Deutsch-deutsche Geschichte:Wie West-Firmen von der DDR-Zwangsarbeit profitierten

Ikea

Eine neue Studie leuchtet ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte aus: Die Zwangsarbeit in den Gefängnissen der DDR. Von der hat unter anderem auch Ikea profitiert

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Eine Studie leuchtet ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte aus: die Zwangsarbeit von politischen Häftlingen in den Gefängnissen der DDR. Von der haben auch westliche Unternehmen wie Ikea, Aldi, Quelle und Siemens profitiert.

Von Karl-Heinz Büschemann

Dem schwedischen Möbelkonzern ging es um ein dunkles Kapitel seiner Firmengeschichte, um eines, das viele deutsche Unternehmen gerne verdrängen: Mit 120 000 Euro hat Ikea eine Studie finanziert, die die Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen ausleuchtet - jene Zwangsarbeit, von der vier Jahrzehnte lang nicht nur ostdeutsche Kombinate, sondern auch westliche Unternehmen profitierten.

An diesem Montag wird die 500 Seiten starke Untersuchung in Berlin vorgestellt. Der Autor, der Politikwissenschaftler Christian Sachse, hält der Wirtschaftswunder-Republik damit einen Spiegel vor. "Man konnte im Westen wissen, dass Ostprodukte in Zwangsarbeit hergestellt wurden, die durch internationale Konventionen geächtet war", sagt der Sachse. Er hat die Studie für die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft verfasst. Schon in den Sechzigerjahren, sagt der 59-jährige frühere Pfarrer und Bürgerrechtler, habe Amnesty International im Westen über die Menschenrechtsbrüche im Osten Deutschlands berichtet.

"Alle mussten damit rechnen"

Im Jahr 2012 hatte der Einrichtungskonzern Ikea offiziell eingestanden, er habe Möbel verkauft, die von DDR-Gefangenen hergestellt worden waren. Die Schweden hatten günstige Anbieter für ihre Regale oder Sofas gesucht und waren in sozialistischen Ländern wie Polen und der DDR fündig geworden.

Aber auch andere West-Unternehmen profitierten von günstigen Preisen für Kameras, Küchengeräte oder Kerzen aus billiger Knastproduktion, wie die umfangreiche Studie von Christian Sachse zeigt. Insgesamt machten bis zum Fall der Mauer 6000 westdeutsche Firmen Geschäfte mit dem kommunistischen Ostdeutschland, darunter Handelsunternehmen wie Aldi, Horten oder Quelle. Auch Industriekonzerne wie Siemens, Krupp, Linde oder Mannesmann nutzten die Gelegenheit für günstige Wirtschaftsbeziehungen durch die Mauer.

Die Geschäfte mit der DDR waren in allen, aber in etlichen Fällen auch deshalb so vorteilhaft, weil in Ostdeutschland ständig zwischen 12 000 und 50 000 Gefängnisinsassen an der Produktion beteiligt waren, unter ihnen auch politische Gefangene. Nicht alle Firmen, die Waren aus der DDR bezogen, wurden also zu Profiteuren von Gefängnis-Zwangsarbeit, aber Sachse sagt: "Alle mussten damit rechnen."

Die Rolle der Zwangsarbeiter in der DDR-Wirtschaftspolitik

Der Politikwissenschaftler mit DDR-Vergangenheit ist erstaunt darüber, dass sich auch die Bundespolitiker für das heikle Thema so wenig interessierten. Es wäre sie etwas angegangen, ist seine These. Denn der Handel mit der DDR wurde von der Treuhandstelle für Interzonenhandel (seit 1982 Treuhandstelle für Industrie und Handel) zentral verwaltet, die formal beim Deutschen Industrie- und Handelstag angesiedelt war, die aber nach Sachses Sicht "als politisches Gremium agierte".

Diese Verbindungsstelle habe auch in manchen Fällen Druck auf die DDR ausgeübt, etwa wenn die Importwaren aus dem Osten so billig wurden, dass westliche Firmen deshalb in Not gerieten. Die DDR hat die Selbstschussanlagen an Mauer und Stacheldraht abmontiert, nachdem Franz Josef Strauß Anfang der Achtzigerjahre der DDR einen Milliardenkredit verschafft hatte. Nur bei der Frage der international geächteten Zwangsarbeit habe die Behörde nichts unternommen. "Es kann nicht an der Treuhandstelle vorbeigegangen sein, dass in der DDR von Zwangsarbeitern produziert worden ist."

Als besonders zynisch brandmarkt der Historiker die Rolle der Zwangsarbeiter in der DDR-Wirtschaftspolitik. Gefangene seien seit den Anfängen der DDR im Jahr 1949 von den Planungsbehörden, die alle Sektoren der Volkswirtschaft steuerten, den Betrieben systematisch zugeteilt worden, um Dreckarbeiten im Braunkohletagebau oder in der Stahlindustrie zu machen, für die sich keine regulären Arbeitskräfte fanden. Und wenn die Bundesrepublik politische Gefangene freikaufte, habe sie unfreiwillig die Lage im Osten sogar verschlechtert. Sachse: "Die DDR hat den Freikauf von politischen Gefangenen als stille Subvention der Diktatur genutzt, und das Interesse geweckt, ihren Bestand an politischen Gefangenen gleich wieder aufzufüllen." Politische Gefangene wurden selbst zur Exportware. "Der Westen hat die neuen Gefangenen finanziert."

Die Ursachen des Übels

Für Roland Jahn, den Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, ist die Zwangsarbeit in den Ostgefängnissen daher auch kein Thema, das nur Westfirmen betrifft, sondern auch die DDR selbst. "Man muss die Ursachen des Übels benennen, und das ist die SED-Diktatur, die unter Missachtung von Menschenrechten Häftlinge benutzt hat, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten mussten", sagt Jahn.

Es sei aber auch wichtig, die Verantwortung der Westfirmen zu betonen. "Die Firmen müssen sich die Frage stellen, ob sie es sich zu leicht gemacht haben." Bevor man über Entschädigungen für Opfer konkret sprechen könne, sei es zunächst wichtig, die dunklen Vorgänge noch besser aufzuklären. Einige Westfirmen hätten bei seiner Behörde den Antrag auf Einsicht in die Stasi-Aktien gestellt, um herauszufinden, ob sie sich schuldig gemacht haben. "Viele wissen es ja gar nicht", sagt Jahn. "Ich würde mir aber wünschen, dass mehr Firmen das Interesse zeigen, ihre eigenen Geschäfte mit der DDR zu durchleuchten."

Jahn hält es für notwendig, dass sich Firmen mit ihrer DDR-Verstrickung auseinandersetzen. So ließen sich Standards erarbeiten, die den Unternehmen in der Gegenwart im Umgang mit undurchsichtigen Regimen helfen könnten.

Beim schwedischen Möbelhaus Ikea habe die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bereits zu einem Wandel in der Firmenkultur geführt, sagt eine Sprecherin. "Wir haben heute einen klaren Verhaltenskodex."

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