Süddeutsche Zeitung

Der Streik bei der Post:"Unser Markt ist total hungrig"

  • Der Streit zwischen der Deutschen Post und seinen Mitarbeitern hat zwei Fronten: Lohnforderungen und die Paketzusteller, die nicht nach Tarifvertrag bezahlt werden, weil sie bei Tochterunternehmen angestellt sind.
  • Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi will, dass gleiche Arbeit gleich entlohnt wird.
  • Die Post gibt zu, dass die Paketzusteller weniger verdienen als im Haustarif - aber mehr als bei Konkurrenzunternehmen wie Hermes oder DPD.
  • Nach Angaben der Gewerkschaft seien am Mittwoch weitere 6500 Zusteller in den Streik getreten. Insgesamt sind damit 14 500 Mitarbeiter im Ausstand.

Von Guido Bohsem

Jürgen Gerdes legt sein Gesicht in die Hand, zieht seine Augenbrauen hoch, zuckt mit den Schultern und sagt: "29." Der für die Bereiche Brief und Paket zuständige Vorstand der Deutschen Post DHL Gruppe sitzt in der Berliner Vertretung des Konzerns und wirkt reichlich gelassen. Mit diesem Montag sei es nun der 29. Streiktag, und von den 28 Streiktagen zuvor habe keiner groß etwas gemerkt. Er sei "demütig optimistisch", dass sich das auch jetzt nicht ändere, da die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu einem unbefristeten Streik aufgerufen habe.

Man muss sich Gerdes als einen Mensch gewordenen Bulldozer mit schnellem Verstand und hemdsärmligem Witz vorstellen. Ein Mann, der häufig sagt: "Da bin ich ganz entspannt", zugleich aber keinen Zweifel daran lässt, dass zu geschehen hat, was er möchte und zwar - bitte! - jetzt. In der weichgespülten Bundespolitik findet man solche Typen nur noch selten. Vielleicht kann man Gerdes am ehesten noch mit SPD-Chef Sigmar Gabriel vergleichen - an einem Tag, an dem der keine Lust hat, sich für die Medien zu verstellen.

Und so sagt Gerdes auf die Frage, wie lange der Streik denn noch dauern werde: "Ich kann nicht sagen, wann Verdi über die Hürde klettert, aber eins kann ich Ihnen sagen, sie müssen drüber." Man kann wohl annehmen, dass die Tarifverhandlungen alles andere als "ganz entspannt" wären, würde Gerdes sie führen und nicht seine Vorstandskollegin Melanie Kreis.

Aber auch so fliegen die Fetzen. Formal geht es darum, wie die 140 000 Mitarbeiter des Unternehmens in Deutschland künftig bezahlt werden und wie lange sie arbeiten sollen. Doch festgebissen haben sich Verdi und die Post an einer ganz anderen Frage. Die Hürde hat einen Namen. Er lautet DHL-Delivery. So heißen die 49 regionalen Tochtergesellschaften, die Gerdes in den vergangenen Monaten gegründet und für die er bislang 6000 Mitarbeiter eingestellt hat. 10 000 sollen es bis zum Jahr 2020 werden.

"Wir haben auch nicht einem Post-Mitarbeiter gesagt, ihr müsst auf Lohn verzichten"

6000 Jobs, das klingt nach einer unternehmerischen Großtat. Doch werden diese Paketzusteller nicht nach dem Haustarif der Post bezahlt, sondern nach dem niedrigeren Tariflohn der Speditions- und Logistikbranche. Und genau das will Verdi nicht hinnehmen. Die Gewerkschaft möchte stattdessen, dass auch bei Delivery die Hauslöhne gezahlt werden. Gleiches Geld für gleiche Arbeit eben.

Gerdes geht diese Forderung zu weit. Er hält sie sogar für unzulässig. "Wie wir unser Unternehmen organisieren, ist eine unternehmerische Entscheidung." Und diese könne die Post ohne die Gewerkschaft treffen. Deshalb komme auch keine Schlichtung infrage. "Man kann da keinen Schritt aufeinander zugehen", sagt er.

