Deutsche Bahn: Datenskandal:Die schwarze Liste

Feindbeobachtung eines Staatskonzerns: Mitarbeiter, die mit Kritikern von Bahn-Chef Mehdorn in E-Mail-Kontakt standen, wurden mittels Hit-Words ausgespäht.

M. Bauchmüller, H. Leyendecker u. K. Ott

Geheimdienste verwenden bei der Suche nach verdächtigen Vorgängen Wortbanken, die mit bestimmten Begriffen ("Hit-Words") gespeist sind. Wenn etwa in E-Mails von "Rakete" die Rede ist, wird die Nachricht von Spezialisten der elektronischen Aufklärung gesichert und von deren Kollegen ausgewertet.

Die schwarze Liste der Deutschen Bahn, Foto: dpa

Rasterfahndung im großen Stil bei der Bahn - die Aufklärung des Skandals wird dauern.

(Foto: Foto: dpa)

Die Deutsche Bahn (DB) benutzte von Februar 2005 bis Mitte Dezember 2008 eine Liste mit solchen Hit-Words, um die elektronische Post von Bahn-Mitarbeitern zu filtern. Die Aktion heiß Leakage (Leck). In knapp vier Jahren wurde die Liste insgesamt 45mal geändert, aktualisiert, erweitert - wie es eben die Geheimen auch machen.

Die Konzernsicherheit wollte Lecks entdecken und beispielsweise feststellen, welcher Mitarbeiter mit mutmaßlichen Gegnern des Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn Kontakt hatte: Wer dem Verkehrsreferenten der FDP-Bundestagsfraktion, Lothar Neuhoff, unter fdp-bundestag. de eine Mail schickte, oder dem früheren Bahnexperten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Kay Lindemann, eine Nachricht übermittelte, machte sich höchst verdächtig. Ins Visier geriet aber auch, wer mit Beratern von der Firma Uniconsult, dem Geschäftsführer der Connex-Regionalbahnen, Hans Leister, namentlich aufgeführten Journalisten oder Redaktionen von Tageszeitungen, Magazinen und Nachrichtenagenturen kommunizierte. Selbst die Korrespondenz mit Fachblättern wie dem bahn report wurde beäugt.

Die Methode hieß intern "Datenabzug". Der Angestellte S. wurde von der Konzernsicherheit gefilzt, weil er sich von einem Mehdorn-Gegner das Manuskript eines Vortrags über "Effektive Netzinvestition" hatte schicken lassen. In mindestens 382 Fällen soll Leakage zu internen Untersuchungen geführt haben.

Verrat mit Kündigung bestraft

Für schwere Verdachtsfälle gab es ein spezielles Bahn-Programm: Erst sollten die Mitarbeiter beurlaubt, dann ihre Akten auf Feindkontakt durchforstet und womöglich sogar die Festplatten gesichert werden. Verrat hatte Kündigung zur Folge. Wie im Falle des AngestelltenS., der als erster bei Leakage ins Netz ging. Er hatte wiederholt Interna an Mehdorn-Gegner weitergereicht und erhielt später einen Strafbefehl über neun Monate auf Bewährung. Außerdem musste S. 70.000 Euro zahlen.

Die Bahn legte auch, offenbar unabhängig von Leakage, interne Dossiers über Kritiker von Mehdorns Unternehmenspolitik wie den Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin oder den Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofs, Norbert Hauser, an.

Die Republik hat viele unappetitliche Datenskandale erlebt. Telekom, Lidl sind nur einige Namen - die Reihe ließe sich fast beliebig fortsetzen. Die Affäre bei der Bahn entpuppt sich als eine absurde Melange aus Verfolgungswut, Größenwahn und Paranoia. Verrat und Ketzerei fielen offenkundig bei dem Staatsbetrieb zusammen. Welches Gewicht jedes dieser Elemente hatte, lässt sich noch nicht absehen: Möglicherweise handelt es sich um einen Abgrund von Beschnüffelung. Auch sind Fragen nach der Rolle Mehdorns und der Rolle anderer Vorstandsmitglieder noch nicht beantwortet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Mehdorn geht, doch der Aufklärungsbedarf bleibt

Was wusste der Vorstand?

