CO₂-Affäre:Vergangenheit holt Top-Managerin der Deutschen Bank ein
Lesezeit: 4 Min.
Von Meike Schreiber, Frankfurt
Louise Kitchen ist eine mächtige Frau in der Deutschen Bank. Dafür allerdings ist erstaunlich wenig bekannt über die Britin. Anfang Juli stieg die Managerin zur Co-Chefin der neuen internen Bad Bank auf, zugleich wurde sie Mitglied des erweiterten Vorstands. Viel mehr allerdings verriet die Deutsche Bank nicht über ihren Lebenslauf - und das ist dann doch ungewöhnlich.
Denn während die Bank bei fast allen neuen Führungskräften, die Anfang Juli im Zuge einer groß angelegten Personalrochade neue Posten bekamen, ein paar Karriere-Stationen erwähnte, blieb man bei Kitchen schmallippig: Sie sei seit 2005 in der Bank und leite derzeit das Institutional & Treasury Coverage, einen Bereich, in dem man sich um große Kunden im Kapitalmarkt kümmert. Über den Aufstieg Kitchens auf diese Position erfuhr die Öffentlichkeit aber nichts. Auch ihr früherer Arbeitgeber, der 2001 kollabierte US-Energiekonzern Enron, blieb unerwähnt.
Als Chefin der Bad Bank kommt ihr nun die wichtige Aufgabe zu, die Bilanz der Bank von Altlasten zu säubern. Ihr eigener Werdegang ist allerdings nicht ganz so sauber, wie SZ-Recherchen zeigen: Von 2005 bis mindestens 2010 war Kitchen "Global Head of Commodities, Sales and Structuring" der Deutschen Bank - sie war also Führungskraft im Rohstoffhandel.
Das klingt harmlos, hat es aber in sich: Als Expertin auf dem Gebiet des Rohstoffhandels kam Kitchen vor ziemlich genau zehn Jahren der CO₂-Affäre gefährlich nahe - einem der spektakulärsten der vielen Skandale der Deutschen Bank. Erst in London und später in Frankfurt hatte ein Team von Händlern 2009 und 2010 im Verbund mit kriminellen Geschäftsleuten Verschmutzungsrechte reihum an- und wieder verkauft. So lange, bis die Finanzbehörden den Überblick verloren und am Ende Umsatzsteuern erstatteten, die zuvor niemand gezahlt hatte. Als die britischen Steuerbehörden eingriffen, waren diese Geschäfte ab 2010 in der Londoner Niederlassung nicht mehr möglich.
Auch in Deutschland stoppten die Behörden 2010 die Geschäfte und ermittelten. 2016 mussten mehrere der damaligen Mitarbeiter vor Gericht, einer ging später sogar ins Gefängnis. Vor wenigen Wochen nun erhob die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zudem Anklage gegen den letzten möglichen Drahtzieher des Betrugs.
Louise Kitchen, das zeigen interne Unterlagen, war die Vorgesetzte dieses letzten Drahtziehers. Zwar wurde nie gegen sie ermittelt, auch konnte die Bank ihr offenbar kein Fehlverhalten nachweisen. Wie aber aus zahlreichen internen Untersuchungsberichten hervorgeht, unternahm sie trotz Warnungen offenbar lange nichts, um das System zu prüfen oder zu stoppen.
Ihrer Karriere hat das nicht geschadet. Womit sie für eines der Grundprobleme der Bank steht: Viele langjährige Manager sind früher oder später in die Nähe betrügerischer Systeme geraten, auch wenn ihnen die Justiz nichts vorwerfen konnte. Sei es die Manipulation des Zinssatzes Libor, Geldwäsche oder eben der CO₂-Handel: Entweder haben die Manager lukrative Geschäfte einfach laufen lassen, die Übersicht verloren, oder aber Anreize so gesetzt, dass Mitarbeiter ihren moralischen Kompass verloren. "Es gibt immer noch viele Seilschaften aus alten Tagen bei der Bank", sagt ein ehemaliger Deutschebanker und wählt ein drastisches Bild: "Sie nagen am Fleisch des Kadavers".
Der CO₂-Skandal aber kommt nun erneut auf die Tagesordnung. Hector F., der Ex-Banker, den die Staatsanwälte nun angeklagt haben, soll den Handel damals einfach von London nach Frankfurt verlagert haben. Der Fall kostete die Bank nicht nur Reputation, sondern auch viel Geld: Sie zahlte später etwa 410 Millionen Euro an Bußgeldern und Steuerrückzahlungen.
Einer der später verurteilten Mitarbeiter warnte 2009 vor einem auffälligen Kunden
Als Mitglied einer Bande habe Hector F. dabei geholfen, Steuern in Höhe von 145 Millionen Euro zu hinterziehen, ist die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt überzeugt. Er habe von dem System gewusst. In der Handelsabteilung habe er selbst dann noch garantiert, dass die Geschäfte weiterliefen, als Kollegen Zweifel anmeldeten.
Auch Kitchen hat sich dem Treiben nicht wirklich in den Weg gestellt. So stellen es mehrere interne Untersuchungsberichte dar, die verschiedene Anwaltskanzleien in den Jahren 2014 und 2015 im Auftrag der Deutschen Bank angefertigt haben. Auf vielen tausend Seiten haben die Anwälte dargelegt, wer warnte, wer abwiegelte oder wer die Dinge vorantrieb. Kitchen, so der Eindruck bei der Lektüre der Berichte, hat die Dinge zwar nicht vorangetrieben, hat sie aber auch nicht stoppen wollen. Sie scheint einfach nur zugesehen zu haben.
So warnte zum Beispiel einer der später verurteilten Mitarbeiter bereits im September 2009 vor einem auffälligen Kunden, woraufhin eine Führungskraft schrieb, dass die "Geschäfte besser sofort eingestellt werden sollten". Auch Louise Kitchen war auf diesem Verteiler. Für sie aber war das offenbar kein Grund, der Sache nachzugehen. In einer E-Mail hielt sie fest, die Reaktion sei doch "etwas übertrieben". In einem anderen Bericht hieß es, "die DB" hätte spätestens Ende Oktober wissen müssen, dass die "Einbindung in ein betrügerisches System vorliegt". Das klingt sperrig, ist aber unmissverständlich.
Man hätte den Handel nie beginnen dürfen, schrieb Kitchen in einer Mail
"Die DB" aber ließ die Sache laufen. Erst im April 2010, wenige Tage bevor die deutschen Strafverfolgungsbehörden die Bank deswegen durchsuchten, schien sich Kitchen Sorgen um die Reputation des Hauses zu machen. Man hätte den Handel nie beginnen dürfen, schrieb sie in einer Mail.
Die Deutsche Bank teilte mit, man habe das "Thema CO₂-Emissionshandel gründlich aufgearbeitet". Aufgrund der Ergebnisse mehrerer Untersuchungen seien auch die Verantwortung von Mitarbeitern aufgearbeitet und Konsequenzen gezogen worden. Das Verhalten von Louise Kitchen sei ebenfalls untersucht worden. "Dabei stellte die Bank kein Fehlverhalten oder Regelverstöße von Frau Kitchen fest."
Als Martin Bach, Richter am Landgericht Frankfurt, im Juni 2016 sein Urteil über die sechs ehemaligen Deutsch-Banker verkündete, rügte er nicht nur die Verurteilten. Ihre Vorgesetzten hätten das betrügerische System begünstigt - durch eine "risikobejahenden Kultur". Und den "Ausfall aller Sicherheitsmechanismen".