Der Westen und Russland:Sanktionen sind Gift für die Wirtschaft

Inside A Metro AG Cash & Carry Store As Import Ban Affects Food Supplies

Sanktionen treffen die Kunden: ein Metro-Supermarkt in Moskau

(Foto: Bloomberg)

Der Westen und Moskau führen einen Handelskrieg. Gefährlicher als die Sanktionen gegen Russland sind die psychischen Kollateralschäden.

Gastbeitrag von Dennis J. Snower

Institut für Weltwirtschaft in Kiel

Prof. Dennis J. Snower, 63, ist US-Wirtschaftswissenschaftler und Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Er lehrt an der dortigen Uni.

Die Krise in der Ukraine hat zu einem Handelskrieg zwischen Russland und dem Westen geführt. Die Sanktionen des Westens, mit denen insbesondere russischen Banken der Zugang zum europäischen und amerikanischen Finanzsystem erschwert und Waffen- und Technologieexporte nach Russland verboten wurden, hat Russland mit einem einjährigen Einfuhrstopp für diverse Agrarprodukte beantwortet. Zwar sind einzelne Unternehmen und Branchen stark von den Sanktionen betroffen, insgesamt dürfte sich der dadurch verursachte Rückgang des Exportvolumens aber in engen Grenzen halten und zunächst keinen allzu großen gesamtwirtschaftlichen Effekt in Deutschland und der EU insgesamt zeigen.

Unter normalen Umständen würden die Sanktionen somit keine gravierenden Auswirkungen haben. Doch die Umstände sind nicht normal. Europa ächzt immer noch unter den Folgen seiner Staatsschuldenkrise. Die Maßnahmen, die die Europäische Union zur Bewältigung dieser Krise ergriffen hat, haben zwar kurzfristig Wirkung gezeigt - langfristig ist die Erholung aber noch längst nicht gefestigt. Es rächt sich jetzt, dass die Verantwortlichen in der EU bei der Krisenbewältigung nicht nachhaltig verfolgt, sondern die zutage getretenen Probleme lediglich übertüncht haben. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank wirkt langfristig destabilisierend und droht spekulative Blasen zu befördern. Die Finanzmarktpolitik sichert keine tragfähige Bankenunion im Fall einer gravierenden Krise, sodass immer noch nicht gewährleistet ist, dass Finanzinstitutionen, die zu groß zum Scheitern sind, auch wirklich scheitern. Die Fiskalpolitik der EU-Mitgliedsländer stellt keinen zuverlässigen Schuldenabbau in jedem Schuldnerland sicher. Und in der Strukturpolitik der EU werden keinerlei Reformen zur Auflage gemacht, die eine stärkere Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Länder nach sich ziehen.

Auch eigentlich recht kleine Störungen wie die aktuellen Sanktionen haben daher das Potenzial, Europas Konjunktur wieder aus der Bahn zu werfen. Im schlechtesten Fall könnten sie sogar die überwunden geglaubte Schuldenkrise in Südeuropa erneut befeuern. Deshalb sind die Folgen dieses Handelskrieges nicht zu unterschätzen, denn psychologisch kann er durchaus eine große Rolle spielen. Die Unsicherheit nimmt zu, und Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft.

Das zeigt sich bereits heute: Die Zuspitzung des Konflikts, die in den Sanktionen ihren Ausdruck findet, sowie die Unsicherheit darüber, wie sich die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland längerfristig entwickeln werden, haben vermutlich entscheidenden Anteil daran, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft seit dem Frühjahr spürbar verschlechtert hat. Nicht zuletzt spiegelt sich das in der jüngsten Talfahrt der Aktienkurse. Insbesondere kann es zu einem Rückgang der Investitionen kommen; über diesen Weg sind kurzfristig durchaus deutliche Bremsspuren in der Konjunktur möglich.

