Deutsche Bahn: Investitionsstau:Das Signal steht auf Rot

Angst vor dem Verkehrsinfarkt: 46 dringliche Schienenprojekte sind auf absehbare Zeit nicht finanzierbar. Bahn-Experten überbieten sich mit Vorschlägen für eine Wende in der Verkehrspolitik.

Daniela Kuhr

Wegen der gewaltigen Finanzlücke bei Schienenprojekten fordern Verbraucherschützer eine komplett neue Bahn-Politik. "Jahr für Jahr werden Milliarden an Steuergeldern fehlgeleitet", sagt Holger Krawinkel, Verkehrsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Das Geld fließe nicht dahin, wo es am meisten benötigt werde, sondern dahin, wo das größte Prestige zu erwarten sei. "Das Ergebnis dieser Politik können wir täglich beobachten: Strecken sind überlastet, vor den Bahnhöfen staut sich der Verkehr, Züge verspäten sich und Kunden werden abgeschreckt."

Das Problem werde sich noch verschärfen, ist Krawinkel überzeugt: "Wenn der Güterverkehr nach der Krise wieder zunimmt, werden die Engpässe erst richtig zutage treten."

Gesamtkonzept notwendig

Die Verkehrspolitiker im Bundestag waren vergangene Woche alarmiert worden: Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte im Verkehrsausschuss eine Liste präsentiert, die alle bereits fest versprochenen Schienenprojekte enthält und deren Finanzierbarkeit darstellt. Das ernüchternde Ergebnis: Bei insgesamt 46 "vordringlichen" Schienenprojekten, die eigentlich bis 2015 fertig sein sollten, ist die Finanzierung nicht einmal gesichert, wenn man sie zehn Jahre verschieben würde.

Im Klartext: Die Politik hat eine ganze Reihe Projekte in den "vordringlichen" Verkehrswegeplan aufgenommen - und dort drohen sie nun in Vergessenheit zu geraten. Geld, um sie in Angriff zu nehmen, ist jedenfalls weit und breit nicht in Sicht.

Aus diesem Dilemma gibt es für Krawinkel nur einen Ausweg. "Das Bundesverkehrsministerium darf nicht mehr von Einzelprojekt zu Einzelprojekt planen, sondern muss ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept entwickeln, das den Klimaschutz miteinbezieht."

Es müssten Ziele für den Güter- , den Nah- und den Fernverkehr formuliert werden. "Anschließend schaut man sich das zur Verfügung stehende Geld an und überlegt, wie es optimal eingesetzt werden kann, um die Ziele zu erreichen", sagt Krawinkel. "Das Geld muss dahin fließen, wo der Bedarf am größten ist."

Das Schlüsselwort heißt Wettbewerb

Das klingt allerdings leichter, als es ist. Woher weiß man, wo der Bedarf am größten ist? Da wird jeder Politiker seine eigenen Vorstellungen haben. Krawinkel schlägt deshalb vor, das Verfahren zu objektivieren.

Das Schlüsselwort heißt Wettbewerb. "Wenn wir auf der Schiene mehr Wettbewerb hätten, gäbe es klare Knappheitssignale", sagt der Verbraucherschützer. "Dort, wo die Anbieter sich tummeln, muss ausgebaut werden. Denn dort ist das Nachfragepotential offensichtlich am größten."

Noch aus einem zweiten Grund wäre seiner Ansicht nach mehr Wettbewerb gut. "Da, wo wir ihn bereits haben, nämlich im Güter- sowie im Nah- und Regionalverkehr, da sind die Verkehrsleistungen in den vergangenen Jahren gestiegen", sagt Krawinkel.

Forderung nach einem Moratorium

Das zeige: Durch Wettbewerb werde das Angebot insgesamt besser, was die Nachfrage anziehen lasse. Im Fernverkehr dagegen, wo der Wettbewerb noch ganz am Anfang steht, seien die Verkehrsleistungen nur stabil geblieben. "Und das, obwohl in den vergangenen Jahren das meiste Geld in den Neu- und Ausbau diverser Hochgeschwindigkeitsstrecken geflossen ist."

Das Geld fließe also ausgerechnet in den Bereich, in dem die Bahn bislang keine Konkurrenz fürchten musste. "Wenn trotz Milliardeninvestitionen im Fernverkehr die Kundenzahlen nicht steigen, muss man sich schon fragen, ob das Geld gut investiert war", sagt Krawinkel.

Mit Blick auf die Finanzlücke beim Schienennetz fordert der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Winfried Hermann (Grüne) ein Moratorium. "Alle Projekte gehören überprüft", sagt er. Großbauten wie der Stuttgarter Hauptbahnhof müssten sofort ausgesetzt werden. "Sie blockieren auf Jahre hinaus die ohnehin schon knappen Mittel."

"Offenbarungseid"

Der FDP-Verkehrsexperte Patrick Döring plädiert dafür, dass die Bahn die Gewinne aus dem Schienennetz reinvestieren muss. Auch der Bundesrat unterstützt die Idee. Auf Initiative von Rheinland-Pfalz, Berlin und Brandenburg befasste er sich am Freitag mit der Bahn.

"Die Netzentgelte müssen zu 100 Prozent wieder in die Schiene gesteckt werden", sagt der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Hendrik Hering (SPD) zur SZ. "Es kann nicht sein, dass die Bahn, die jährlich 2,5 Milliarden Euro Zuschüsse bekommt, die Einnahmen aus dem Netz als Gewinn verbucht." Grubes Liste von unfinanzierbaren Projekten bezeichnete er als "Offenbarungseid".

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