Die erste Meldung setzte der Twitter-Account "Deutsche Bahn Verkehrsmeldungen" um 7.21 Uhr am Samstagmorgen ab. Der vordere Teil des Satzes hört sich wenig dramatisch an: "Aufgrund einer Reparatur an der Strecke ...". Alltag bei der Bahn. Keine Vielfahrerin und kein Pendler, die so etwas schocken würde. Der hintere Teil des offenbar sehr eilig getwitterten und mit einem Fehler versehenen Satzes ist dann aber ein echter Hammer: "... in ganz Norddeutschland derzeit keine Zugfahrten möglich".
Wie bitte?
Vielleicht ist es Glück, dass sich das Schlamassel am Samstagmorgen ereignet. Einer, wie Bahn-Fachleute sagen, verkehrsschwachen Zeit. So nimmt zu dieser frühen Stunde noch kaum jemand Notiz von dem Tweet und es dauert fast eine Stunde, bis sich das Ereignis als News in den Nachrichtenagenturen niederschlägt. Um 8.21 Uhr verschickt die Deutsche-Presse-Agentur eine Eilmeldung mit der Überschrift: "Derzeit kein Fernverkehr in Norddeutschland."
Zu diesem Zeitpunkt haben sich an den Hauptbahnhöfen in Hamburg, Hannover und Bremen längst lange Schlangen von den Info-Points und Reisezentren gebildet. Auf Fotos sieht man Menschenmassen in den Bahnhofshallen stehen, viele von ihnen, so berichtet es die dpa etwa aus Hannover, blicken kopfschüttelnd auf die große Anzeigetafel, auf der die Verbindungen angezeigt werden. Draußen bilden sich am Taxistand Grüppchen, die versuchen, als Fahrgemeinschaften per Taxi in die nächste Großstadt zu gelangen.
Betroffen seien Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Hamburg, heißt es von der Bahn. Von dort oder nach dort könnten keinerlei ICE, IC oder EC-Züge fahren. Die Ausfälle hätten daher Folgen für den gesamten Fernverkehr in Deutschland. Auch Teile des Regionalverkehrs im Norden seien betroffen.
"Sabotage an Kabeln, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind"
Langsam sickert durch, was die Ursache für den Totalausfall sein soll: eine Störung am Digitalfunknetz. Das wird unter anderem für die Steuerung der Fernzüge gebraucht. Es handelt sich um ein kritisches System, das besonders geschützt ist. "Es dient der Kommunikation zwischen den Leitstellen, die den Zugverkehr steuern, und den Zügen und ist damit unverzichtbarer Bestandteil für den reibungslosen Zugverkehr", erklärt eine Bahnsprecherin.
Ein leitender Mitarbeiter der Bahn veröffentlicht auf Twitter eine Karte, die grob jene Bereiche zeigt, in denen der Digitalfunk nicht funktioniert. Auf ihrer Website listet die Deutsche Bahn auf, welche Strecken im Einzelnen betroffen sind. Das Unternehmen bittet Reisende, sich dort oder über die DB-Navigator-App auf dem Laufenden zu halten.
Zwei Stunden später folgt dann eine - freilich recht vorsichtig formulierte - Entwarnung. Man habe die Störungen behoben, so die Bahn. Es werde aber in den kommenden Stunden noch zu Verspätungen und Zugausfällen kommen.
Was genau die Störung ausgelöst hat, ist lange unklar. Auf die Frage nach einer möglicherweise gezielten Störung heißt es aus Sicherheitskreisen zunächst nur, die Untersuchungen liefen. Später ist von einem Kabelschaden die Rede. Es gehe um ein sogenanntes Lichtwellenkabel. Die Bundespolizei ermittle. Das deutet darauf hin, dass die Ermittler die Möglichkeit einer gezielten Sabotage ernsthaft in Erwägung ziehen. Und schließlich bestätigt die Deutsche Bahn, dass aus ihrer Sicht Sabotage der Grund für den massiven Bahnausfall war: "Aufgrund von Sabotage an Kabeln, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind, musste die Deutsche Bahn den Zugverkehr im Norden heute Vormittag für knapp drei Stunden einstellen", bestätigt eine Sprecherin der SZ, und weiter: "Die zuständigen Sicherheitsbehörden haben die Ermittlungen aufgenommen."
Bundesverkehrsminister Volker Wissing spricht am frühen Nachmittag von einem, wie er mehrfach betont, "mutwilligen und gezielten Vorgehen": Es handle sich "eindeutig um eine vorsätzliche Tat", bei der wichtige Kabel an zwei Stellen "bewusst und gezielt durchtrennt" worden seien. Wo genau dies war und wie der Zugang zu den Kabeln war, sagt er nicht. Die Hintergründe der Tat seien noch nicht bekannt. Wissing kündigt intensive Ermittlungen an - und dass man sich in Zukunft bemühen wolle, die Kabel noch besser zu schützen.
In Hamburg verlässt um 10.49 Uhr als erster Fernverkehrszug der ICE 509 nach München den Hauptbahnhof, wie eine dpa-Reporterin berichtet. Er fährt mit einer Verspätung von einer halben Stunde los und ist stark überfüllt. Fast schon wieder Bahn-Routine also.