Treffen von Merkel und Sarkozy:Vorstoß ins Ungefähre: Was Europa retten soll

Das Treffen ist vorbei, doch viele Fragen bleiben offen: Mit dem Dreiklang aus Wirtschaftsregierung, Schuldenbremse und Finanztransaktionssteuer wollen Merkel und Sarkozy Europas Wirtschaft neu ordnen und die Euro-Krise vertreiben. Doch die Vorschläge bleiben vage - und es ist unklar, ob sie sich überhaupt realisieren lassen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Johannes Aumüller, Thorsten Denkler und Wolfgang Jaschensky

Keine zwei Monate ist es her, da trat Kanzlerin Angela Merkel mit Nicolas Sarkozy vor die Kameras und verkündete die Rettung. Damals ging es um das hochverschuldete Griechenland und natürlich um den Euro. Griechenland ist noch da, der Euro auch, doch von Rettung kann keine Rede sein. Deshalb sind Angela Merkel und Nicolas Sarkozy jetzt noch einmal vor die Presse getreten. Diesmal geht es um das hochverschuldete Europa und natürlich immer noch um den Euro. Ist der deutsch-französischen Achse diesmal der Befreiungsschlag gelungen? Kommt nun wirklich eine Finanztransaktionssteuer? Und werden die anderen Euro-Länder wirklich eine Schuldenbremse in ihre Verfassungen schreiben? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum deutsch-französischen Vorstoß.

[] Wie sieht das Konzept für die Wirtschaftsregierung aus?

Ziemlich überschaubar. Nach den Vorstellungen von Merkel und Sarkozy sollen sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone künftig mindestens zweimal jährlich treffen, um die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten enger zu koordinieren.

Eine engere Abstimmung klingt zwar vernünftig und Kritiker des bisherigen Führungskurses haben sie auch stets gefordert, allerdings stellt sich angesichts des konkreten Vorschlages die Frage: Was verbessert sich?

Derzeit finden sich jedes Jahr im Frühjahr die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten (nicht der Euro-Zone wohlgemerkt) zusammen, um über wirtschaftspolitische Fragen zu sprechen. Gemäß Merkel und Sarkozy trifft man sich also einmal öfter in einem kleineren Kreis und bekommt zudem für zweieinhalb Jahre einen Vorsitzenden. Doch konkrete inhaltliche Folgen, zum Beispiel die tatsächlichen Eingriffsmöglichkeiten auf nationale Haushalte, sind noch völlig unklar.

Entsprechend verhalten fallen vielerorts die Reaktionen aus. "Wenn Van Rompuy die Staats- und Regierungschefs zweimal im Jahr zu einem Gipfeltreffen lädt, ist das noch keine europäische Wirtschaftsregierung", sagt zum Beispiel der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.

Auch Guy Verhofstadt, früherer belgischer Premierminister und derzeit Chef der liberalen Fraktion im EU-Parlament, gehen die Vorschläge nicht weit genug. Ihm missfällt, dass die Wirtschaftsregierung nicht an die Kommission gekoppelt wird.

Schuldenbremse und Transaktionssteuer

[] Was steckt hinter der Schuldenbremse?

Es war naheliegend, dass Merkel diesen Vorschlag einbringen würde. Denn Deutschland selbst hat erst vor gut zwei Jahren eine Schuldenbremse eingeführt - damals noch unter der großen Koalition. Der Haushalt des Bundes soll nun von 2016 an und der Haushalt der Länder von 2020 an ohne neue Schulden auskommen. Allerdings kann zumindest der Bund dennoch Schulden machen - wenn auch nur geringe. Diese dürfen aber nur maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen.

Nun haben Merkel und Sarkozy eine verbindliche Schuldenbremse für alle 17 Euro-Länder vorgeschlagen. Hier gilt Ähnliches wie für die Wirtschaftsregierung: Konkrete Pläne formulieren sie nicht. Allerdings ist kaum vorstellbar, dass Merkel und Sarkozy nach ihrem Tête-à-Tête den anderen Ländern ähnlich strikte Regeln vorschreiben.

Doch bedarf es überhaupt einer neuen verbindlichen Schuldenbremse? Denn im Prinzip existiert sie schon seit 1992, als der Vertrag von Maastricht in Kraft trat. Danach darf die jährliche Neuverschuldung eines Landes maximal drei Prozent und der Gesamtschuldenstand maximal 60 Prozent betragen. Dass sich an diese Regelung derzeit so gut wie niemand hält, hat ausgerechnet auch mit Deutschland und Frankreich zu tun. Denn deren Regierungen weichten die Defizitgrenzen in den vergangenen Jahren immer so auf, wie sie es gerade brauchten - und trugen so zu einem lässigen Umgang in Haushaltsfragen bei. Auch eine neue Schuldenbremse würde also nur Sinn machen, wenn es Sanktionsmöglichkeiten gäbe.