Die neuen Mitarbeiter von Delivery hätten allesamt unbefristete Verträge, und sie verdienten in diesen unbefristeten Verträgen 50 Prozent mehr als die Mitarbeiter der Konkurrenten der Post. Bei denen gebe es meistens nur den Mindestlohn von 8,50 Euro. Bei Delivery würden im Bundesdurchschnitt 13 Euro bezahlt, und, ja, im Konzern gebe es etwa 18 Euro. Nach Darstellung von Verdi erhalten aber nur erfahrene Zusteller die 18 Euro. Einsteiger müssten mit 13,90 Euro auskommen.

Die Mitarbeiter seien zu Delivery gekommen, so Gerdes, weil man bessere Löhne biete als die Konkurrenz von Hermes (eine Otto-Tochter), DPD (eine Tochter der staatlichen französischen Post), GLS (eine Tochter der britischen Royal Mail), als UPS oder als FedEx. "Wir haben auch nicht einem Post-Mitarbeiter gesagt, ihr müsst auf Lohn verzichten." Man habe die befristeten Verträge der Post-Mitarbeiter bei Delivery sogar in unbefristete umgewandelt.

Ja , es sei ungerecht, in einem Unternehmen unterschiedliche Löhne für die gleiche Tätigkeit zu bezahlen. "Sie werden aber kein Unternehmen finden, bei dem es anders ist." Gerade bei der Post mit ihren 40 000 Beamten sei das ohnehin so: "Wenn jetzt schon gestreikt wird, wenn ich 6000 Mitarbeiter einstelle. Was ist dann wohl los, wenn ich mal 6000 entlassen muss?"

Seine Aufgabe sei es, das Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen für die nächsten zehn, zwanzig Jahre, sagt der Post-Manager. Und deshalb müsse er daran arbeiten, die Kosten zu reduzieren. Ansonsten habe das Unternehmen in dem bissigen, sehr dynamischen Wettbewerb keine Chance. Den Unternehmen auf diesem Markt gehe es wie den Taxifahrern: "Sie müssen da sein, wo sie gebraucht werden, sonst haben sie Freizeit."

Verdi-Verhandlungsführerin Andrea Kocsis verweist hingegen auf die wirtschaftliche Lage des Konzerns, die nicht anders als sehr gut genannt werden kann. "Die Post gewinnt Jahr für Jahr Marktanteile von diesem riesigen, wachsenden Paketmarkt dazu, und deswegen hat die Post heute kein Problem mit den Mitbewerbern", sagte sie dem ZDF-Morgenmagazin. Sie forderte das Unternehmen auf, schnell einzulenken, sonst werde man den Streik Schritt für Schritt ausdehnen.

Post fürchtet Konkurrenz wie Uber oder Amazon

Die Post hat derzeit einen Marktanteil von gut 42 Prozent und ist damit absoluter Marktführer in Deutschland. Der zweite hinter der Post ist UPS. Doch kommen die Amerikaner lediglich auf einen Anteil von 25 Prozent. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen vor allem davon profitiert, in den Bereichen Paket- und Briefdienst enger zu kooperieren. Außerdem wurde die Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter deutlich konzentriert. Das hat sich vor allem für die Aktionäre ausgezahlt. Seit 2009 entwickelt sich die Deutsche Post zu einem Liebling der Börse. Der Kurs hat sich fast verfünffacht, und auch die Dividende stieg von Jahr zu Jahr.

Das habe aber auch wirklich gar nichts mit der Frage nach Delivery zu tun, meint Post-Vorstand Gerdes. Schließlich zeige der Abschluss des vergangenen Jahres eben nur, wie gut es im vergangenen Jahr gewesen sei. Wie gut das Unternehmen in der Zukunft dastehen werde, lasse sich daraus nicht entnehmen. Man müsse auch bedenken, dass sich womöglich andere Teilnehmer für das Geschäft rüsten. Amazon habe in einigen US-Städten die Zustellung selbst übernommen. Künftig könnten auch die Internet-Riesen Google und Alibaba einsteigen. Oder die Taxi-Firma Uber. "Unser Markt ist total hungrig."

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SZ vom 10.06.2015/kabr
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