Nach Zugunfällen:Dieser Mann setzt die Deutsche Bahn unter Druck

Nach Zugunfällen: Der Hinterbliebene Daniel Scheerer kämpft für mehr Sicherheit auf Deutschlands Schienen.

Der Hinterbliebene Daniel Scheerer kämpft für mehr Sicherheit auf Deutschlands Schienen.

(Foto: oh)
  • Vor einem Jahr ist Daniel Scheerers Mutter bei einem Zugunfall in Aichach bei Augsburg ums Leben gekommen. 2016 waren in Bad Aibling ebenfalls zwei Züge zusammengestoßen, zwölf Menschen starben.
  • Um solche Unfälle zu verhindern, fordert Scheerer von der Deutschen Bahn, ihr Schienennetz flächendeckend mit moderner Sicherheitstechnik auszustatten.
  • In zwei Petitionen will er jeweils 50 000 Unterschriften sammeln.
  • Die Bahn kündigte erste Schritte an, ältere Stellwerke nachzurüsten. Doch der Ausbau geht nur langsam voran.

Von Markus Balser und Klaus Ott

Diese Woche steht Daniel Scheerer ein trauriger Moment bevor: Der Cybersicherheitsexperte aus München wird am Dienstag das Grab seiner Mutter besuchen. Sie kehrte am 7. Mai 2018 nicht von einer Zugfahrt zurück. Scheerers Mutter starb mit 73 Jahren beim schweren Unfall in Aichach, einer Kleinstadt bei Augsburg. Um 21.15 Uhr fuhr ihr Zug in ein Gleis ein, das besetzt war. Die Regionalbahn prallte auf einen Güterzug. Auch ein Lokführer starb. Mit dem Vater, den Geschwistern und der eigenen Familie am Grab zu stehen, wird Kraft kosten. "Das war ein Trauerjahr", sagt Scheerer.

Seit dem Unfall hat sich der 51-Jährige zum Experten für die Sicherheit des Zugverkehrs in Deutschland entwickelt. Er hat die einschlägigen Passagen des Koalitionsvertrags und die Eisenbahnbau- und Betriebsordnung studiert. Scheerer hat Aufrufe für eine schnellere Modernisierung der Bahn veröffentlicht, Politiker angeschrieben und mit ihnen gesprochen. Alles mit dem Ziel, dass auch Nebenstrecken der Bahn sicherer - und mit neuester Technik ausgerüstet werden. Längst vorhandene Technik soll Unfälle wie in Aichach oder das verheerende Unglück in Bad Aibling in Oberbayern im Februar 2016 mit zwölf Toten endlich verhindern.

Bei einem Treffen in einem Münchner Restaurant wirkt er ruhig und nachdenklich. Er spricht leise. "Für mich ist das kein Rachefeldzug", sagt Scheerer. Privates erzählt er nur sehr dosiert. Etwa, dass seine beiden Kinder im Zug nun oft mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen. Weil das sicherer sei. Scheerer geht es darum, politisch etwas zu bewirken. Seine Mission: Eine moderne Bahn, flächendeckend, auf dem neuesten Stand der Technik.

Doch die Deutsche Bahn ist davon weit entfernt. Zum Verhängnis wurde Scheerers Mutter beim Unfall auch, dass ein Stellwerk ohne zusätzliche Sicherheitselektronik betrieben wurde. In solchen Fällen werden Fahrdienstleiter bei Problemen nicht automatisch gewarnt. Der Fahrdienstleiter, der damals für Aichach zuständig war, hat einen Strafbefehl bekommen. Wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen sowie fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen. Doch Scheerer macht ihm keine Vorwürfe. Er gibt die Schuld eher der Bahn, wegen veralteter Technik. Deren technischen Rückstand beschreibt er mit einem drastischen Vergleich. "Bei manchen Autotunnels hätten wir Fackeln an den Wänden statt einer modernen Beleuchtung, wenn die Regeln so wären wie bei der Bahn."

Zugunglück mit zwei Toten bei Aichach

Tödliche Kollision zweier Züge: Helfer im Mai 2018 am Unfallort nahe dem Bahnhof von Aichach.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Das mag auf den ersten Blick übertrieben wirken. Doch bundesweit gibt es noch 1200 Stellwerke ohne zusätzliche elektronische Absicherung. Wie vor 100 Jahren müssen Fahrdienstleiter vielfach auf Sicht arbeiten. Die Bahn will bis 2023 nun 600 "ältere" Stellwerke für 90 Millionen Euro nachrüsten. Künftig werde der Bahnmitarbeiter vor Ort durch Technik unterstützt. Unterlaufe dem Fahrdienstleiter beim Hinsehen ein Fehler, könne die Technik die Einfahrt bei besetztem Gleis blockieren, erklärt ein Bahnsprecher. Die Technik sei in zwei Pilotstandorten in der Prüfung. Ziel sei es, noch dieses Jahr die Umrüstung von bis zu 50 Stellwerken "auf den Weg zu bringen". Bis 2023 sollten 600 nachgerüstet werden.

