Desertec-Initiator Rauch:Realität statt Vision

Solarstrom aus Afrikas Wüsten: In fünf Jahren soll er fließen, sagt Desertec-Initiator Ernst Rauch. Höchste Zeit, denn die Folgen des Klimawandels sind verheerend.

Markus Balser und Catherine Hoffmann

Vor einem Jahr machte der Rückversicherer Munich Re den Start des Wüstenstromprojekts Desertec publik. Nun zieht Projektleiter Ernst Rauch, 49, Bilanz. Schneller als gedacht gehen erste Solarkraftwerke in Marokko ans Netz. Die Zeit drängt, glaubt Geophysiker Rauch, weil der Klimawandel längst seine zerstörerische Kraft entfaltet.

Konzerne planen riesige Solarkraftwerke in Afrika

In fünf Jahren soll der erste Wüstenstrom aus dem Projekt Desertec in Nordafrika nach Europa fließen.

(Foto: ag.dpa)

SZ: Herr Rauch, ein Jahr nach dem Start ist es um Desertec (DII) still geworden. Bekommen die Skeptiker recht, die Wüstenstrom für eine Illusion halten?

Ernst Rauch: Nein - im Gegenteil. Unser Ziel war es, bis 2012 einen Plan zu entwickeln, wie aus der Vision Realität werden kann. Tatsächlich verlaufen die Verhandlungen mit den Ländern im Norden Afrikas schneller, wenn auch im Stillen.

SZ: Das heißt?

Rauch: Wir arbeiten längst nicht mehr nur an Plänen, sondern an deren Umsetzung. Zuletzt hat es viel Bewegung gegeben. Die Projektgesellschaft DII spricht mit den Regierungen von Marokko, Algerien und Tunesien über Stromdurchleitung und erste Projekte. In Marokko ist das Interesse am größten. Die Regierung hat mit dem König einen eigenen Solarplan aufgelegt und plant bis 2020 Anlagen mit der Leistung zweier Atomkraftwerke. Das Land importiert heute 95 Prozent seiner Energie und will mit Sonnen- und Windkraft unabhängiger werden. Die DII spricht mit den Regierungen über Kraftwerke mit bis zu 1000 Megawatt Leistung. Der Vorteil: Marokko ist das einzige Land in Afrika mit einer direkten Stromverbindung nach Europa.

SZ: Wann wird der erste Strom nach Europa fließen?

Rauch: Wenn alles nach Plan läuft, könnte der Spatenstich 2013 erfolgen. Das bedeutet dann ab Ende 2015. Die Zeit drängt, denn wir wollen von den Pilotprojekten für den Ausbau lernen und zeigen, dass es geht.

SZ: Desertec gilt als das größte Infrastrukturprojekt aller Zeiten und soll bis zu 400 Milliarden Euro kosten. Wer soll das eigentlich in der Krise bezahlen?

Rauch: Diese Zahl elektrisiert die Öffentlichkeit, aber so viel ist das gar nicht. Wir sprechen über einen Zeitraum von 40 Jahren - zehn Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Jedes Jahr werden weltweit 100 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investiert. Das ist doch zu stemmen. Das zeigen auch die Signale, die wir aus der Finanzwelt bekommen. Das Geld lässt sich auftreiben. Wir sind übrigens bereit, auch eigenes Geld zu investieren, schließlich will Munich Re ihre Investments in erneuerbare Energien auf bis zu 2,5 Milliarden Euro ausbauen. Außerdem führt die DII Gespräche mit der Weltbank.

SZ: Auch wenn es nicht am Geld liegt: Die Verhandlungen hinter den Kulissen bleiben zäh. Warum?

Rauch: Insgesamt sehe ich das nicht so. Aber es gibt natürlich ein paar entscheidende Hürden, beispielsweise die Regulierung in Europa. Wir können Strom zwar technisch aus Afrika importieren. Aber es ist noch immer nahezu unmöglich, ihn in Ländern wie Deutschland auch zu verkaufen. Gefördert wird per Gesetz nur nationaler Ökostrom. Das muss sich ändern. Die EU schreibt vor, ab 2012 die Grenzen für Ökostrom aus dem Ausland fallen zu lassen.

SZ: Noch immer wird Desertec von deutschen Firmen dominiert. Kritiker werfen dem Projekt Neokolonialismus vor. Warum binden Sie nicht mehr Konzerne aus der Region ein?

Rauch: Wir wollen und müssen noch internationaler werden. Wir sind heute 17 Gesellschafter, davon sieben aus Deutschland. Marokko, Algerien, Spanien, Frankreich und Italien sind schon vertreten. Ein tunesischer Konzern - Steg Energies Renouvelables - wird in den nächsten Wochen folgen. Wir wollen noch bis zu acht weitere Partner aufnehmen. Alle müssen laut Gesellschafterbeschluss aus der Mittelmeerregion oder dem Nahen und Mittleren Osten kommen.

"Am Klimawandel ist nicht zu rütteln"

SZ: Ihr Konzern gilt als größter Verfechter des Desertec-Projekts. Warum treibt ausgerechnet ein Versicherer die Energiewende voran?

