"Der Spiegel":Die Suche nach der verlorenen Autorität

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Die Mitarbeiter des ,,Spiegel'' entscheiden in den kommenden Wochen, wie ihr Magazin künftig ausgerichtet sein soll

Christopher Keil

Immer wenn die Parteien im Wahlkampf sind, bringt sich der Spiegel in Form. Mit der Kraft seiner beinahe 200 in Deutschland arbeitenden Redakteure - 51 von ihnen in acht Redaktionsvertretungen von Berlin bis München - wird dann am öffentlichen Meinungsbild gemeißelt.

Besonders gerne breitet das Nachrichtenmagazin die Innereien politischer Intrigen aus: also wer mit wem gegen wen und vor allem wo zu Tische oder im Verborgenen saß und was verhandelte. Nicht selten sind die Berichte von so intimer Kenntnis, dass die Betroffenen montags noch einmal überlegen müssen, ob sie tatsächlich in dieser oder jener Reihenfolge diskutiert, getafelt und getrunken haben.

Nun ist der Spiegel selbst zum Wahlkampfthema geworden. Seit zwei Monaten bewerben sich fünf Kandidaten aus der Redaktion um zwei der fünf Geschäftsführersitze in der Kommanditgesellschaft Beteiligungsgesellschaft für Spiegel-Mitarbeitermbh&Co., kurz Mitarbeiter KG genannt.

1974 hatte Spiegel-Gründer Rudolf Augstein Redakteure, Dokumentationsjournalisten (ein Platz in der KG) und Verlagsangestellte (zwei KG-Plätze) mit der Hälfte seines Unternehmens beschenkt. Seit Augsteins Tod (2002) und einer Ein-Prozent-Verschiebung im Gesellschafterkreis verfügt die Mitarbeiter KG über 50,5 Prozent an der Spiegel-Verlag Rudolf Augstein GmbH&Co.KG.

Die beiden anderen Gesellschafter, der Hamburger Verlag Gruner+Jahr und die Erbengemeinschaft Augstein, sind mit 25,5 beziehungsweise 24 Prozent beteiligt. Das bedeutet, dass KG und G+J auf die für grundlegende Beschlüsse erforderlichen 76 Prozent kommen und damit auch den Spiegel beherrschen.

Vom heutigen Dienstag an bis zum 20.März wird abgestimmt. Vor allem die pop-bunte Snackbar im Hamburger Redaktionssitz ist Gerüchtebörse und Hochrechnungszentrale. Für Chefredakteur Stefan Aust, der nicht viel von Diskussionen über sein Herrschaftssystem hält (,,Selbst wenn ich auf Reisen bin, entscheide ich über Titelgeschichten, Titelbilder, Titelzeilen''), hat gerade erklärt, worum es bei der KG-Wahl gehe: um die ,,Zukunft des Spiegel''.

Solange Rudolf Augstein lebte, galt sein Wort. Augstein bestimmte, wer das Blatt außer ihm noch inhaltlich (Chefredaktion) und käufmännisch (Geschäftsführung) lenken durfte. Gabor Steingart, Leiter des Berliner Spiegel-Büros, nennt das rückblickend ,,die publizistische Autorität'' Augsteins, aus der die Legitimation des Chefredakteurs abzuleiten war. Steingart ist sich darin ganz offensichtlich einig mit seinem Chefredakteur. Aust, der 1994 eingesetzt wurde, lässt seit 2002 wenige Gelegenheiten verstreichen, sich auf Augstein zu berufen - um damit wiederum seinen Kurs, das Blatt zu lenken, zu legitimieren.

Bei der kreativen Festlegung auf das, was der Spiegel wöchentlich auf seinem Cover und im Heft anbietet, das erwähnte Aust unlängst, richte er sich ausschließlich nach dem eigenen Interesse. Seinen Kurs könnte man folglich als Kurs persönlicher Interessen bezeichnen. Oder, um es mit einem seiner erfolgreicheren Spiegel-Titel zu beschreiben, der im Februar 2001 dem Tennishelden Boris Becker gewidmet war: ,,Ich''.

Aust, Steingart, schon ist man im Wahlkampfstoff und bei den Kandidaten der KG-Wahl. Beides würde den Spiegel, müsste er darüber berichten, erregen. Es treten an: Steingart, 44, Günstling Austs, Autor zweier beachteter Wirtschaftsbücher, eine Art Intellektueller der ökonomischen Agenda und kühler Stratege. Marianne Wellershoff, 43, Tochter des Schriftstellers Dieter Wellershoff (Der Liebeswunsch), Chefin des Kultur-Spiegel. Außerdem Manfred Ertel, 56, fast 30 Jahre Spiegel-Mann, ehemaliger Betriebsrat, derzeit verortet in der Außenpolitik, verbandelt mit Krista Sager, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag. Auch die zwei bisherigen KG-Geschäftsführer bewerben sich: Armin Mahler, 52, Leiter des Wirtschaftsressorts, ein als integer und besonnen geltender Konsensvertreter, und Thomas Darnstädt, 57, promovierter Jurist, noch Sprecher der Mitarbeiter-KG, ein verlässlicher Kritiker Austs und vielleicht auch deshalb zuweilen Urheber unbedachter Äußerungen.