[] Was bedeutet die Finanztransaktionssteuer?

Seit der großen Krise erwarten viele Menschen von der Politik die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Sie wäre nämlich das erste Instrument, das die Finanzbranche zwingen würde, sich an den Kosten und Folgen der Finanzkrise zu beteiligen. Zugleich bietet sie eine Chance, Börsenspekulationen einzudämmen. Nun haben Merkel und Sarkozy eine solche Steuer vorgeschlagen, und entsprechend fielen am Morgen nach dem Treffen die Reaktionen an der Börse aus: Der Dax rutschte ins Minus, vor allem die Papiere der Börsenbetreiber selbst brachen ein.

Die Grundidee zur Finanztransaktionssteuer stammt aus den siebziger Jahren. Damals regte der amerikanische Wissenschaftler James Tobin an, Devisenmarkt- und Derivate-Geschäfte zu besteuern. Je nach Konzeption beträfe ein solches Konzept aber nicht nur die Spekulanten, die schnell Kapital hin- und herschichten, sondern jeden normalen Aktien- und Fondsanleger.

Sollte die Finanztransaktionssteuer eingeführt werden, dürfte es sich dabei aber vor allem um einen symbolischen Akt handeln. Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fürs laufende Haushaltsjahr schon mit einer Finanztransaktionssteuer rechnete, taxierte er die erwarteten Einnahmen gerade einmal auf rund zwei Milliarden Euro. Zwar könnte Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge eine Transaktionssteuer auf Geschäfte mit Aktien, Devisen und Derivaten bei einem Steuersatz von 0,01 Prozent 200 Milliarden Dollar bringen - allerdings weltweit. Der mit Abstand größte Teil würde nicht in der Eurozone fällig, sondern in den USA, an den asiatischen Börsen und in London, dem größten europäischen Finanzplatz.

[] Warum kommen die Vorschläge von Merkel und Sarkozy jetzt - und wurden nicht schon beim Sondergipfel im Juli verhandelt?

Einerseits können Merkel und Sarkozy darauf verweisen, dass sie mit diesem Treffen nur einem Arbeitsauftrag des Brüsseler Gipfels nachgekommen sind. Allen sei klar, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik besser abgestimmt werden müsse, hatte die Kanzlerin damals erklärt.

Deshalb beschlossen die Staats- und Regierungschefs, dass EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy mit dem EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso und Eurogruppen-Sprecher Jean-Claude Juncker bis Oktober Pläne für ein besseres Krisenmanagement ausarbeiten soll.

Ist Merkel umgefallen?

Zugleich verkündeten Deutschland und Frankreich, bis spätestens Anfang September ihre Vorschläge für dieses Konzept vorzulegen. Denn allen ist klar: Solche Pläne lassen sich nur verwirklichen, wenn die beiden führenden EU-Nationen sich einig sind.

Andererseits ist es kein Zufall, dass Merkel und Sarkozy nun etwas früher als geplant ihre Vorstellungen verkünden. Denn den Zeitpunkt des Treffens bestimmten letztlich nicht die Politiker, sondern wieder einmal die Märkte. Denn diese signalisierten, dass ihnen die Brüsseler Beschlüsse nicht weit genug gingen. Die Folgen waren zum einen heftige Turbulenzen an den Börsen und zum anderen Gerüchte über eine Herabstufung der französischen Kreditwürdigkeit.

[] Ist Merkel umgefallen?

Als Merkel nach dem Treffen neben Sarkozy vor die Mikrofone trat, ging es vor allem darum, Einigkeit und Entschlossenheit zu demonstrieren. Doch gerade ihren Wählern muss die Kanzlerin auch überzeugend darlegen, die Interessen Deutschlands gut vertreten zu haben - und nicht schon wieder umgefallen zu sein.

Denn nach dem vorangegangenen Krisentreffen mit Sarkozy im Juni dieses Jahres musste sich Merkel anhören, der französische Präsident habe aus "Madame non" eine "Madame oui" gemacht. Damals ging es um die Griechenland-Hilfen. Merkel hatte stets auf eine substanzielle Beteiligung des privaten Sektors bestanden, am Ende stand eine freiwillige Beteiligung.

