Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bank:Plötzlich im Dispo

Eine IT-Panne im Online-Banking erschreckt am Freitag Kunden. Eingänge wie Abbuchungen zeigt die Deutsche Bank zweimal an. Sie spricht von einem Darstellungsproblem, für viele war es aber mehr: Ihr Konto rutschte ins Minus.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Bisher waren die Probleme der Deutschen Bank oft schwer zu greifen, meist ging es dabei um technische Begriffe wie Basel III, Mifid II oder Libor. Am Freitag allerdings erreichten die Schwierigkeiten des größten deutschen Kreditinstituts die Kunden. Sie haben nun eine Ahnung davon, was Vorstandschef John Cryan zu Beginn seiner Amtszeit vor einem Jahr kritisierte: die marode Konzern-IT.

Am Freitagmorgen nämlich stellten Tausende Privatkunden, die das Online-Banking nutzen, fest, dass zum Monatswechsel fällige Beträge für Miete, Versicherungen oder Strom gleich zweimal abgebucht worden waren, zahlreiche Konten rutschten tief ins Minus. Auch Eingänge tauchten doppelt auf.

Konkret wurden alle Buchungen, die am 1. Juni ausgeführt wurden, am 2. Juni noch einmal angezeigt. Seit Mitternacht zeigte die Bank in der Online-Umsatzübersicht falsche Zahlen an.

Viele waren verunsichert. "Ich war total geschockt", sagt eine Kundin. Es fehlte offenbar eine ganze Menge Geld, und bei der Bank erreichte sie am Morgen zunächst niemanden.

Nach außen bemühte sich die Bank sogleich, die Lage zu beruhigen: Es handele sich lediglich um ein Darstellungsproblem im Online-Banking, hieß es in einer ersten Pressemitteilung. Dadurch seien Einzahlungen und Abbuchungen doppelt gezeigt oder nicht abgebildet worden. Doppelabbuchungen habe es nicht gegeben: Keine dieser zweifach dargestellten Zahlungen sei tatsächlich erfolgt, das Geld sei noch da. Die Korrektur der Darstellung erfolge automatisch. Am Nachmittag vermeldete die Bank, ein Großteil der Filialen bleibe am Freitag bis 20 Uhr geöffnet, falls Kunden dort Bargeld abheben oder noch offene Fragen klären wollten. Spätestens Samstagmorgen um acht Uhr würden die Kunden ihre Bankgeschäfte wieder vollumfänglich ausführen können. Auch die Kontosalden sollten dann wieder korrekt angezeigt werden, teilte die Bank mit.

Auch wenn Kunden tatsächlich kein Geld verloren, war es aus Sicht vieler mehr als nur ein Darstellungsproblem: Denn einige Kunden bekamen am Geldautomaten vorerst kein Bargeld oder konnten nicht mit der Girokarte bezahlen, weil ihr Konto plötzlich deutlich überzogen war. Und zumindest wenn die Transaktionspartner - etwa der Vermieter - ebenfalls sein Konto bei der Deutschen Bank hat, wurde der Eingang der doppelt abgebuchten Miete auch dort angezeigt. Wie viele Kunden genau betroffen waren, konnte die Bank nicht sagen. Es dürften aber viele Tausend gewesen sein: Insgesamt nutzen vier Millionen Privatkunden das Online-Banking. Betroffen waren mutmaßlich alle onlinefähigen Girokonten, auf denen am 1. Juni Umsätze verbucht wurden.

Die Panne wirft ein Licht auf eines der großen Probleme der Deutschen Bank: ihre veraltete EDV. Vorstandschef Cryan hatte den Umbau der IT gleich nach seinem Amtsantritt vor fast einem Jahr zur Chefsache gemacht. "Wir haben lausige, schrecklich ineffiziente Systeme", hatte er gesagt. Das Sammelsurium an vielen Dutzenden Betriebssystemen und Programmen aufzuräumen, sei eine Hauptaufgabe des neuen Vorstands. So befindet sich etwa die Kontoführung für Privatkunden auf alten Großrechnern, während das Onlinebanking auf einer separaten Plattform namens Tandem läuft. Diese Plattform wurde nun wohl zweimal mit den gleichen Daten versorgt.

Ob Deutsche Bank, Commerzbank oder Sparkassen: Fast alle Kreditinstitute in Deutschland müssen in den kommenden Jahren insgesamt viele Milliarden in ihre EDV-Systeme investieren. Weil Rendite wichtiger war, hatten sie die Systeme oft vernachlässigt. Das rächt sich nun gleich mehrfach: Heutzutage verlangen Finanzaufseher auf Knopfdruck Tausende Daten. Außerdem drängen Tech-Konzerne und Finanz-Start-ups in das Kerngeschäft der Banken, die sich zudem gegen immer ausgefeiltere Hackerangriffe wehren müssen. Experten für Banken-IT sind derzeit also gefragte Leute.

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SZ vom 04.06.2016
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