Wofür die Kandidaten stehen, haben sie in den zurückliegenden Wochen vor kleinem und großem Publikum ausgebreitet. Sie haben über mehr Entscheidungstransparenz gesprochen, über Mitbestimmung, über die Bestandsperspektive einer Branche im Wandel von Technologie und Werbemarkt. Natürlich wollen alle die Marke Spiegel stärken. Bei Wellershoff (,,Wir müssen dafür sorgen, dass der Spiegel auch im digitalen Zeitalter das unverzichtbare Leitmedium bleibt'') klingt das in einer internen Info der Spiegel-Gruppe (,,1/2007'') zunächst nicht einmal anders als bei Steingart, der als Abgeordneter für die Grünen im Marburger Stadtparlament saß und Volkswirtschaft studierte: ,,Wir müssen auf die veränderten Medienmärkte reagieren.''

Steingart allerdings, ein flexibler Überzeugungsjournalist, zeigte von allen das größte Kommunikationstalent. Keiner traute sich in der komplexen Frage nach Mitwirkung der KG am Geschäftsverkehr des Spiegel so weit ins Detail wie er. Mit beinahe ministerieller Ernsthaftigkeit (etwas spöttisch wird sein Büro derzeit ,,Kampa'' genannt) entwarf Steingart ein angeblich dem britischen Eliteheft Economist entliehenes Modell, das jedem stillen Gesellschafter ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Chefredakteurs einräumt.

Seine Chancen, Mandatsträger zu werden, sind trotzdem eher gering. Sein Rivale Ertel formulierte in der Spiegel-Gruppe-Info ,,1/2007'' programmatisch: ,,Steingart ist Kronprinz des Chefredakteurs und Kandidat für die neue Chefredaktion und drängt zugleich in das Gremium, das die Weichen für die nächste Chefredaktion stellen muss.''

So empfinden es sehr viele. Steingart hat seine Ambition, Austs Nachfolger zu werden und seine Macht zu vervollständigen, nie verborgen. Dass er den Schneid besaß, überhaupt anzutreten, überraschte zwar, das Engagement fürs Gemeinwohl wird ihm nicht abgenommen. In Gesprächen soll er sich auch für Frauen im Spiegel stark gemacht haben. Bei Durchsicht des Impressums findet man aber unter den 18 Redakteursstellen in seinem Ressort nur eine Frau.

Für den Fall einer Niederlage plant Steingart dem Vernehmen nach eine mögliche Auszeit in den USA ein. Er wolle vielleicht sogar im Präsidentschaftswahlkampf für das demokratische Team von Hillary Clinton tätig werden. Heute Berlin, morgen New York, übermorgen Washington. Steingart ist sehr beweglich, der Korrespondentenjob in Washington steht auch auf seiner Karriereliste. Immerhin, das sagen solche, die nicht für ihn votieren werden, habe sich der Berliner Bürochef intensiv an einer ,,schönen Diskussion'' beteiligt.

Diese Mitarbeiter-KG-Wahl ist zwar nicht die erste nach Augsteins Tod, doch plötzlich begreifen sich die Spiegel-Redakteure als das, was sie auch sind: Mehrheitsgesellschafter, die ähnlich einem Aufsichtsrat über die Berufung und Absetzung von Chefredaktion und Geschäftsführung befinden.

Dieses Machtbewusstsein trifft die Belegschaft zwar mit einiger Verzögerung, doch auf einmal bedeutet KG-Mitgliedschaft nicht mehr bloß ,,jährliche Gewinnausschüttung'', sondern eine herausragende Stellung in der deutschen Presselandschaft.Den meisten ist das wohl im vergangenen Dezember aufgegangen. Damals wurde der letzte von Augstein eingesetzte Geschäftsführer, Karl Dietrich Seikel, 60, auf Betreiben der Mitarbeiter-KG und mit Zustimmung Gruner+Jahrs durch Mario Frank, 48, ersetzt.

Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, 60, hat Seikels vorzeitige Ablösung persönlich genommen. Zwar hielt der Spiegel in seinem einst von Verner Panton gestalteten Hamburger Stammhaus immer auf Stil. Aust hielt, seit er die Kontrolle über die Redaktion besitzt, vor allem viel von sich. In einem Interview, das er dem Tagesspiegel gewährte, fällt der entscheidende Satz: ,,Die Stellung des Chefredakteurs war immer so, dass er nicht einmal Weisungen der Gesellschafter entgegennehmen muss. Man kann ihn nur feuern. Solange das nicht geschieht, ist er souverän in seinen Entscheidungen. So hat es auch Rudolf Augstein gehandhabt.'' Dass Aust sich als Augsteins publizistischer Testamentsvollstrecker auf Erden hält, belustigt inzwischen manche, die Augstein ebenfalls und dazu ganz gut kannten. Aust ist es ernst damit. Als von Augstein installierter Chefredakteur wähnt er sich augenscheinlich berufen, wie Augstein zu handeln. Eine Trennung zwischen beiden Personen findet in seinen Einlassungen immer seltener statt.

Spiegel-politisch ist das Tagesspiegel-Interview vom 28. Januar ein massiver Eingriff in den KG-Wahlkampf zu Ungunsten von KG-Sprecher Darnstädt. Ihm lastet Aust, ohne ihn zu benennen, die Demission Seikels und die Bestellung Franks an. Er sagt: ,,Vor allem die Mitarbeiter-KG hat es für richtig gehalten, Herrn Seikel (...) zu ersetzen, Seikel, der außerordentliche Verdienste um das Unternehmen hat. Wenn ich anfangen würde, die alle aufzuzählen, würde das den Rahmen (...) sprengen.''

Dass Aust das ehrlich gemeint haben könnte, glauben wenige. Jedenfalls haben Spiegel-Redakteure durch Deutschland telefoniert, um bei aller Liebe zum Blatt, das sich der Wahrheit verpflichtet fühlt, ein bisschen Wahrheit wiederherzustellen und Seikels Verdienste zu relativieren. Man braucht deshalb nicht der gleichen Ansicht zu sein wie Darnstädt oder Mahler, der versichert haben soll, Mario Frank sei ein Gruppenbeschluss der KG gewesen, keine Einzeltat. Man kann die Geschäftsführer-Personalie kritisieren. Doch Austs Motiv, Frank abzulehnen, hat ja vermutlich weniger mit Seikels Verdiensten als mit der friedlichen Co-Existenz zu tun, in der Aust über Seikel zwölf Jahre lebte. Der Chefredakteur ist kein Freund sogenannter Line-Extensions, Ableger-Produkte der Marke Spiegel. Aust wollte kein Wissens-, kein Kulturmagazin, Seikel hat ihn da unterstützt, abgesehen vom Projekt einer englischsprachigen Spiegel-Ausgabe, die Aust kurioserweise wollte und Seikel, so hört man das, nicht. Doch es wird nicht reichen, den Unternehmergeist auf die perfekte Verschmelzung des Spiegel mit den von Aust gut gemanagten Fernseh- und Online-Aktivitäten auszurichten.

Warum soll die Stärkung der Marke nicht möglich sein und gleichzeitig eine neue Vertriebsstrategie (Sonntagsverkauf), eine durchdachte Verlagsoffensive in der modernen Medienwelt? Aust ist ein populärer Selbstverteidiger. Differenziert wird die Debatte über die Zukunft des Spiegel bestenfalls von unten geführt. Dass Frank in einer ersten Redaktions-Ansprache ungeschickt erklärte, Auflagenverluste beim Spiegel seien kein Problem, sofern Spiegel-Ableger, line extensions, das ausglichen, ist dabei ein PR-Desaster gewesen. Genau so wie Darnstädts Anfang des Jahres im kleinen Kreis unvorsichtig vorgetragene, verpetzte Behauptung: Die Auflage des Spiegel werde nach oben gelogen.

Darnstädt ist ein standhafter Gegenspieler Austs gewesen in den vergangenen zehn Jahren, was ihm zwischenzeitlich die Verbannung nach Madrid einbrachte. Dennoch bekam er bei der KG-Wahl 2004 zwei Drittel aller Stimmen. Diesmal deutet sich ein Wechsel an: Kooperation statt Konfrontation.

Wirtschaftsboss Mahler, ein vorsichtiger Formulierer, liegt in der Einschätzung der stillen Gesellschafter aus der Redaktion (ungefähr 230) vorne. Gut im Rennen ist offenbar auch Marianne Wellershof, die Frau der Frauen. Dass Mitarbeiter-KG und Gruner+Jahr die Mehrheit am Spiegel besitzen, findet Aust ,,keine schlechte Lösung''. Es komme nur darauf an, wie die ,,Leute mit der ihnen verliehenen Macht umgehen'' - eine Frage die KG-Geschäftsführer nach dem Tode Augsteins auch Aust stellen müssen.

Die Grüne Antje Vollmer schrieb einst sinngemäß über den Spiegel, er gehöre nicht allein Augstein, ,,sondern uns allen''. Das ist nicht ganz richtig, aber einem Chefredakteur allein gehört er sicher auch nicht.

© SZ vom 6.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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