahr wies Deutschlands größte Bank in den vergangenen fünfzehn Quartalen unter dem Strich immer Gewinne aus – nicht exorbitant viel, aber dennoch lieferten sie in Frankfurt verlässlich schwarze Zahlen, nachdem die Jahre zuvor von Skandalen und Nahtoderlebnissen geprägt waren. Konzernchef Christian Sewing verbuchte das stets als Ergebnis seiner erfolgreichen Restrukturierung.
Im zweiten Quartal dieses Jahres sah es nun anders aus. Das Geldhaus rutschte mit 143 Millionen Euro ins Minus, wie die Bank am Mittwoch mitteilte. Schuld an dem Verlust waren zwar nicht etwa schlecht laufende Geschäfte, größere Kreditausfälle oder Handelsverluste, sondern eine Rückstellung für einen Rechtsstreit in Höhe von enormen 1,3 Milliarden Euro.
Dahinter steht ein mehr als zehn Jahre alter Rechtsstreit um die Übernahme der Postbank im Jahr 2008, die sich aus heutiger Sicht wohl eher als Albtraum herausstellt. Standen zuletzt noch die IT-Probleme der Postbank im Vordergrund, ist es jetzt der andauernde Rechtsstreit mit früheren Postbank-Aktionären. Im April hatte das Oberlandesgericht (OLG) Köln Vergleichsverhandlungen angeregt. Bereits Ende 2022 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Sache zurück an das OLG Köln verwiesen und war dabei den Argumenten der Kläger teilweise gefolgt. Das alles ist seit Wochen bekannt. Die Aktionäre waren am Mittwoch dennoch vergrätzt. Der Aktienkurs verlor am Morgen zeitweise mehr als acht Prozent. Anders als erwartet will die Deutsche Bank wohl erst einmal keine weiteren Aktien zurückkaufen, vor allem, wenn sie den Rechtsstreit verliert.
Gleichwohl gab sich die Bank-Führung am Mittwoch überraschend optimistisch, den Streit nun doch noch zu gewinnen. Hatte es auf der Hauptversammlung im Mai noch geheißen, man habe Gespräche mit den Klägern aufgenommen und werde die Optionen für einen Vergleich „vorsichtig prüfen“, war davon inzwischen eher nicht mehr die Rede. Finanzvorstand James von Moltke wich der Frage nach Vergleichsgesprächen aus. Man werde für die eigene Rechtsposition kämpfen. Es sei schwierig mit den Klägern in Kontakt zu treten, außerdem sei es noch viel zu früh für eine Entscheidung. „Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass wir einfach auf das schriftliche Urteil Ende August warten werden, um etwas vom Gericht zu hören und um eine klarere Vorstellung davon zu bekommen, in welche Richtung es danach gehen wird“, sagte von Moltke im Gespräch mit Journalisten.
Der Rechtsstreit erinnert an den Kampf mit den Kirch-Erben
Im Zentrum des Rechtsstreits steht die schrittweise Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank vor mehr als fünfzehn Jahren und die Frage, wann das Institut die unternehmerische Kontrolle bei der Postbank hatte. Der Streit wird seit mehr als zehn Jahren über mehrere Instanzen und Gerichte hin und zurück ausgefochten. Zunächst waren die Kläger auf ihrem Gang durch die Instanzen immer wieder gescheitert. Spätestens seit dem Fingerzeig des BGH hat das sich das Blatt jedoch zugunsten der Kläger gewendet. Manches erinnert daher an den jahrelangen Streit mit den Erben des Medien-Moguls Kirch. Damals hatte die Bank ebenfalls erbittert gekämpft, um sich am Ende dann noch mit den Klägern zu vergleichen.
Im aktuellen Postbank-Fall gehen die Kläger – darunter das Anlegermagazin Effecten-Spiegel – davon aus, dass die Deutsche Bank bereits 2008 die Kontrolle über die frühere Post-Tochter hatte. Wäre dies der Fall, hätten die Postbank-Aktionäre nach den Regeln des Kapitalmarkts mehr Geld für ihre Anteile bekommen müssen. Die Deutsche-Bank-Führung um Ex-Chef Josef Ackermann unterbreitete den Postbank-Aktionären aber erst 2010 ein Angebot, als der Aktienkurs wegen der Finanzkrise niedriger war. Erst 2015 gehörte ihr das Bonner Geldhaus komplett.
Bis zuletzt hatte die Deutsche Bank so gut wie keine Rückstellungen für das Rechtsrisiko gebildet und sich dabei auf mehrere Gutachten und den Wirtschaftsprüfer EY berufen. Die Aktionäre waren daher im April überrascht worden von der Nachricht vom OLG Köln: Der Aktienkurs gab deutlich nach. Die Bank-Führung hatte es bis dahin offenbar für unwahrscheinlich gehalten, dass man wirklich zahlen muss und eine Vorsorge vermieden. Vielleicht hatte man aber auch Sorge, die eigene Geschichte zu zerstören, wonach der Vorstand um Sewing genau das liefern würde, was er 2018 versprochen hatte.
Allerdings: Internen Unterlagen zufolge, die der SZ vorliegen, hatte die Bank das Postbank-Risiko im 1. Quartal 2018 bereits als zweitgrößtes Rechtsrisiko (Kategorie Financial Risk) auf einer Skala mit 13 Hochrisikorechtsfällen eingeordnet. Ein Hinweis, dass man eine Rückstellung hätte bilden müssen? Dazu heißt es bei der Bank: In besagtem Bericht seien die sogenannten „Highest Risk Matters“ aus Sicht der Bank aufgeführt gewesen. „Entscheidend für die interne Einstufung einer Rechtsangelegenheit als solche war hier ausschließlich die absolute Höhe des Rechtsrisikos, nicht aber seine Eintrittswahrscheinlichkeit“. Ob der Optimismus gerechtfertigt ist, wird sich indes schon bald zeigen: Am 21. August will das Kölner Gericht entscheiden. Die letzten Schriftsätze und Argumente sind bereits ausgetauscht. Auch an dem Termin wird offensichtlich nicht mehr gerüttelt.