Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Wohin nur mit den Milliarden für die Schiene?

  • Die Deutsche Bahn weiß nicht wohin mit den ganzen zusätzlichen Milliarden.
  • Allein für die Planung und Verwendung der Mittel müssten 900 neue Stellen geschaffen werden.

Von Markus Balser

Der Termin Mitte September sollte ein Zeichen setzen. Es ging um den Aufbruch in eine grünere Ära. Die Bahn hatte an den Berliner Ostbahnhof geladen, Konzernchef Richard Lutz stand vor einem weißen ICE mit rotem Streifen. Die Bahn sei vermutlich der größte Klimaschützer im Verkehr - und wolle auch der schnellste sein, sagte Lutz. Man ändere da gerade etwas beim Staatskonzern. Alle 280 ICE des Konzerns, kündigte Lutz feierlich an, sollten künftig statt eines roten einen grünen Streifen tragen - wenigstens ganz vorne und ganz hinten. Wenn die Bahn Neues zu verkünden hatte, dann ging es zuletzt eher um kleine Schritte. Manchmal auch nur um Symbole. Denn mit Ökostrom fahren die Fernverkehrszüge des Konzerns eigentlich schon seit dem vergangenen Jahr. Spätestens seit den Klimabeschlüssen der großen Koalition vom Freitag ist klar: Das reicht nicht mehr. Denn die Bahn ist im Verkehrssektor zum wesentlichen Hoffnungsträger für den Klimaschutz geworden. Das ist ganz offenbar auch für die Bahn selbst in dieser Dimension überraschend. Man sei schon etwas perplex gewesen über die Höhe manches Ausgabeversprechens, heißt es aus dem Management.

Bis 2030 fließen allein aus dem Klimapaket nun zusätzlich 20 Milliarden Euro an die Bahn. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts könne der Konzern inklusive eigener Mittel insgesamt 156 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investieren, sagt der zuständige Vorstand Ronald Pofalla. In den obersten Stockwerken der gläsernen Bahnzentrale am Potsdamer Platz sieht sich die Konzernchefetage nun mit einem ungewöhnlichen Problem konfrontiert: Denn so viel Geld muss man binnen zehn Jahren erst mal geordnet und sinnvoll ausgeben.

Da sind etwa 86 Milliarden Euro für den Betrieb und Erhalt des Schienennetzes in den nächsten zehn Jahren. 62 Milliarden davon kommen vom Bund, der seine Ausgaben dafür um 50 Prozent aufstockt. Weil die Bahn nun plötzlich viel mehr Bauprojekte realisieren kann, muss sie ihr Personal schnell aufstocken. Das Unternehmen brauche in den technischen Bereichen schnell 900 neue Mitarbeiter etwa für Planung und Ausschreibung, erklärt Pofalla. Ohne mehr Leute wäre die Erneuerung kaum zu schaffen. Gefragt sind schon in den nächsten Jahren ziemlich große Schritte. An vielen Stellen im 33 000 Kilometer langen Schienennetz gibt es enormen Investitionsbedarf. Weil die Bahn 2030 mit 260 Millionen Fahrten jährlich doppelt so viele Passagiere befördern soll wie heute, müssen die großen Bahnknotenpunkte rund um Großstädte ausgebaut und wichtige Trassen erweitert werden. Pofalla setzt vor allem auf den Ausbau der neuralgischen Knotenpunkte wie den Hamburger Hauptbahnhof, die Korridore Köln - Dortmund und Fulda - Mannheim. Hinzu kommt die Sanierung der bröckelnden Infrastruktur. Bis 2030 will die Bahn nun allein 2000 Brücken auf Vordermann bringen. Zudem sollen die Züge 2030 weitgehend automatisch - und deshalb im dichteren Takt - fahren können.

Bahn und Politik wissen: Die Verkehrswende ist ohne mehr Schienenverkehr nicht zu schaffen. Mit dem Bahnverkehr in seinem gegenwärtigen Zustand aber auch nicht. Die schlechte Infrastruktur gilt als Grund für massive Qualitätsprobleme und Verspätungen. Im August kam jeder vierte Fernverkehrszug der Deutschen Bahn unpünktlich. Am Jahresanfang war es wenigstens nur jeder fünfte. Beim Güterverkehr ist die Lage noch viel schlimmer: Da schrumpft die von der Bahn transportierte Frachtmenge, obwohl der Warenverkehr ständig zunimmt. Er rollt vor allem über die Straße.

In zehn Jahren soll ein neuer Takt auf Haupttrassen große Städte halbstündig verbinden

Das zusätzliche Geld weckt hohe Erwartungen. Doch der Ausbau wird dauern, die Verbesserungen für Kunden werden in den nächsten Monaten kaum zu spüren sein. Nach 75,2 Prozent aller Züge im August sollen im Gesamtjahr 76,5 Prozent pünktlich fahren. Im kommenden Jahr peilt die Bahn laut Vorstand Pofalla weiter 78 Prozent an. Erst in gut zehn Jahren soll sich für die Kunden dann Großes getan haben. Zentral von Computern gesteuert will die Bahn bis dahin auf Haupttrassen einen neuen Takt anbieten, der große Städte alle halbe Stunde verbindet - mit einigen Hundert zusätzlichen Fernzügen. Auch der Güterverkehr soll bis dahin um 70 Prozent wachsen.

Im Verkehrsministerium, aber auch im eigenen Aufsichtsrat rätselt man allerdings, wie genau die Bahnführung das eigentlich erreichen will. Denn selbst die hohen Summen reichten für eine solche Zeitenwende nicht aus, sagt ein Kontrolleur.

Auch der Aufsichtsratsvizechef Alexander Kirchner von der größten Bahngewerkschaft EVG warnt davor, alle Zusagen des Bundes schon für bare Münze zu nehmen. Es handele sich dabei "oftmals um Absichtserklärungen, die in der Umsetzung, vor allem aber in der Finanzierung vage bleiben", kritisiert Kirchner. Die Verdopplung des Personenverkehrs auf der Schiene und deutliche Steigerungen im Schienengüterverkehr würden so nicht realisiert. Noch stehen die finalen Beschlüsse der Regierung aus. Bei der Bahn soll ab Oktober aber wenigstens schon mal ein neuer Posten entstehen. Die für die Schieneninfrastruktur verantwortliche Tochter will ein Vorstandsressort schaffen, das sich allein um den Ausbau der Kapazitäten des Netzes kümmern soll. Den Posten übernimmt Christian Gruß. Der Mann kennt sich aus mit komplexen Problemen: Er war zuvor unter anderem für den Fahrplan der Bahn verantwortlich.

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SZ vom 27.09.2019/mxh
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