Deutsche Bahn: Rüdiger Grube:Die Herkules-Aufgabe

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Es ist der erste große Auftritt des neuen Bahn-Chefs: Rüdiger Grube muss an diesem Donnerstag dramatisch schlechte Zahlen verkünden. Doch fallen sie auch auf ihn zurück?

Daniela Kuhr, Berlin

Natürlich wusste Rüdiger Grube, dass sein Job als Chef der Deutschen Bahn stressig werden würde. Politiker, Gewerkschaften, Kunden - bei wohl keinem anderen Unternehmen melden sich so viele Menschen zu Wort, reden so viele Menschen rein. Jeder hat eine Meinung zu dem Staatskonzern, jeder glaubt zu wissen, in welche Richtung es gehen müsste und was schiefläuft. Grube war sich darüber im Klaren, und doch übertraf die Realität seine Vorstellungen noch. "Die ersten dreieinhalb Monate waren eine größere Herausforderung für mich, als ich das für möglich gehalten hätte", räumt der 58-Jährige ein. "Die Vielfalt der Einzelthemen, mit denen ich mich befassen musste, hat mich doch überrascht."

Hat mit der Nachfolge von Hartmut Mehdorn kein leichtes Erbe übernommen: Rüdiger Grube. (Foto: Foto: dpa)

"Vielfalt der Einzelthemen", das klingt harmlos. Es waren regelrechte Hiobsbotschaften, die Grube seit seinem Amtsantritt am 4. Mai beschäftigten. Und eine jagte die nächste. Erst die immer neuen Details der Datenaffäre, über die sein Vorgänger Hartmut Mehdorn gestolpert war. Dann legte das Eisenbahn-Bundesamt wegen Sicherheitsbedenken kurzerhand zwei Drittel der Berliner S-Bahnen lahm. Zugleich liefen Auseinandersetzungen mit den Herstellern der ICE-Züge wegen mangelhafter Achsen. Auch wenn sich jetzt eine erste kleine Lösung abzeichnet, hat das die Bahn bislang einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Und schließlich drohen auch noch strenge Auflagen bei Güterzügen, die den ohnehin schon stark leidenden Güterverkehr weiter drücken würden. Dass Grube an diesem Donnerstag dramatisch schlechte Halbjahreszahlen präsentieren muss, fällt bei all dem kaum noch ins Gewicht.

Dabei verkündet niemand gern schwache Zahlen, schon gar nicht bei seinem ersten großen Auftritt als Vorstandschef eines international agierenden Konzerns. Grube kann sich allerdings damit trösten, dass man ihm die schlechten Zahlen nicht anlasten wird. Zum einen, weil er erst viel zu kurz dabei ist. Zum anderen, weil "die Krise nicht hausgemacht" ist, wie er selbst gern betont. Wenn die Stahlbranche leidet, dann gibt es folglich weniger Stahl, der quer durch Deutschland transportiert werden muss. Auch die Chemie- und die Autoindustrie verladen viel weniger als früher. Es ist also nur logisch, dass die Güterverkehr-Sparte der Bahn die Krise zu spüren bekommt.

Und dann gibt es noch einen weiteren Grund, warum Grube dem Auftritt an diesem Donnerstag relativ gelassen entgegensehen kann. Er hat ein entscheidendes Pfund, mit dem er wuchern kann, zumindest momentan noch: Obwohl der frühere Daimler-Manager bei der Bahn einen der schwierigsten Jobs in der deutschen Konzernlandschaft antrat, ist es ihm gelungen, bislang keine nennenswerten Fehler zu machen. Im Gegenteil. Das Zeugnis für Grubes erste hundert Tage fiel überwiegend sehr gut aus. Politiker loben seine freundliche, offene Art und den neuen, fairen Kommunikationsstil. Er höre zu, heißt es immer wieder. Gewerkschafter loben seine Wissbegier und sein Bestreben, auch zu den einfachen Angestellten Kontakt aufzunehmen. Und alle zusammen loben die Konsequenz, mit der Grube nach der Datenaffäre im Konzern aufgeräumt hat.