Doch damit ist auch klar: In 600 anderen bleibt alles beim Alten. Eine Nachrüstung aller Stellwerke sei wirtschaftlich nicht möglich, heißt es bei der Bahn. Man habe die Stellen nach Tempo und Zahl der Züge ausgewählt und der Frage, ob Züge sich an den Stellen kreuzen und ob viele Personenzüge unterwegs seien. Doch reicht das aus?

Auch Behörden sehen Probleme: Nach dem Zusammenstoß der Züge bei Bad Aibling hatte die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung in einem Bericht eine Reihe von technischen und organisatorischen Mängeln aufgezeigt, die Fehler des dortigen Fahrdienstleiters begünstigt hätten. Der Fahrdienstleiter hatte mit seinem Handy gespielt, war abgelenkt und hatte eine eingleisige Strecke für zwei entgegengesetzt fahrende Züge freigegeben. Er musste wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung ins Gefängnis.

Nachdem im Juni 2017 im niedersächsischen Leese-Stolzenau zwei Güterzüge kollidierten, empfahl die Behörde, die Hauptgleise von Bahnhöfen je nach Risikolage mit elektronischen Anlagen nachzurüsten, die Gleise automatisch als frei melden. Doch selbstverständlich sind die noch immer nicht. Eine Empfehlung ist schließlich noch keine Verpflichtung. Der Verkehr sei dennoch sicher, heißt es bei der Bahn.

50 000 Unterschriften will Daniel Scheerer sammeln. Das ist ihm zuzutrauen

Für Scheerer ist die Ankündigung, dass ein Teil der Stellwerke nachgerüstet wird, in jedem Fall nur ein erster Schritt. Er will mehr. Er will demnächst zwei Petitionen für eine bessere Bahn starten, mit dem Ziel, jeweils mindestens 50 000 Unterschriften zu sammeln. Schafft Scheerer das binnen vier Wochen, darf er sein Anliegen wohl selbst im Petitionsausschuss des Bundestags vortragen. Es geht um zwei Ziele. Erstens: Die von 1967 stammende und zuletzt 2017 geänderte Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung müsse endlich Steuer- und Sicherheitstechnik nach dem Stand der Technik vorschreiben. Zweitens: Das Schienennetz, das die Bahn-Tochter DB-Netz betreibt, müsse wieder direkt dem Staat gehören. Nur so könne der Bund sicherstellen, dass mehr Steuergelder in den Ausbau und die Sicherheit der Schiene investiert und nicht in Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 landeten. Andernfalls müsse das Bundesverkehrsministerium die unternehmerische Aufsicht über die Bahn an das Finanzressort abgeben und sich auf die technische und verkehrspolitische Kontrolle beschränken. "Sonst macht man den Bock zum Gärtner." Wer mehr Geld in die Sicherheit und auch sonst in die Modernisierung der Bahn stecke, bekomme erst einmal weniger Rendite. Die widersprüchlichen Interessen müssten getrennt werden.

50 000 Unterschriften sind Scheerer zuzutrauen. Er kann sehr hartnäckig sein. Hans Reichhart, Bayerns Minister für Wohnen, Bau und Verkehr, hat Scheerer zu sich ins Büro eingeladen. Reichhart habe zugehört und ihm die durchaus komplizierten Strukturen bei der Bahnpolitik in Deutschland erklärt. Da habe er, sagt Scheerer, "große Hilflosigkeit" empfunden. "Das Problem liegt in Berlin." Dort hat es Scheerer noch nicht bis in die Regierung geschafft. Er hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angeschrieben, ein Mitarbeiter habe geantwortet. Scheuer feiere gerne neue Autobahnanschlüsse statt mehr für die Bahn zu tun.

Am Dienstag trifft sich die Branche nun zu einem Schienengipfel in Scheuers Ministerium. Ganz oben auf der Agenda steht allerdings nicht die Sicherheit. Es geht unter anderem um mehr Fahrgäste - und mehr Wettbewerbsfähigkeit.

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