Süddeutsche Zeitung

Der Mythos "Kalaschnikow":Bis zum letzten Schuss

Lesezeit: 3 min

Sie verdankt ihren Erfolg der weltweit stabilen Konjunktur an Konflikten und Putschen: 72 Millionen Mal wurde die "Kalaschnikow" verkauft - jetzt steht der russische Waffenproduzent vor der Pleite.

Sonja Zekri, Moskau

Ewiger Ruhm ist ihm sicher, ein Platz in der ersten Reihe der Waffenkonstrukteure, in Russland, in der ersten, zweiten und vor allem in der dritten Welt. Michail Timofejewitsch Kalaschnikow wird bald 90 Jahre alt, seine Erfindung, die AK 47, die Kalaschnikow, ist 65 Jahre alt.

Sie wird von Armeen in 106 Ländern benutzt, außerdem von Myriaden Verbrechern, Milizen und Paramilitärs. Mosambik trägt sie auf der Nationalflagge, die Hisbollah auf der Fahne. Die Kalaschnikow war der Exportschlager der Sowjetunion. Bis heute wurde sie 72 Millionen Mal verkauft. Bald aber ist die Kalaschnikow vielleicht pleite. Und Michail Timofejewitsch weiß von nichts.

Gegen die "Ischewsker Maschinenbaufabrik", kurz Ischmasch, in der Republik Udmurtien kurz vor dem Ural, wo die Kalaschnikow im Jahr 1947 in Serie ging, wurde Konkursantrag von einer Firma namens Gremicha gestellt.

"Wie ein Dolchstoß"

Die Forderung werde in einer Anhörung am 7. Oktober geprüft, erklärte das Schiedsgericht der Republik nach Medienberichten. Drei weitere Firmen - Stam, Russkaja Kompania und Ilplast - hätten bereits im Frühjahr Konkursanträge gegen Ischmasch-Tochterunternehmen gestellt, weil diese ihnen Geld schulden.

Aber kein Wort zu Michail Timofejewitsch. "Er ist in einen Zustand, in dem solche Fragen wie ein Dolchstoß wären", sagte seine Tochter Jelena Kalaschnikowa der Internetzeitung Life.ru: "Am besten rührt man gar nicht daran." Er habe eine Waffe für den Frieden geschaffen, nicht für den Krieg, hatte Kalaschnikow stets gesagt und erzählte gern, wie ihm, dem Autodidakten aus dem Altai, während des Zweiten Weltkrieges in einem Lazarett die Eingebung kam.

Fast nicht kaputt zu kriegen

Seinen Erfolg aber verdankte er dann eher nicht dem Frieden, sondern der weltweit stabilen Konjunktur an Konflikten, Feldzügen und Putschen. Die Kalaschnikow ist nicht elegant, aber fast nicht kaputt zu kriegen, sie feuert nach Tagen in der Wüste, im Schlamm, im Regen.

Man muss nicht lesen können, um eine Kalaschnikow abzufeuern. Und sie war unschlagbar billig. Amerika verlor den Vietnam-Krieg - auch wegen der Kalaschnikow. Michail Timofejewitschs Friedenswaffe hat mehr Menschen getötet als die Atombombe. Wie kann ein so gefragtes Produkt so einbrechen?

Ruslan Puchow, den Direktor des Zentrums zur Analyse von Strategie und Technik, haben die schlechten Nachrichten aus Udmurtien nicht überrascht. Ein Drittel bis die Hälfte aller russischen Rüstungsfabriken stünden kurz vor der Pleite, sagte er der Zeitung Gaseta: "Sie haben schon lange keine staatlichen Aufträge mehr bekommen."

Kalaschnikows Firma sei keine Ausnahme. Dies ist die bittere Wahrheit aller patriotischen Aufrüstungsversprechen des Kreml: Russland hat nicht mal genug Geld, um seine eigene Rüstungsindustrie am Leben zu halten.

Ermittlungsbehörden eingeschaltet

Die Firmenleitung weist die Konkursanträge von sich, zur Firma Gremicha unterhalte man überhaupt keine Geschäftsbeziehungen. Gremicha habe anderen Gläubigern Forderungen abgenommen, "eine Kette überlassener Rechte Dritter" sei so entstanden. Man habe sich an die Ermittlungsbehörden gewandt, um Klarheit zu schaffen.

Und tatsächlich scheint Gremicha eine Tochter des Ölunternehmens Udmurtneft zu sein. Wofür braucht sie Waffen? Im ersten Halbjahr allerdings hat Ischmasch, das auch Motorräder, Autos und Werkzeuge produziert, mehr als 22 Millionen Euro Schulden angehäuft. Hilferufe an den Staat, der beispielsweise der Autoindustrie mit Krediten in Milliardenhöhe aushalf, verhallten ungehört.

Das ist umso erstaunlicher, als gut die Hälfte von Ischmasch dem Staatskonzern Rostechnologii gehört, der wiederum die Gründung der Staatsholding "Russische Schusswaffen und Patronen" durchführen soll. Das Schlüsselunternehmen der "Russischen Schusswaffen und Patronen" aber sollte nach einer Entscheidung der Regierung im August vergangenen Jahres eben die Ischewsker Maschinenfabrik sein.

Hoffnung auf Kredite

Rostechnologii erklärte rasch, das Ischewsker Unternehmen verfüge über "aussichtsreiche Aufträge", gerade mit Blick auf die geplante Staatsholding.

Die Zeitschrift Expert vermutet, hinter den Konkursanträgen könne der Versuch der Gläubiger stehen, vor der großen Verschmelzung noch ihren Anteil zu bekommen. Andere Beobachter spekulieren, der drohende Konkurs könne den Staat, in diesem Fall also Rostechnologii, endlich zum Handeln zwingen, also zur Bewilligung von Krediten.

Denn die Zerschlagung der Kalaschnikow-Fabrik hätte ganz sicher eine noch mindestens so große Signalwirkung wie der Bankrott der russischen Autoindustrie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.41189
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.09.2009/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.