Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bahn:Der Neue ist da

Die Trendwende ist geschafft, 2016 hat die Bahn wieder Gewinn gemacht. Nun muss Bahnchef Richard Lutz eine Strategie finden, die den Konzern mit fahrerlosen Autos konkurrieren lässt.

Von Markus Balser, Berlin

Der Ort seines ersten großen öffentlichen Auftritts war mit Bedacht gewählt: Die Bilanz-Pressekonferenz der Deutschen Bahn fand am Donnerstag nicht wie üblich in schicken Konferenzräumen in Berlin-Mitte statt. Der Milliardenkonzern verlegte die Präsentation kurzerhand in ein graues Gewerbegebiet im Osten Berlins. Und so bauten TV-Sender Kameras und Mikrofone am Donnerstag zwischen zwei ICE im Betriebswerk Rummelsburg auf.

Seit 100 Jahren wartet die Bahn hier ihre Züge. Nun soll am Berliner Stadtrand eine viel weit reichendere Erneuerung starten. Erst am Mittwoch hatte der Aufsichtsrat Richard Lutz zum neuen Chef des Staatskonzerns gemacht. Der 52-Jährige Betriebswirt soll schaffen, was Rüdiger Grube nur zum Teil gelang: Aus der angeschlagenen Bahn wieder einen Konzern zu machen, der dauerhaft Geld verdient und mit dem die Kunden gerne reisen. Das Podium zwischen zwei weiß-roten Triebwagen lässt den neuen Chef in der Werkshalle einen Tag später klein aussehen. Was Lutz an diesem Morgen sagt, klingt demütig: Egal ob Pünktlichkeit, Reisenden-Information, Fahrzeug- und Bahnhofsqualität. "Wir sind noch lange nicht am Ziel." Immerhin lässt der Konzern die ganz große Krise an diesem Morgen hinter sich. Mehr als eine Milliarde Verlust hatte die Bahn im vergangenen Jahr gemeldet. Der neue Bahnchef verkündet für das vergangene Jahr nun einen Gewinn von 700 Millionen Euro. "Wir haben die Trendwende geschafft", ist sich Lutz sicher. Auch der Umsatz des Unternehmens steigt leicht auf rund 41 Milliarden Euro.

In drei Phasen soll der Konzern sich jetzt wandeln. Die Strategie sieht einen Umbau bis 2030 vor

Die Zahlen machen klar, welche Bedeutung Lutz' Posten hat. Trotzdem haben nur wenige eine genaue Vorstellung davon, was für ein Riesenreich der neue Bahnchef einige Kilometer von Rummelsburg entfernt aus seinem Büro weit oben im Bahn-Tower am Potsdamer Platz steuern muss - mit Blick auf das Bundeskanzleramt und den größten deutschen Bahnhof: 300 000 Mitarbeiter in 130 Ländern. 40 000 Züge und genauso viele Busse. 6000 Bahnhöfe.

Lutz kennt den Konzern seit Jahren. Er ist seit 2010 Finanzvorstand bei der Bahn. Im Konzern aber arbeitet er schon seit 1994. Was er an diesem Morgen so nicht sagt. Auch die Probleme sind riesig. Rund 174 Millionen Verspätungsminuten hat die Bahn 2015 eingefahren. Im vergangenen Jahr war es nur etwas besser. Das Geschäft mit Fahrgästen und Gütern auf der Schiene gerät zunehmend unter Druck, weil vergleichsweise günstiger Treibstoff Busse und Laster noch immer billiger macht. Der Schuldenberg des Konzerns ist in so besorgniserregende Höhen geklettert, dass die Bundesregierung neues Geld zuschießt. Lutz weiß: Seine Bahn ist ein angeschlagener Riese. Einer, der sich radikal ändern muss, um sich zu behaupten. Besonders bei der Personenbeförderung läuft es nicht rund. Die Flotte aus ICE, IC und Regionalzügen macht jede Menge Ärger. Ständig fallen Verbindungen aus, bekommen Reisende falsche Informationen, sind Toiletten unbenutzbar. In drei Phasen soll der Konzern sich jetzt wandeln. Die Strategie sieht einen Umbau bis 2030 vor. Die Bahn soll Kunden dann nicht nur von Haltestelle zu Haltestelle, sondern mit einer vernetzten Autoflotte sogar von Tür zu Tür bringen. Die Digitalisierung ist längst so weit, dass sie auch im Geschäft mit Mobilität vieles revolutionieren kann. Was wird aus der Bahn, wenn Autos automatisch fahren? Was, wenn ganz andere Anbieter die Fahrgäste plötzlich zu Hause abholen? Solche Fragen klärt neuerdings ein Führungszirkel mit dem Kürzel "ZuBa" - Zukunft Bahn. Lutz deutet nur an, dass auf die Bahn damit eine Revolution zurollt. "Die Automatisierung des gesamten Bahnbetriebs treiben wir dazu weiter voran." Fast Acht Jahre regierte Vorgänger Rüdiger Grube den Konzern: diszipliniert, mit ruhiger Hand, menschlich und um einiges leiser als sein Vorgänger Hartmut Mehdorn. Grube hat die Bahn beruhigt. Für Lutz gibt es einen neuen Auftrag der Politik: Da soll eine neuer Konzern entstehen.

Als Nachfolger des impulsiven Rüdiger Grube wirkt Lutz bescheiden und überlegt. Lutz kündigt keinen radikalen Umbau an. Stattdessen bescheinigt er den Bahn-Mitarbeitern Aufbruchsstimmung. Lutz hat früh gelernt, strategisch vorzugehen. Er war einer der besten Schach-Nachwuchsspieler und Vize-Meister in Deutschland. Bei der Bahn gilt er vor allem als Finanzstratege. Bei seinem ersten großen Auftritt will er aber noch etwas anderes sein. "Vielleicht wissen Sie, dass ich aus einer Eisenbahnerfamilie aus der Pfalz stamme", sagt der Bahnchef. Sein Vater hat im Bahn-Ausbesserungswerk Kaiserslautern gearbeitet. Die neue Aufgabe sei schon deshalb auch eine Herzensangelegenheit, sagt Lutz.

Ob öffentliche Auftritte das auch sind? Wohl kaum ein Vorstandsvorsitzender steht so oft im Rampenlicht wie der Bahnchef. Von Lutz aber sind bislang kaum öffentliche Auftritte bekannt, auch nicht als er nach Grubes plötzlichem Abgang im Januar kommissarisch an der Spitze des Unternehmens stand. Den ersten großen beendet Lutz am Donnerstag vor den Zügen mit einem Versprechen. Er kündige nicht an, "dass sich jetzt alle Probleme bei der Bahn in Luft auflösen werden", sagt Lutz. Er wolle aber mit dem gesamten Vorstand "mit aller Energie daran arbeiten", die Deutsche Bahn "Stück für Stück besser zu machen".

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SZ vom 24.03.2017
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