Süddeutsche Zeitung

CO₂-Steuerbetrug:Deutsche Bank schließt Skandal-Kapitel

Lesezeit: 4 min

Der letzte Angeklagte im CO₂-Steuerbetrug des Geldhauses steht in Frankfurt vor Gericht. Er wird mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Für die Bank aber wiegt das Verfahren schwer - noch immer.

Von Jan Diesteldorf und Meike Schreiber, Frankfurt

Schon gleich zu Beginn seiner Aussagen kommen dem Angeklagten Hector F. die Tränen. Viele Jahre hat er auf diesen Tag gewartet, jetzt hat er es bald hinter sich. Der Preis dafür aber ist ein Geständnis. Ein Geständnis dazu, welche Rolle der frühere Mitarbeiter der Deutschen Bank in einem der größten Fälle von Umsatzsteuerbetrug in Deutschland gespielt hat. Ein Fall, der nicht nur wegen der hinterzogenen Summen so aufsehenerregend war, sondern auch, weil im Zentrum das größte deutsche Geldhaus stand.

Am Ende wird Hector F. mit 1,9 bis zwei Jahren Bewährungsstrafe davonkommen, aber auch 1,8 Millionen Euro zahlen müssen. So sieht es eine Verständigung mit dem Gericht vor. "Ich habe Bedenken geäußert, aber nichts unternommen", sagt er am Montag vor dem Landgericht Frankfurt. "Das war ein schwerer Fehler." "Als Mitglied einer Bande" soll er sich an einem Umsatzsteuerkarussell mit CO₂-Zertifikaten beteiligt und geholfen haben, 145 Millionen Euro zu hinterziehen. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm schwere Steuerhinterziehung vor, konnte aber keine Absprachen mit Hintermännern nachweisen.

Mit dem Prozess gegen Hector F., der am Montag begonnen hat und nur auf zwei Verhandlungstage terminiert ist, schreiben die Beteiligten zwölf Jahre nach Beginn der Ermittlungen jetzt wohl das Schlusskapitel dieses Mega-Betrugs. Insgesamt acht Ex-Manager der Deutschen Bank werden in Frankfurt vor Gericht gestanden haben, F. inklusive. Einer davon erhielt eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Mehrere Mittäter und Hintermänner wurden überführt und zu langen Haftstrafen verurteilt. 99 Jahre und ein Monat, wenn man alles aufaddiert. Die Generalstaatsanwaltschaft und Hessens Steuerfahnder holten mehr als 400 Millionen Euro für den Fiskus zurück, weit mehr als ursprünglich auf die hessischen Finanzbehörden entfallen war, hauptsächlich bezahlt von der Deutschen Bank - weil bei den Scheinfirmen meist nichts mehr zu holen war. Es waren gewinnträchtige Strafverfahren. Ein Erfolg, aber auch ein Wermutstropfen angesichts der vielen mutmaßlich unentdeckten Fälle von Umsatzsteuerbetrug in der EU.

Erst in London und später in Frankfurt hatten Händler der Deutschen Bank 2009 und 2010 zusammen mit kriminellen Geschäftsleuten aus halb Europa und dem Nahen Osten CO₂-Verschmutzungsrechte an- und verkauft, bis die Finanzbehörden den Überblick verloren. Die Zertifikate, eigentlich ein Anreiz für Energieversorger, Emissionen zu sparen, waren gewissermaßen ein Turbo für diese Betrugsmasche, ging der Handel doch viel unkomplizierter als mit realen Gütern. Am Ende erstattete der Fiskus Umsatzsteuern, die zuvor niemand gezahlt hatte. Als die britischen Steuerbehörden eingriffen, waren diese Geschäfte von 2010 an in der Londoner Niederlassung der Bank nicht mehr möglich, weswegen das Geldhaus den Handel kurzerhand nach Frankfurt verlegte. Dort drehte sich das Karussell noch mehrere Monate weiter, bis die Zentrale es stoppte.

