Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Ran an den Datenschatz

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Der Konzern hat eine neue Abteilung aufgebaut. Sie soll die vielen Informationen aufbereiten, die täglich anfallen, zu Ticketverkäufen, zur Technik, Wartung, dem Einkauf und Vertrieb. Das ist ein weiterer Schritt hin zur Digitalisierung.

Von Katharina Kutsche, München

Matthias Patz hat eine Geheimwaffe. So jedenfalls nennt er die kleine Abteilung der Deutsche Bahn-Tochter DB Systel in Frankfurt, die mit den großen Daten des Konzerns arbeitet. Das Geheimnis: Die Abteilung ist ein Inhouse-Start-up, eine hausinterne Unternehmenssimulation, zuständig für die Aufbereitung der Daten, die die Eisenbahner täglich produzieren.

Das sind nicht wenige: Daten zu Ticketverkäufen, Daten, die sich aus der Technik in den Zügen ergeben, Daten aus Wartung, Einkauf und Vertrieb. Big Data also, die in den mehreren hundert Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn entstehen, um deren strukturierte Auswertung sich aber bisher niemand kümmerte. Mit der Gründung des Inhouse-Start-ups namens Zero One Data soll diese Lücke geschlossen, die Digitalisierung im Konzern vorangetrieben werden.

Patz ist Leiter Innovation und New Ventures bei der DB Systel, deren 3500 Mitarbeiter für die Informations- und Kommunikationstechnologie bei der Bahn verantwortlich sind. In seinem Bereich ist auch Zero One Data angegliedert - kein wirkliches Start-up, sondern eine Abteilung, die vor eineinhalb Jahren gegründet wurde, die in der Hierarchie der DB Systel abgebildet ist und die über eine eigene Kostenstelle abgerechnet wird. "Das Team soll so frei agieren wie ein Start-up, ohne dass es erst eine Finanzierung aufbauen muss", sagt Patz.

Bisher seien die Abteilungen im Konzern nach den Fertigkeiten der Mitarbeiter organisiert, übergreifend werde nur projektbezogen gearbeitet. Die Besonderheit eines Start-ups sei aber, dass dort alles in einer Hand liege, Entwickler säßen neben Controllern, Einkäufer neben Personalern. So seien alle gezwungen, an der Wertschöpfung mitzuwirken. Nach diesem Prinzip ist auch Zero One Data aufgebaut: ein Teamleiter, zwölf Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen im Kernteam, projektweise kann die Gruppe auf bis zu 35 Mitarbeiter anwachsen.

"Intrapreneurship", also die Förderung von Unternehmertum im Unternehmen, sagt Patz "ist eine Managementansatz, bei dem eine Umgebung für Risikobereitschaft und Eigenverantwortung geschaffen wird." Auch wenn für die finanzielle Absicherung gesorgt ist, soll das Team unternehmerische Verantwortung zeigen. Das interne Start-up hat einen Geschäftsplan vorgelegt, wird anhand von Kennzahlen und Meilensteinen "hart geprüft", so Patz. Die Mitarbeiter machen die Akquise selbst, sie werben für ihr Produkt und seien im Konzern mittlerweile ein Begriff.

Bei der Digitalisierung hilft eine Tochter von Rocket Internet

Die Kunden von Zero One Data sind keine externen, sondern die Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn wie DB Regio, DB Fernverkehr, DB Cargo. Jede der Töchter produziert Unmengen von Daten, doch Synergien lassen sich erst dann erkennen, wenn man die Daten abteilungsübergreifend verschneidet. Eines der bisher erfolgreichsten Produkte von Zero One Data ist die Databox, eine konzerninterne Plattform zum sicheren Austauschen und Aufbewahren von Daten. Sie funktioniert wie ein Katalog; wer Daten benötigt, kann sie laden. Das Data-Start-up berät die Kunden bei der Auswertung, denn vielfach ist denen nicht bewusst, auf welchen ungehobenen Datenschätzen sie da eigentlich sitzen und welche Erkenntnisse sie daraus gewinnen könnten.

Zwar gebe es weiterhin Abteilungen, die wenig Motivation haben, ihre Daten zu teilen, aus Angst, jemand könne Inkonsistenzen oder fehlerhafte Datensätze entdecken, sagt Patz, aber: "Die abteilungsübergreifende Verfügbarkeit von und Transparenz über Daten im Konzern ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Digitalisierung."

Bei diesem Veränderungsprozess lassen sich Patz und sein Team von RCKT beraten. Die Partneragentur, eine Tochter der Start-up-Schmiede Rocket Internet, bietet Unternehmen unter anderem Workshops und Analysen zu Digitalthemen, digitaler Kommunikation und Produktentwicklung wie die Umsetzung von Plattformen. Nils Seger ist Mitgründer von RCKT, er sagt "die deutsche Wirtschaft besteht aus bewährten Geschäftsmodellen - zwar mit viel Wissen, aber der Schulterschluss mit neuen Varianten ist wichtig." Der Weg zur Digitalisierung bedeute sowohl das nötige Bewusstsein im Unternehmen zu schaffen, als auch junge Talente anzuwerben und dabei die älteren Mitarbeiter nicht aus den Augen zu verlieren. Ein hausinternes Start-up aufzubauen, sei aber nur eine Möglichkeit von vielen.

Wichtig sei, so Seger, ein "neues Unternehmertum mit mehr Risikobereitschaft zu schaffen." Die sei bei Dax-Konzernen oft nicht vorhanden, was an deren Kultur, Struktur und mangelnder Innovationsfähigkeit liege. Dabei sei die digitale Transformation nur ein Lernprozess, sagt Seger, dessen Agentur nicht nur die DB Systel berät. Den Kosmetikkonzern L'Oréal etwa begleitete RCKT bei der Markteinführung der Kosmetikmarke NYX. Dafür baute das Unternehmen ebenfalls ein internes Start-up auf und konzentrierte sich im Marketing vor allem auf digitale Kanäle.

Für die DB Systel hat sich das inhäusige Unternehmertum als Geheimwaffe bewährt, schließlich können die Start-up-Mitarbeiter auf einen bestehenden Stamm an Kunden und Partnern zurückgreifen. "Wenn man es zulässt, den Experimentiertrieb laufen zu lassen, kann man in integrierten Datenpools neue Korrelationen entdecken, um daraus neue Geschäftsmodelle ableiten zu können", sagt Innovationsleiter Patz.

Für die Stimmung in der Belegschaft hat das Modell noch einen weiteren Vorteil: Die Mitarbeiter haben erkannt, dass Intrapreneurship "eine willkommene Karrierealternative" ist, so Patz. Wer bei Zero One Data arbeiten möchte, muss sich bewerben - Nachwuchsprobleme gibt es nicht.

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SZ vom 27.02.2017
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