Vorstand radikal umgebaut

Unzählige Posten hat der Bahn-Chef seit seinem Amtsantritt neu besetzt. Im Vorstand baute er radikal um, aber auch in den Ebenen darunter entließ er Manager. Nahezu der komplette innere Führungszirkel um Mehdorn ist mittlerweile ausgetauscht. Parallel dazu schuf Grube zwei neue Vorstandsressorts: eines für Datenschutz und Recht sowie eines für Technik und Dienstleistungen. All diese Maßnahmen sollten den Neuanfang dokumentieren, den man sich von seiner Ernennung erhofft hatte. Inzwischen sind selbst viele der Stimmen verstummt, die seinen Start äußerst kritisch beäugt hatten. Schließlich galt Grube als Vertrauter von Mehdorn, seit er Anfang der 90er Jahre dessen Büroleiter bei der Dasa war. Doch womöglich hat diese Verbindung ihn bei seiner Aufräumaktion sogar noch befeuert. Vielleicht war er - gerade weil er wusste, dass man ihm eine gewisse Nähe zu Mehdorn unterstellte - besonders bemüht zu zeigen, dass er hart durchgreift.

Manchen allerdings reichen Grubes Personalmaßnahmen noch nicht. Auf der Ebene unterhalb des Vorstands hätte sich der ein oder andere Politiker oder Gewerkschafter noch ein paar mehr Entlassungen gewünscht - wegen angeblicher Verstrickungen in die Datenaffäre. Doch es war kein Wunschkonzert, das Grube in den vergangenen Monaten veranstaltet hat. Er gibt zwar gern den freundlichen Manager, der sich mit Gewerkschaftern und Politikern gut stellen will. Aber eines scheint er nicht zu sein: liebedienerisch.

Er habe von der Experten der KPMG sämtliche Vorwürfe mehrfach extern überprüfen lassen, sagt Grube. Den betreffenden Führungskräften sei nichts anzulasten gewesen. "Wenn sie aber nachweislich nicht gegen datenschutz-, strafrechtliche oder sonstige Vorschriften verstoßen haben, ist es meine Pflicht, mich vor meine Mitarbeiter zu stellen", sagt er. "Wer mich kennt, weiß, dass ich da neutral vorgegangen bin."

Bloß keinen Frust aufkommen lassen

Grube ist angetreten als ein Manager mit hohem ethischen Anspruch. Einmal erzählte er abends bei einem zwanglosen Treffen mit Journalisten an der Spree, wie er selbst sich im zweiten Bildungsweg hochgekämpft hat. Und wie wichtig es ihm gerade wegen dieser Erfahrung war, möglichst viele der bei der Bahn freigewordenen Stellen mit Bewerbern aus dem Haus zu besetzen. "Ich weiß, wie frustrierend es sein kann, wenn man das Gefühl hat, dass Leistung nicht belohnt wird." Wer so etwas erzählt, weckt Erwartungen. Erwartungen, an denen er sich messen lassen muss.

Noch gelingt ihm das ganz gut. Doch die wirklichen Bewährungsproben liegen erst vor ihm. Da ist die Wirtschaftskrise, die den Konzern ziemlich beutelt. Da ist das drastische Sparprogramm, das zwar noch unter Mehdorn beschlossen wurde, das Grube aber nun umsetzen muss. Nächstes Jahr stehen Tarifverhandlungen an. Und im Hintergrund, aber doch unübersehbar, steht immer noch der Plan, eines Tages an die Börse zu gehen.

Es warten also noch viele Baustellen auf Grube. Ihm aber ist wichtig zu betonen: "Ich habe ein Unternehmen übernommen, in dem ich sehr viel Positives vorgefunden habe." Die Bahn sei ein internationaler, kundenorientierter Konzern mit hochmotivierten Mitarbeitern. "Es ärgert mich, wenn der Eindruck erweckt wird, da sei alles nur negativ."

© SZ vom 20.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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