Deutsche-Bank-Chef Jain:Abschied vom Image des Londoner Zockers

Muss der Chef der Deutschen Bank deutsch sprechen? Anshu Jain jedenfalls will es versuchen - heute auf der Hauptversammlung wird er einen längeren Text in der für ihn ungewohnten Sprache vortragen. Wichtig ist aber etwas ganz anderes.

Ein Kommentar von Andrea Rexer, Frankfurt

Kann jemand Chef der Deutschen Bank werden, der kein Deutsch spricht? Um diese Frage kreist die öffentliche Debatte seit über einem Jahr, seit klar ist, dass Anshu Jain, britischer Staatsbürger indischer Abstammung, gemeinsam mit Jürgen Fitschen dem größten Geldhaus des Landes vorstehen wird. Bei der Hauptversammlung an diesem Donnerstag wird die Frage noch einmal in den Vordergrund treten: Denn der Co-Vorstandschef wird einen längeren Text auf Deutsch sprechen. Und schon stürzt sich die Öffentlichkeit auf Jain, als wäre er ein Kleinkind, dessen erstem Wort die Eltern entgegenfiebern.

Dabei ist schon die Ausgangsfrage falsch gestellt. Die richtige Frage an jeden Chef der Deutschen Bank - egal ob er Jain heißt oder nicht - wäre: Spricht er fließend Englisch? Denn das erwartet die Bank auch von Mitarbeitern, wenn sie sich bei dem Institut bewerben. Die Deutsche Bank ist ein globales Institut, und das nicht erst seit Jain an der Macht ist. Nur wird durch seine Herkunft der Wandel sichtbarer. Im täglichen Geschäft braucht Jain kein Deutsch - nicht bei den Mitarbeitern, nicht bei den Kunden.

Zudem ist die gesellschaftliche Rolle der Bank eine andere geworden. Die Zeiten, als ein Vorstand namens Alfred Herrhausen in den 70er- und 80er-Jahren noch jedem Geschäftsbericht ein persönliches Essay zu gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen vorangestellt hat, sind vorbei. Von Jain erwartet das niemand. Im Gegenteil: Er würde dafür vermutlich sogar Kritik ernten, weil man ihm ein solches Gebaren heutzutage als Einmischung, ja sogar als unzulässigen Machtanspruch, auslegen würde.

Jain sucht das Gespräch mit den Entscheidern in Berlin

Natürlich geht auch Jain mit der deutschen Politik auf Tuchfühlung, allerdings finden diese Treffen zumeist hinter den Kulissen statt. Und auch das Motiv für die Gespräche hat sich verändert: Die Deutsche Bank will nicht die Politik der Bundesrepublik mitgestalten, weiß aber, dass in Berlin die Weichen für die europäische Bankenregulierung gestellt werden.

Schon vor Jahren hat Jain den Kontakt zu zentralen Figuren der Berliner Politik gesucht, jetzt sucht er noch aktiver das Gespräch zu den Entscheidern. Und gern präsentiert er sich auch öffentlich dort, wo die Kanzlerin spricht, lässt seinen Charme als Gastgeber in den Berliner Räumlichkeiten der Bank spielen. Selbst wenn ihn mancher Politiker noch immer als "den Inder" bezeichnet - fachlich nehmen ihn die meisten als kompetenten Gesprächspartner wahr, die Sprache stellt dabei keine Hürde dar. Die klassische Aufteilung, dass der deutschsprachige Fitschen als Chef des Bankenverbandes allein für die Berliner Lobbyarbeit verantwortlich zeichnet, ist eine Fehlinterpretation.

Bei jedem Skandal stellt sich die Frage, was Jain wusste

Wenn es aber keine fachlichen Gründe dafür gibt zu fragen, warum Jain Deutsch sprechen sollte, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um eine Scheindebatte handelt. Zuweilen ist sie von einem deutschtümelnden Unterton durchzogen. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine berechtigte Frage: Sollte ein Investmentbanker Chef der Deutschen Bank werden? Die englische Sprache ist dabei nur das stellvertretende Attribut für den Zocker, die deutsche Sprache jenes für den ehrbaren Kaufmann, den sich viele nach den Erfahrungen der Finanzkrise an der Spitze der Bank wünschen.

Wenn man den Blick allein auf die Zahlen wirft, könnte man zum Schluss kommen, dass die Wahl des Investmentbankers Jain (statt des von Josef Ackermann bevorzugten ehemaligen Bundesbankpräsidenten Axel Weber) zum Vorteil der Bank war. Das Geldhaus ist für eine Blitz-Kapitalerhöhung an den Märkten gefeiert worden, die Marktkapitalisierung ist seit dem Machtwechsel um elf Milliarden Euro gestiegen. Doch andererseits muss man festhalten, dass dem enorme Rechtsrisiken gegenüberstehen, ohne die eine Blitz-Kapitalerhöhung zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht notwendig gewesen wäre. Dass diese Rechtsrisiken zum Großteil aus dem Investmentbanking stammen, belastet Jain schwer. Bei jedem neuen Skandal stellt sich die Frage, was er wusste und warum er es nicht verhindert hatte. Die Unsicherheit darüber, was noch alles auftauchen könnte, belastet die gesamte Bank, setzt es doch ein Fragezeichen darüber, ob Jain bleiben kann.

Die Bank versucht, mit ihrem "Kulturwandel" gegenzusteuern. Doch so sehr die Sprache ein Element jeder Kultur ist, die Bank sollte nicht der Versuchung erliegen, die Deutschkenntnisse Jains als Beweis dafür hochzustilisieren, dass Jain heute ein anderer ist als damals. Denn diese sagen über das, was die meisten Menschen wissen wollen, wenig aus.

Sie wollen wissen: Ist er im Herzen ein vorsichtiger deutscher Kaufmann - oder ist er eher ein Londoner Zocker? Darauf müssen die Deutsche Bank und Jain eine klare Antwort geben. Eine Scheinantwort reicht nicht aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: