200 Sprachen kennt das Haushaltsmodell, der Android AX400, er kann mehr als 10.000 Rezepte kochen, Märchen erzählen, aufräumen und so weiter. Zwei Jahre Garantie, keinerlei Fabrikationsfehler, zumindest auf den ersten Blick nicht. Doch viele der Roboter in "Detroit: Become Human" entwickeln schon bald ein Eigenleben.
Der interaktive Thriller widmet sich einer Frage und ihren Konsequenzen, die die Science Fiction seit Jahrzehnten umtreibt: Kommt irgendwann der Punkt, an dem sich künstliche Intelligenz selbständig macht? Äußerlich lassen sich die Roboter im Detroit des Jahres 2038 kaum noch von den Menschen unterscheiden. Dazu entwickeln sie ein nahezu menschliches Bewusstsein, scheinen sogar Emotionen empfinden zu können. Die Ausgangslage ist also spannend, leider hält das Spiel nur erwartbare Antworten bereit.
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Der Spieler schlüpft abwechselnd in die Rolle von drei Androiden: Connor ist das am höchsten entwickelte Modell des Roboter-Monopolisten Cyberlife und arbeitet für die Polizei. Er soll herausfinden, warum neuerdings immer mehr Androiden von der Fabriknorm abweichen und durchdrehen. Zu diesen Abweichlern gehören Kara und Markus, die anderen beiden Protagonisten. Kara, Modell AX400, wohnt zusammen mit einem drogenabhängigen, unberechenbaren Mann und seiner Tochter Alice zusammen. Als Haushaltshilfe putzt sie, kocht und räumt das Haus auf. Markus hilft einem älteren Künstler durch den Alltag, der im Rollstuhl sitzt.
Hinter den Charakteren in "Detroit: Become Human" stecken echte Schauspieler
Detroit spielt sich ein bisschen wie eines dieser interaktiven Bücher, in denen der Leser entscheidet, wie die Geschichte ausgeht. In der Eröffnungsszene droht ein Android, zusammen mit einem kleinen Mädchen vom Dach eines Hochhauses zu springen. Als Connor kann der Spieler entscheiden: Beruhige ich den Geiselnehmer, mache ich ihm Zugeständnisse oder gehe ich aggressiv auf ihn los? Je nachdem, wie er sich entscheidet, geht die Geiselnahme friedlich zu Ende, oder aber das Mädchen oder sogar Connor stürzen bei dem Rettungsversuch vom Dach. Das Spiel lässt zu, dass ein Protagonist und somit auch sein Handlungsstrang sterben. Viele Zwischensequenzen unterbrechen den Spielfluss, der Spieler muss nicht besonders versiert am Playstation-Controller sein. Die meisten Aufgaben sind mit einem Knopfdruck erledigt.
Dass "Detroit" wenig herausfordernd ist, stört aber nicht. Denn das Spiel funktioniert als interaktiver Film gut. Hinter den animierten Charakteren stecken echte Schauspieler, was Mimik und Gestik besonders realistisch wirken lässt. Auch atmosphärisch trifft Detroit an vielen Stellen den richtigen Nuancen. Es fällt leicht, sich als Spieler in die Situation der Androiden hineinzuversetzen. Es löst echte Wut und Mitleid aus, wenn eine Gruppe menschlicher Demonstranten Markus beschimpft und tritt, nur weil er ein Roboter ist.
Den versklavten Androiden bleibt keine Wahl
Doch in sehr vielen Teilen ist Detroit eine Sammlung offensichtlicher Klischees. Die beschriebene Prügelszene mit Markus zu Spielbeginn zeigt das recht deutlich. Denn das Spiel spiegelt vieles aus unserer heutigen Gesellschaft und vergangenen Episoden in die Zukunft, statt eigene clevere Ideen zu entwickeln: Die Menschen haben immer noch Angst vor allem Unbekannten; statt gegen Flüchtlinge demonstrieren sie in 20 Jahren gegen Androiden, die ihnen ihre Jobs klauen. Sie gehen immer noch gerne in der Fußgängerzone bummeln, nur dass ihnen in Zukunft ein Android hinter der Ladentheke steht und eine andere Maschine ihnen die Einkäufe hinterherträgt. Es wirkt zwar beängstigend, dass sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickelt hat, in der die Menschen die Herren sind und die Androiden nur elektronische Sklaven. Sie dürfen viele Bars und Läden nicht betreten, in Bussen sind den Menschen die vorderen zwei Drittel vorbehalten. Aber die eigentliche Frage lässt das Spiel offen: Kann der Mensch gegenüber Maschinen überhaupt rassistisch sein? Funktioniert die Analogie zur Unterdrückung anderer Menschen?
Noch mehr stören die Logikfehler an vielen Stellen des Spiels. Teils sind das vernachlässigbare Details: Warum sollte im Jahr 2038 ein Android das Bad mit einem analogen Wischmop putzen? (Während es heute schon - und auch im Spiel - Staubsaugerroboter gibt.) Teils nimmt die Handlung so hanebüchene Wendungen, dass man am liebsten den Fernseher anschreien würde: In einer Szene kämpft eine Widerstandsgruppe von Androiden verzweifelt ums Überleben, weil ihnen die Ersatzteile ausgehen. Im darauffolgenden Kapitel bricht dieselbe Gruppe problemlos im "Oceans Eleven"-Stil in ein Hochhaus ein, überlistet sämtliche KI-gesteuerten Sicherheitssysteme und verbreitet minutenlang eine Live-Botschaft über das nationale Fernsehen und auf Werbeleinwänden in ganz Detroit. Die Polizei kriegt erst davon mit, als es längst zu spät ist. Dabei ist schon nach heutigem Stand der Technik schwer vorstellbar, dass sich eine derartige Guerilla-Aktion unbemerkt bewerkstelligen lässt. Es ist bei weitem nicht der einzige Bruch dieser Art.
Natürlich lehnen sich die Androiden, nachdem sie Eigenwahrnehmung entwickelt haben, gegen die Menschen auf. Es bleibt den Robotern letztlich keine andere Wahl, weil die Menschen sie nur als Plastikschrott wahrnehmen. Auch das ist in der Science-Fiction nur ein Klischee - eines, das schon von vielen Filmen (zum Beispiel "Terminator"), in der Literatur ("I, Robot") und Serien ("Battlestar Galactica") vor "Detroit: Become Human" erzählt wurde - und einige Male auch deutlich besser.
"Detroit: Become Human" ist am 25. Mai 2018 für Playstation 4 erschienen.