Dennis Snower

Prof. Dennis J. Snower, 63, ist US-Wirtschaftswissenschaftler und Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Er lehrt an der dortigen Uni.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Inhaltlich muss man also bei den kurzfristigen Auswirkungen der wechselseitigen Sanktionen eine ökonomische und eine psychologische Dimension unterscheiden. Das betroffene Handelsvolumen ist gering. Bei den Agrarexporten bewegt sich der Anteil an den Exporten für Deutschland mit 0,3 Prozent im Promillebereich, auch für die EU insgesamt ist er mit 0,7 Prozent nicht besonders bedeutsam. In einzelnen Ländern sieht das allerdings anders aus. So macht der Agrarexport nach Russland in Polen immerhin 2,5 Prozent der Gesamtexporte aus, in Litauen sind es sogar 25 Prozent.

Schwieriger sind die Auswirkungen der westlichen Sanktionen zu schätzen, da die betroffenen Produkte weniger klar abgegrenzt sind. Angesichts eines Anteils der Exporte nach Russland an den gesamten deutschen Exporten von 3,3 Prozent (EU: 2,6 Prozent) und der Tatsache, dass nur bestimmte Technologien betroffen sind, dürften die unmittelbaren gesamtwirtschaftlichen Folgen aber auch hier überschaubar bleiben.

Gravierende weltwirtschaftliche Auswirkungen wären erst zu erwarten, wenn Russland seine Energieexporte als Waffe einsetzen würde. Das würde dann zu einem starken Anstieg der Ölpreise führen, was wiederum die wirtschaftliche Expansion in der Welt insgesamt und in den Industrieländern im Besonderen empfindlich treffen würde. Doch auf lange Sicht würde sich Russland mit einer solchen Politik den Ast absägen, auf dem es sitzt. Bereits jetzt unternehmen die westlichen Länder Anstrengungen, ihre Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu reduzieren, indem sie die Suche nach neuen Energiequellen - beispielsweise durch Fracking - intensivieren und verstärkt in den Ausbau regenerativer Energien investieren.

Durch Handel kommen Menschen in Kontakt

Europa muss dringend daran arbeiten, sich krisenfest zu machen. Denn wer mit Sanktionen Politik machen will, sollte dies aus einer Position der Stärke heraus tun. Deshalb muss Europa endlich auf einen Kurs der verantwortungsvollen Fiskalpolitik einschwenken. Ein wichtiges Element dafür ist die Einführung von atmenden Fiskalregeln für Schuldnerländer, die eine langfristige Schuldenquote verbindlich vorgeben, aber in Rezessionszeiten durchaus Mehrausgaben ermöglichen.

Grundsätzlich nimmt, wer Wirtschaftssanktionen verhängt, damit in Kauf, auch die eigene Wirtschaft zu treffen. Die westlichen Staaten tun dies, weil sie die gesamtwirtschaftlichen Risiken für begrenzt halten. Sie drohen allerdings die Gefahren zu unterschätzen, die sich aus den psychologischen Folgen eines sich aufschaukelnden Handelskrieges ergeben. Sanktionsgegnern wird häufig vorgeworfen, sie wollten für das Wohlergehen der Wirtschaft politische Grundsätze opfern. Es kann angemessen sein, einen wirtschaftlichen Preis zu zahlen, um politische Ziele zu erreichen. Doch der wirtschaftliche Preis muss realistisch berechnet werden, einbezüglich der psychologischen Risiken.

Dabei ist auch zu beachten, dass durch den Handel und die Wirtschaftsbeziehungen Menschen in Kontakt kommen. Sie schließen auf freiwilliger Basis miteinander Geschäfte ab - zum gegenseitigen Nutzen. Diese Interaktionen sind ein wichtiger Beitrag, um Konfliktpotenzial abzubauen. Sie zeigen täglich im Kleinen, wie wir aufeinander angewiesen sind. Dass diese Kontakte weniger werden, gehört ebenfalls zum Preis, den wir für Sanktionen zu bezahlen haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: