Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Suche Bewerber, biete mehr Geld

Der Tarifabschluss mit der GDL kostet die Bahn viel Geld, aber sie hatte keine Wahl: Der Konzern braucht dringend neue Leute - und irgendwann dann auch wieder Fans.

Kommentar von Henrike Roßbach

Die Deutsche Bahn taucht in vielen Witzen auf und muss sich einige Vergleiche gefallen lassen. Aus dem Munde eines SPD-Bundespolitikers kam kürzlich der hinzu, dass die Bahn und seine Partei doch manches gemeinsam hätten: Beide gebe es schon ziemlich lange, es werde viel über sie gemeckert - doch niemand wolle sie missen.

Unübersehbar aber haben SPD und Bahn noch eine Gemeinsamkeit: Sie liegen darnieder. Das Siechtum der Sozialdemokratie zeigt sich an 15 Prozent in den Umfragen, das der Bahn an 30 Prozent unpünktlicher Züge. Insofern ist es erfreulich, dass den Bahnkunden wenigstens ein Streik erspart bleibt - und zwar für gut zwei Jahre. Denn nach der Verkehrsgewerkschaft EVG hat sich die Bahn nun auch mit den Lokführern der GDL über einen Tarifvertrag geeinigt.

Billig ist die Bahn, die einen bedenklichen Schuldenberg angehäuft und einen hohen Investitionsbedarf hat, nicht davongekommen. 6,1 Prozent mehr Geld in zwei Stufen, eine hohe Einmalzahlung, höhere Zulagen, die Möglichkeit, statt der zweiten Gehaltssteigerung mehr Urlaub zu wählen - das ist erfreulich für die Bahner. Für den Konzern aber ist es teuer. Trotzdem blieb ihm letztlich nichts anderes übrig: Die Bahn braucht dringend neue Leute - und zwar sehr viele. Um die aber in den Konzern zu locken, muss sie gute und gut bezahlte Arbeitsbedingungen bieten.

Ein positiver Effekt der Tarifeinigung: Das Bahnmanagement kann sich nun seinen sonstigen Problemen widmen. Und die sind ähnlich zahlreich wie die Varianten beim Durchsagenbingo, mit dem Zugreisende sich die Zeit vertreiben können ("Störungen im Betriebsablauf", "defektes Triebfahrzeug", "Weichenstörung", "umgekehrte Wagenreihung" - das Übliche). Zu wenige funktionierende Züge, große Baustellen auf wichtigen Strecken, ein sanierungsbedürftiges Netz, eine Konzernstruktur, in der offenbar zu viele Köche ihr eigenes Süppchen kochen dürfen, schlechte Zahlen im Güterverkehr - es wird höchste Zeit, dass Bahn-Chef Richard Lutz die Dinge in den Griff bekommt.

Die Bahn braucht einen kleinen Schubs in Richtung Verkehrsträger der Zukunft

Und dann ist da noch der Bund, dem die Bahn gehört. Dass die Politik die Geduld mit der Bahn verliert, ist verständlich. Trotzdem wird die Bundesregierung Geld nachschießen müssen. Milliarden sind notwendig, um der Bahn wenigstens einen kleinen Schubs zu geben in Richtung Verkehrsträger der Zukunft. Außerdem muss die Politik endlich entscheiden, was für eine Bahn sie will: die umweltfreundliche Bürgerbahn, die daseinsvorsorgend an jedem Bahnhöfchen hält und das zu möglichst günstigen Fahrkartenpreisen? Oder einen internationalen, hocheffizienten Konzern, der Rendite abwirft für den Bundeshaushalt?

Beim Thema Geduld mit der Bahn fällt einem dann aber doch noch mal der Kunde ein. Der Pendler zum Beispiel, der frustriert auf die verspätete S-Bahn wartet. Oder die ICE-Reisenden, die viel Geld für Ticket und Reservierung gezahlt haben und nun in einem Ersatzzug im Gang stehen. Deren Geduld ist erschöpft, und für nicht wenige ist das Bahnversagen inzwischen Staatsversagen. Das aber ist gefährlich. Die Bürger haben keine Lust mehr, die Segnungen der Digitalisierung vorgebetet zu bekommen, wenn sie gleichzeitig zu Hause keinen Handyempfang haben und der Livestream ruckelt. Und genauso kriegen sie schlechte Laune, wenn man ihnen erklärt, wie schlecht Autofahren und Fliegen für die Umwelt ist, während sie am Bahnsteig frieren. Aus kleinen Frusterfahrungen des Alltags kann schnell eine schwer wieder einzufangende Unzufriedenheit mit dem großen Ganzen werden. Die Bahn ist in diesem Panorama vielleicht nur ein Mosaikstein. Aber einer, der das ganze Bild ruinieren kann.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019/vit
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