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix macht auch nach dem Rücktritt Mehdorns noch "erheblichen Aufklärungsbedarf" aus. Seine Behörde schickte einen 64-seitigen vorläufigen Abschlussbericht an die Bahn, in der die E-Mail-Kontrolle noch gar nicht berücksichtigt ist. Es geht um andere Spähaktionen, die Dix als Verstöße gegen den Datenschutz betrachtet. Dix warnt davor, die Ermittlungen "aus politischen Gründen oder aus falsch verstandenem Unternehmensinteresse" einstellen.

Nach einem Rücktritt erlischt häufig das Aufklärungsinteresse in der Politik und nicht selten auch in Medien. In diesem Fall sieht es anders aus, nachdem Mehdorn diese Woche auf Druck der Regierung seinen Rückzug erklärt hatte. Die Bahngewerkschaften verlangen von der Bundesregierung sogar eine schriftliche Zusage, dass nichts unter den Teppich gekehrt werde. Nur dann wollen sie im Aufsichtsrat den Daimler-Vorstand Rüdiger Grube als neuen Konzernchef mitwählen. Die Gewerkschaften können gar nicht anders. Der Unmut in der Belegschaft über das trübe Treiben der Schnüffelnasen bei der Deutschen Bahn ist groß.

Klares Profil vor Augen

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Konzernsicherheit bei ihrer Feindbeobachtung ein klares Profil vor Augen hatte: Auf den geheimen Listen fanden sich fast ausschließlich Bahn-Experten oder Journalisten, die Mehdorns Vision vom großen, einheitlichen Bahnkonzern in Zweifel zogen. Eine Bahn, die nicht gleichzeitig die Kontrolle über das Schienennetz hat, war für Mehdorn nicht vorstellbar. Wer anderer Meinung war, habe als Feind gegolten, sagt ein Verkehrsexperte, der auf der Leakage-Liste steht.

"Die Bahn wollte die Netzwerke der Kritiker ausforschen", sagt ein anderer Bahn-Kenner. Bezeichnend ist, dass beide Fachleute auch nach dem Rückzug Mehdorns anonym bleiben wollen. Zu unheimlich ist ihnen die Krake Bahn geworden, die alles über alle wissen wollte. Nachrichtendienste sammeln bekanntlich Material über potenzielle Gegner; die Bahn sammelte massenhaft Material über vermutete Mehdorn-Kritiker. Ein 20-seitiges Dossier gibt Aufschluss über das Ausmaß des Wahns: Veröffentlichungen von Direktoren des Max-Planck-Instituts und des Vorsitzenden der Monopolkommission, die die Bundesregierung berät, wurden in der internen Aktensammlung bewertet. Über Sarrazin, den Berliner Finanzsenator, der mal im Bahnvorstand war, findet sich die Einschätzung: "Bekannter Bahn- und Mehdornkritiker ... Kürzlich aggressiver und inhaltlich anfechtbarer Artikel über das Bahnmanagement".

Über den Verkehrsexperten Gottfried Ilgmann heißt es: "Benutzt polemische Forderungen, die Öffentlichkeitswirkung entfalten." Ilgmann geriet früh auf die schwarze E-Mail-Liste. Er war von dem durch Leakage aufgeflogenen Angestellten S. mit Material versorgt worden. Nach dem Rauswurf von S. schrieb Mehdorn der Belegschaft: "In diesem eklatanten Fall kennt der Vorstand kein Pardon. Wir werden deshalb in unseren Anstrengungen, solchen Praktiken auf die Spur zu kommen, nicht nachlassen." Der Konzernchef soll, wie ein ehemaliger Mitarbeiter berichtet, der Abteilung Konzernsicherheit "den Kopf gewaschen" haben, weil es so viele Lecks im Unternehmen gebe. Von Februar 2005 an nahm sich dann die dem Bahn-Chef direkt unterstelle Konzernrevision der Sache an. Dort lief auch die Rasterfahndung, bei der die Bahn Kontonummern, Telefonnummern und Adressen von 173.000 Mitarbeitern mit den Daten von 80.000 Firmen verglich, um möglichen Betrügereien auf die Spur zu kommen.