Bei der ersten Durchsuchung wussten die Betroffenen längst Bescheid

Die CO₂-Affäre war auch einer der größten Fälle von organisierter Steuerhinterziehung in Deutschland - zumindest bis zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte. Legendär sind die beiden Razzien 2010 und 2012. Bei der zweiten Durchsuchung durchflöhten mehrere Hundert Staatsanwälte, Polizisten und Steuerfahnder auch die Zentrale der Bank, der damalige Chef Jürgen Fitschen beschwerte sich anschließend bei Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Bei der ersten Durchsuchung wussten die Betroffenen längst Bescheid, als die Ermittler Einlass verlangten. Die Banker hatten einen Tipp bekommen, wie abgehörte Telefongespräche nahelegten. Bei den Ermittlungen kam es später auch zu Reibereien mit der Bank, weil die Behörden davon ausgingen, dass das Geldhaus ihnen Daten vorenthalten hatte. Im Raum stand sogar der Verdacht von Strafvereitelung, woran ein Zeuge von der Steuerfahndung am Montag vor Gericht erinnerte.

Warum griff niemand ein? Womöglich weil man sich die Erträge nicht entgehen lassen wollte, auf Boni und Beförderung hoffte, oder "weil wir so gierig sind" und damit "schweinisch viel Geld" verdienen, wie es ein Banker in einem Telefonat auf den Punkt brachte. Nach der Finanzkrise waren die Erträge mit Derivaten eingebrochen - die CO₂-Geschäfte kamen da wie gerufen. Und so wollte offenbar niemand die Deals beenden, trotz vieler Warnungen über kriminelle Geschäftspartner. "Niemand hat wirklich etwas dagegen unternommen, das war die allgemeine Stimmung damals in der Bank", sagt Hector F. Hätte er sich aufgelehnt, hätte er - damals zuständig für den Verkauf der Zertifikate - seinen Job verloren, sagt er.

Die Bank sah sich als Opfer

Umsatzsteuerbetrug ist ein Dauerproblem in der EU, viele Fälle bleiben unentdeckt. Umso erstaunlicher ist es, was die Ermittlungsgruppe "Odin" bei den hessischen Finanzbehörden und die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft geschafft haben. Sie enttarnten eines der größten Netzwerke von Betrügern. Berufskriminelle, die den Fiskus zwei Jahre lang bestohlen hatten, geschätzt mehr als 800 Millionen Euro Steuerschaden. Und eben tatkräftig unterstützt von der Deutschen Bank.

Während sich das Geldhaus als Opfer einer Bande sah, stellten Mitarbeiter auch Jahre danach immer wieder die Frage nach der Verantwortung der Vorgesetzten, etwa des jüngst verstorbenen früheren Co-Chefs Anshu Jain, der damals die Investmentbank anführte. Oder auch zu einer früheren Chefin von Hector F. Ihrer Karriere schadeten die Vorgänge lange nicht, 2019 beförderte Konzernchef Christian Sewing die Managerin sogar zur Chefin der internen Bad Bank. Ganz unbekannt dürften die Vorgänge Sewing nicht gewesen sein: Als früherer Rechtsvorstand hatte er die Untersuchung zu CO₂ im Jahr 2015 geleitet. Die Bank teilte mit, man habe die Sache vollumfänglich untersucht.

Noch immer aber bleiben Fragen offen, wie auch der Vorsitzende Richter Moritz Rögler am Montag durchblicken ließ. "Den Herrn Jain werden wir nicht mehr vernehmen können", sagt er. Aber es gebe genug, was man hier noch aufklären könnte, auch was die Londoner Seite anbelangt. Ähnliches hatte auch Richter Martin Bach im Juni 2016 anklingen lassen, als er sein Urteil über die sechs ehemaligen Deutsche-Bank-Banker verkündete. Ihre Vorgesetzten hätten das System begünstigt - durch eine "risikobejahenden Kultur". Und den "Ausfall aller Sicherheitsmechanismen".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5672324
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.