Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau:Die Bahn ist mitverantwortlich für die Wohnmisere

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Die Deutsche Bahn will Wohnungen in den Großstädten bauen, um diese für ihre Mitarbeiter erschwinglich zu machen. Damit versucht sie aber nur Fehler auszugleichen, die sie früher gemacht hat.

Kommentar von Benedikt Müller

Die Deutsche Bahn hat ein soziales Problem der Zeit erkannt: Ausgerechnet jene Menschen, die Städte am Laufen halten - zum Beispiel Lokführer - können sich die Mieten in vielen Metropolen nicht mehr leisten. Seit Jahren ziehen viele Menschen in die Ballungsräume, doch der Neubau kommt kaum hinterher. Viele Beschäftigte müssen deshalb weite Strecken zur Arbeit zurücklegen.

Daher plant die Bahn nun eine sogenannte Wohnraumoffensive. Der Staatskonzern will prüfen, auf welchen seiner Grundstücke neue Wohnungen entstehen könnten. Auch will die Bahn Beschäftigten, die für eine Aus- oder Weiterbildung umziehen, mehr Apartments günstig zur Verfügung stellen.

Derlei Pläne könnten anderen Firmen zwar durchaus als Beispiel dienen. Doch leider taugt die Bahn bislang überhaupt nicht als Vorbild, wie man eigene Immobilien zum Wohle der Gesellschaft einsetzt. Im Gegenteil: Der Konzern, der noch immer komplett dem Bund gehört, trägt eine Mitverantwortung für so manches, was auf dem Wohnungsmarkt schiefläuft. Die "Offensive" birgt deshalb eine bittere Ironie.

Die Bahn hat einst Grundstücke fahrlässig verkauft. Was sie jetzt plant, ist vorbildlich

Denn bis 2001 besaß die Bahn selbst noch mehrere Zehntausend Wohnungen für ihre Beschäftigten. Sie stand damit in guter Tradition: Industriekonzerne wie Krupp oder Siemens hatten seit Mitte des 19. Jahrhunderts ganze Arbeitersiedlungen errichtet. Doch hat der Staat die Mietshäuser aus dem Eisenbahnvermögen damals für gut vier Milliarden Mark verkauft. Ein Großteil ging damals an die Immobilienfirma Deutsche Annington, die nach weiteren Käufen nun Vonovia heißt und an der Börse etwa 24 Milliarden Euro wert ist.

So hat die Bahn eine Reihe an Privatisierungen ausgelöst; viele Unternehmen verkauften ihre Wohnungen, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Heute, da Wohnungen vielerorts knapp sind, protestieren erste Städter gegen die Geschäfte von Immobilienkonzernen wie Vonovia.

Zwar sicherte sich die Bahn - wie andere Konzerne - Belegungsrechte in einigen der Mietshäuser, die sie verkaufte. Doch wer Immobilien verkauft, der gibt den Hebel für eine soziale Stadtentwicklung aus der Hand: Er entscheidet nicht mehr, wie Häuser in Schuss gehalten und modernisiert werden, ob Siedlungen aufgestockt oder verdichtet werden. Wer nur Belegungsrechte kauft, der schafft selbst keine Wohnungen, die den Markt entlasten.

Zum anderen ist die Bahn seit jeher einer der größten Grundbesitzer in Deutschland. Doch hat sie schon in den vergangenen Jahren viele alte Güter- oder Rangierbahnhöfe abgerissen, die Flächen aufbereitet und verkauft. Dafür war vor allem die einstige Tochterfirma Aurelis zuständig, die längst ebenfalls privatisiert ist. Auf den Flächen entstanden Siedlungen wie das Europaviertel in Frankfurt, mit Einkaufszentrum, vielen gehobenen Eigentumswohnungen und Luxuswohntürmen, die sich weder ein Lokführer noch ein Zugbegleiter leisten könnte. Das liegt freilich auch daran, dass die Städte erst nach und nach erkennen, dass sie Vorkaufsrechte nutzen können und den Bauherren Vorgaben machen sollten für lebendige Quartiere mit bezahlbaren Mieten.

So bleibt die traurige Erkenntnis, dass die Bahn selbst keine geeigneten Grundstücke mehr besitzt, auf denen schnell Wohnungen entstehen könnten. Das bundeseigene Unternehmen hat längst die Filetstücke veräußert, die es jetzt so dringend bräuchte. Die Offensive kommt, wie so manches bei der Bahn, reichlich spät. Sie ist ein trauriges Beispiel für einen fahrlässigen Umgang des Staats mit eigenem Grund und Boden - einem Gut, das in den Städten immer teurer wird und das sich nicht einfach vermehren lässt.

Dennoch gilt das Sprichwort: besser spät als nie. Wenn die Bahn tatsächlich Baurechte für verbliebene Grundstücke erhält und neuen Wohnraum für Beschäftigte schafft, dann ginge sie endlich wieder mit gutem Beispiel voran. Denn wo ein Unternehmen kein teures Bauland kaufen muss, können tatsächlich günstige Wohnungen entstehen. Mittelständler, die noch immer eigene Wohnungen an ihre Beschäftigten vermieten können, oder kommunale Betriebe, die wieder vermehrt Mitarbeiterwohnungen bauen, sehen darin jedenfalls einen Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte in den Städten.

Dass die Bahn sogar erwägt, Parkplätze zu überbauen, mag zwar für so Manchen befremdlich klingen. Doch haben Architekten schon an manch scheinbar unmöglicher Stelle gute Gebäude entworfen. Und je teurer eine Stadt wird, desto weniger ebenerdige Parkplätze oder einstöckige Supermärkte sollte sie sich leisten.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2019
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