Diesmal muss Merkel allerdings keine Pirouetten drehen, um das Ergebnis zu Hause zu erklären. Die Punkte im Einzelnen:

Schuldengrenze: Dieser Vorstoß ist ein Erfolg für Merkel. Die Kanzlerin will verhindern, dass Deutschland als finanzstärkstes Euro-Land ewig für die Schulden anderer Staaten geradestehen muss.

Euro-Bonds: Sarkozy hatte gemeinsame Anleihen für alle Euro-Länder ins Gespräch gebracht, aber auch hier konnte sich Merkel durchsetzen. Allerdings schließt die Kanzlerin die Euro-Bonds auch nicht länger kategorisch aus, sondern nennt es das "letzte Mittel".

Die Chancen auf eine Realisierung

Finanztransaktionssteuer: Merkel war zwar nie eine große Anhängerin der Abgabe, hat sich in dieser Frage aber stets pragmatisch verhalten. Im Haushaltsplan von Finanzminister Wolfgang Schäuble sind ab 2012 jährliche Einnahmen in Höhe von zwei Milliarden Euro aus einer Finanzsteuer eingeplant.

Wirtschaftsregierung: Hier ist die Kanzlerin etwas auf Sarkozy zugegangen. Merkel hatte eine Lösung mit allen 27 EU-Staaten bevorzugt.

[] Lässt sich der Plan in der Koalition durchsetzen?

Ein wesentlicher Punkt der deutsch-französischen Vorschläge ist in Deutschland längst Realität: die Schuldenbremse. Sie sorgt - im Grundgesetz fest verankert - dafür, dass ab spätestens 2020 die Bundesländer überhaupt keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürfen und der Bund ab 2016 nur sehr begrenzt.

Etwas heikler dürfte für die schwarz-gelbe Koalition die Einführung einer Finanztransaktionssteuer sein. Die FDP hat sich lange vehement dagegen gewehrt. Im Mai 2010 schloss die Koalition einen Kompromiss. Ziel sei eine "Finanztransaktions- oder Finanzaktivitätssteuer".

Der Unterschied: Die Finanztransaktionssteuer müsste auch von Privatanlegern gezahlt werden. Das geht der FDP zu weit. Ihre Finanzaktivitätssteuer würde nur institutionelle Anleger betreffen und auf Boni oder Sondervergütungen abzielen.

Ärger könnte es noch mit der Europäischen Wirtschaftsregierung geben. Wenn es dabei um bessere Koordination geht, findet FDP-Chef Philipp Rösler die Idee gut. Sollten dafür aber nationale Kompetenzen auf die Wirtschaftsregierung übertragen werden, dürfte Merkel der Widerstand der Liberalen sicher sein.

[] Werden die anderen Euro-Staaten mitmachen?

Eine Prognose ist schwierig. Der Vorschlag einer Wirtschaftsregierung ist vage genug gehalten und kann vermutlich von allen Euro-Ländern ohne Zustimmung des Parlaments auf einem Gipfel abgesegnet werden - solange keine nationalen Kompetenzen auf europäischer Ebene abgeben werden. Allerdings ist der Vorschlag auch nur dann wirklich etwas wert, wenn genau dieser Machttransfer beschlossen wird.

Verzwickter ist es schon bei der Verankerung einer Schuldengrenze in den Verfassungen der Länder. Präsident Sarkozy wies bereits bei der Verkündung der Vorschläge darauf hin, dass in Frankreich dafür eine Zweidrittelmehrheit notwendig sei und er eine Zustimmung nicht garantieren könne. Ähnlich hoch sind die Hürden in vielen anderen EU-Ländern.

Dennoch ist es denkbar, dass sich die Schuldenbremse durchsetzen lässt. Gerade in den schwächelnden Euro-Ländern Irland, Portugal, Spanien, Italien und Griechenland kann Deutschland Druck auf Parlament und Regierung ausüben und weitere Hilfen von einer Zustimmung abhängig machen. Andererseits hoffen diese Länder weiter auf Euro-Bonds. Andere Staaten wie Finnland, Estland und die Niederlande räumen der Haushaltsdisziplin längst hohe Priorität ein und haben deshalb von einer etwaigen Schuldengrenze ohnehin kaum Einschränkungen zu befürchten.

Eine Finanztransaktionssteuer wurde seit der Finanzkrise 2008 in verschiedenen Gipfeln und Gremien bei G8- und G20-Treffen diskutiert - umgesetzt wurde sie international noch nicht. Ob der Vorstoß von Merkel und Sarkozy daran etwas ändert, ist zweifelhaft. Die britische Regierung hat jedenfalls wenig Interesse daran, die Börse in London - Europas größten Finanzplatz - zu gefährden.

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