Der Oberforscher:Zwischen Kreativität und Kommerz

Claus Weyrich führt die Siemens-Forscher und muss die Trends der Zukunft frühzeitig erkennen. Dazu arbeiten ihm auch Utopisten zu. Zweckfreie Forschung duldet er aber nicht.

Marc Beise

Soeben ist er aus China zurückgekommen, dem Markt der Zukunft. Siemens hat dort Forschungszentren mit größtenteils einheimischen Forschern, die Produkte für den chinesischen Markt ersinnen, aber auch für die Welt. Claus Weyrich, der Forschungsvorstand des Konzerns, hat vor Ort nach dem Rechten gesehen.

Der Oberforscher: Führt gerne persönliche Gespräche: Siemens-Forschungsvorstand Claus Weyrich.

Führt gerne persönliche Gespräche: Siemens-Forschungsvorstand Claus Weyrich.

(Foto: Foto: AP)

Weyrich steht unter Druck. Der oberste Forscher des Weltkonzerns ist qua Amtes auf der Suche nach den Erlösquellen von morgen. 75 Prozent des Konzernumsatzes verdient der Multi mit Produkten und Dienstleistungen, die jünger sind als fünf Jahre. "Das bedeutet, dass wir drei Viertel unseres Umsatzes in fünf Jahren durch heutige Investition in Forschung und Entwicklung sichern müssen", sagt Weyrich.

Seine Aufgabe sieht er darin, vor allem im Bereich der Forschung diesen Innovationsprozess zu "managen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die Mitarbeiter ihre Leistungsfähigkeit voll entfalten können."

Tüftler wichtig

Etwa 1800 der 47.000 Forscher und Entwickler weltweit arbeiten Weyrich direkt zu: Naturwissenschaftler, vor allem Physiker, Ingenieure und Informatiker. Geduldet werden aber auch Tüftler und Utopisten. Sie seien wichtig, weil sie querdenken und auch unkonventionelle Ansätze ausprobierten, sagt Weyrich.

"Erfolgreiche Forschung ist eine Teamleistung, in der sie Tüftler, Umsetzer und Manager brauchen." Aber auch für die Tüftler gelte: "Wir machen keine zweckfreie Forschung. Wer Vorfeld macht, muss wissen, wo das Feld ist."

Erfolg am Markt ist essenziell

Am Ende geht es immer um den geschäftlichen Erfolg. Erfindungen werden erst dann zu Innovationen, wenn sie im Markt erfolgreich sind. Forschung und Entwicklung (F&E) bei Siemens müssen die technologische Zukunft des Großkonzerns mit 461.000 Mitarbeitern sichern. Auch die Forscher dürfen das Kosten-Nutzen-Verhältnis nie aus den Augen verlieren.

Weyrich: "Das Wichtigste dabei ist ein konsequentes Projektmanagement. Natürlich sollen die Mitarbeiter Freiheiten für Ideen haben, aber die Kreativität muss zielgerichtet zu einem Produkt hinführen, das sich im Markt durchsetzen kann. Sobald wir merken, dass wir dieses Ziel nicht erreichen, stellen wir das Forschungsprojekt ein."

Erfolgreiche Projekte dagegen werden im Unternehmen gefeiert. Einmal im Jahr werden die zwölf herausragendsten Erfinder des Unternehmens von Vorstandschef Klaus Kleinfeld persönlich ausgezeichnet.

Enges Kommunikationsnetz

Diese Entwicklungen versucht Vorstand Weyrich über ein enges Netz von Kommunikation zu steuern. Am Anfang steht die Analyse zukünftiger Märkte und Kundenwünsche. Hierfür hat Siemens einen eigenen Prozess entwickelt, der zu Zukunftsszenarien führt, den "Pictures of the Future".

Es folgt die Entwicklung neuer Technologien und die konkrete Umsetzung in Produkten. "Alles in allem", sagt Weyrich, "ist Innovation harte Arbeit." Arbeit, bei der sich der promovierte Physiker als "Moderator" zwischen Kreativität und Kommerz, zwischen Freiraum in der Forschung und Marktnähe versteht.

Zwischen Kreativität und Kommerz

Seine eigene Forscherzeit liegt lange zurück, seine "zwölf oder 13 Patente" aus dem Bereich der Halbleiterforschung sind inzwischen abgelaufen. Heute ist Weyrichs Arbeitstag von Gesprächen mit Mitarbeitern und Führungskräften geprägt, von Treffen mit Bereichsvorständen, von Kundenbesuchen und Kontakten zu der Welt der Wissenschaft, eine endlose Kommunikationsschleife.

Neben den E-Mails behaupten sich die persönlichen Kontakte, die regelmäßigen Besuche in den Forschungslabors und Projektdurchsprachen mit den einzelnen Forschern. Diese persönlichen Gespräche sind Weyrich wichtig: "Auf diesem Weg kommt man schnell an Informationen."

Wichtige Synergien

Neben der globalen Präsenz definiert Weyrich den USP, den "Unique Selling Point", für einen Vielsparten-Konzern wie Siemens durch die Synergien dieser Sparten.

Erklärt am Beispiel der sehr erfolgreichen Medizintechnik: Produktschlager ist dort derzeit der weltweit erste Dual-Source-Computertomograph ("Somatom Definition"), der bei einer Verringerung der Strahlendosis von bis zu 50 Prozent Bilder selbst schnell schlagender Herzen in bisher nicht gekannter Detailgenauigkeit liefert.

Gleichzeitig kann ein Krankenhaus von so genannten Workflowsystemen über die Kommunikationsinfrastruktur und Gebäudetechnik bis hin zur Beleuchtung bei Siemens alles aus einer Hand beziehen.

Massive Probleme in einzelnen Sparten

Auch der Weltkonzern Siemens ist keine garantierte Erfolgsgeschichte. Der Konzern hat massive Probleme in einzelnen Konzernsparten, das Halbleitergeschäft und die Mobiltelefone sind verkauft, das Traditionsgeschäft Festnetz befindet sich im Umbruch - umso wichtiger ist Weyrich, dass seine Leute weiter Trends setzen.

So hat Siemens soeben zum zweiten Mal in Folge den Zukunftspreis des Bundespräsidenten gewonnen: gemeinsam mit Bosch für piezoelektrische Diesel- und Benzineinspritzsysteme, die weltweit bei den Automobilherstellern Anklang finden.

Für die kommenden 20 Jahre erwartet Weyrich Innovationen für die beiden "Megatrends der Welt", die fortschreitende Urbanisierung (Verstädterung) und die demographische Entwicklung hin zu immer mehr und immer älteren Menschen.

Auswirkungen der "Megatrends"

Weyrich nennt die zunehmende Wasserverknappung, die Begrenzung der Energieressourcen, die Explosion der Gesundheitskosten oder der stetig zunehmende Bedarf an individueller Mobilität und damit einhergehend der Anstieg der Schadstoffe und der Lärmbelästigung.

Siemens will hier Lösungen beispielsweise im Bereich der Telematik und der Wasserwirtschaft, der zentralen und der dezentralen Energieversorgung und der Nutzung regenerativer Energien entwickeln. Davon, was die Forscher und Entwickler hier zustande bringen, hängt das Überleben von Deutschlands größtem Industriekonzern ab.

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