Ungeklärt ist bislang die Frage: Was hat Mehdorn, was hat der Vorstand von alledem gewusst? Er bestreitet, von mutmaßlich illegalen Praktiken erfahren zu haben. Andererseits gibt es Spuren, die in die Konzernspitze führen. "Spitzenmanager sollen involviert gewesen sein", sagt ein Aufsichtsrat. Im Vorstand wird das dementiert: "Von uns hat das keiner gewusst." Man habe lediglich mitbekommen, dass in einzelnen Fällen, bei begründetem Verdacht, E-Mails kontrolliert worden seien. Im Rahmen dessen, was die Gesetze erlaubten. Ein Top-Manager berichtet, die Konzernsicherheit und die Revision hätten, wenn Interna nach draußen gelangten, in den Chefetagen gefragt. Welche Bedeutung diese Unterlagen denn hätten, wer Zugang zu diesen Papieren gehabt habe? "Da bin auch ich gefragt worden. Aber ich habe nie etwas veranlasst."

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie Großkonzerne möglicherweise in Zusammenarbeit Bewegungsprofile von Verdächtigen erstellt haben.

Was die Bahn-Spürnasen mit den Geheimdiensten gemein haben

Vieles ist noch unklar. Wie weit reichte das Netz, das die Bahn übers Land gespannt hatte und wo waren die Knoten? In Behördenakten des anderen großen Datenskandals, der Telekom-Affäre, findet sich der Hinweis von Sicherheitsleuten, dass Mitarbeiter der Konzernsicherheit der Telekom, der Bahn und der Lufthansa bei Bedarf mal Daten ausgetauscht hätten. So ließen sich dann leicht Bewegungsprofile von Verdächtigen erstellen. Auch sollen, so gab ein Detektiv zu Protokoll, Sicherheitsleute von Banken mitgemacht haben. Eine verifizierte Bestätigung für diese Behauptung gibt es nicht. An Verschwörungsszenarien ist kein Mangel, die Fakten sind oft beschei-den. Ermittlungen brauchen Zeit.

Schwierige Aufräumarbeiten

Vieles spielt im Milieu von (Ex-)Staatsunternehmen. Ranghohe Sicherheitsleute der Konzerne haben früher oft für Polizei oder Nachrichtendienste gearbeitet, sie kennen sich und der Polizei-Spruch "Datenschutz ist Täterschutz" kommt ihnen leicht über die Lippen. Die Aufräumarbeiten gestalten sich schwierig. Die von Mehdorn eingeschaltete Berliner Staatsanwaltschaft hat sich bei der Bahn darüber beschwert, von dem Unternehmen "unvollständige Unterlagen" bekommen zu haben, mit denen nichts anzufangen sein. Gefledderte Akten mag kein Staatsanwalt. Da kommt bei Strafverfolgern leicht der Verdacht auf, dass etwas Größeres verdeckt werden soll.

Der Spürnasen der Bahn erging es ebenso wie oft den Geheimdiensten. Sie fanden nur wenig. Viele der jetzt in den schwarzen Listen aufgeführten Bahn-Kritiker hatten ihre Kontakte auf priva-te Handys und private E-Mail-Adressen umgestellt. "Wir haben immer hochkonspirativ gearbeitet", sagt einer von ihnen. "Deshalb ist bei den Kontakten ja auch so gut wie nie jemand aufgeflogen."

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