Rauch: Die Schäden durch Naturkatastrophen nehmen seit Jahrzehnten drastisch zu, daran hat wahrscheinlich auch der Klimawandel einen Anteil. Nehmen Sie den Hurrikan Katrina 2005 in den USA mit einem versicherten Schaden von über 60 Milliarden Dollar. Ich sage nicht, dass Katrina alleine ein Beleg für den Klimawandel ist. Aber unsere große Sorge ist, dass die Risiken durch den Klimawandel größer und Versicherungen zu teuer werden. In Deutschland beispielsweise zahlen Sie etwa 100 Euro im Jahr, um ein Haus gegen Sturm zu versichern, in Florida wegen der größeren Gefahren bereits das Zehnfache. Irgendwann in der Zukunft drohen wir den Punkt zu erreichen, an dem private Versicherungen teilweise nicht mehr funktionieren. Wir tun alles dafür, das zu verhindern.

SZ: Die Klimaforschung geriet zuletzt in Misskredit. Glauben Sie dennoch an die Erderwärmung?

Rauch: Am Klimawandel und den wissenschaftlichen Ergebnissen ist nicht zu rütteln. Klimawandel findet statt, und er ist menschengemacht. Wir sehen eindeutig, dass die Anzahl wetterbedingter Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Wir registrieren heute dreimal mehr schwere Sturm- und Überschwemmungskatastrophen als vor 30 Jahren. Bei Erdbeben und anderen geophysikalischen Ereignissen gibt es dagegen nur eine leichte Steigerung. Und auch die Temperaturen erreichten zuletzt Monat für Monat Spitzenwerte. Was glauben Sie, was die Ursache dafür ist?

SZ: Wir hatten den kältesten Winter seit Jahren. Auch das Frühjahr war eisig.

Rauch: Stimmt, aber global gesehen zählen die ersten sechs Monate 2010 zu den wärmsten seit Beginn der Datenaufzeichnung im Jahr 1850. Man muss unterscheiden zwischen den persönlichen Erfahrungen und weltweiten Beobachtungsdaten, die nur in der langfristigen Betrachtung ein richtiges Bild ergeben. Und das ist eindeutig: Die Erde erwärmt sich. Und wir glauben, Indizien zu haben, dass der massive Anstieg der volkswirtschaftlichen Schäden nicht allein mit sozioökonomischen Veränderungen erklärt werden kann.

SZ: Welche Entwicklungen stellen Sie als Versicherer fest?

Rauch: Nicht nur die Zahl der Naturkatastrophen wächst. Wir sehen auch immer extremere Wetterentwicklungen. Es gibt also nicht nur Schäden durch Überschwemmungen, also zu viel Wasser, sondern auch durch zu wenig, etwa Dürren. Insgesamt werden die Auswirkungen langfristig einfach schwerer zu kalkulieren. Der Trend zu größeren Schäden liegt aber nicht nur am Klimawandel.

SZ: Was bereitet Ihnen noch Sorge?

Rauch: Das rasante Bevölkerungswachstum in den ärmsten Ländern. Es führt dazu, dass Städte in Küstennähe, wo die Gefahren ohnehin groß sind, besonders stark wachsen. Auch deshalb gibt es in der zweiten und dritten Welt mehr Opfer von Naturkatastrophen als in der ersten. Von 1980 bis heute kamen nach unseren Daten weltweit etwa 1,7 Millionen Menschen bei Naturkatastrophen aller Art ums Leben, fast neun Zehntel davon in Asien und Afrika. Entwicklungs- und Schwellenländer sind also auf der humanitären Seite weitaus am stärksten betroffen. Ich halte die Zahlen für schockierend. Da muss etwas passieren. Bei den versicherten Schäden ist es natürlich gerade andersherum. Sie sind in den Industrieländern am größten.

SZ: Die Welt macht trotzdem weiter wie bisher. Die internationale Klimakonferenz von Kopenhagen ist mit Pauken und Trompeten gescheitert. Glauben Sie trotzdem noch an eine Lösung im verfahrenen Streit?

Rauch: Die große Gefahr ist tatsächlich, dass die Welt abwartet, bis die Schmerzgrenze überschritten ist. Das Bittere ist, dass sie in den Industrieländern viel später kommt. Wir können uns an Gefahren besser anpassen - zum Beispiel mit teurem Küstenschutz. Die Ärmsten werden früher leiden.

SZ: US-Präsident Barack Obama glaubt, die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko werde die Umweltpolitik so stark verändern, wie die Terroranschläge des 11. September das Sicherheitsdenken. Teilen Sie die Hoffnung?

Rauch: Ja. Bei allem Leid zeigt das Unglück uns deutlich, wie wichtig es ist, die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen zu reduzieren. Die Risiken von Tiefseebohrungen wurden unterschätzt. Künftig müssen mögliche Umweltfolgen eine viel größere Rolle spielen. Bei der Energieerzeugung fallen nicht nur Kosten in Kraftwerken an. Die Bewertung muss auch die Risiken der Technologie bei Unfällen und die Entsorgung widerspiegeln. Katastrophen dürfen nicht am Steuerzahler hängen bleiben. Da können erneuerbare Energien enorm punkten.

SZ: Was genau meinen Sie?

Rauch: Ich bin sicher, es ist volkswirtschaftlich richtig und sinnvoll, jetzt erneuerbare Energien drastisch auszubauen. Sie schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Klimawandel wird gebremst, und Risiken anderer Technologien im Laufe der Zeit vermieden. Das geht nicht von heute auf morgen, und wir werden sicher noch lange einen Mix aus verschiedenen Energieträgern haben. Aber: Es ist höchste Zeit, umzusteuern.

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