Der Fall Beate Uhse:Fragwürdiger Eifer

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Als es noch kein Internet gab, blühten die Geschäfte der Erotikkette Beate Uhse.

(Foto: Dietmar Gottschall/SZ Photo)

Der Niedergang des Erotikkonzerns schien ein Kriminalfall zu sein. Doch neun Jahre nachdem die Staatsanwaltschaft Kiel einen vermeintlich Schuldigen sogar in U-Haft sperren ließ, ist von den Vorwürfen so gut wie nichts übrig.

Von Uwe Ritzer, Kiel/München

Es sind nur zwei Seiten inklusive Rechtsbehelfsbelehrung, verfasst in sprödem Juristendeutsch. Der entscheidende Satz des Gerichtsbeschlusses umfasst genau zwei Zeilen. Er markiert einen späten Schlussstrich unter ein spektakuläres Strafverfahren, das nicht nur die norddeutsche Öffentlichkeit jahrelang heftig umtrieb. Immerhin geht es um den Niedergang des lange größten deutschen Erotikkonzerns Beate Uhse.

Dessen Umstände schienen zu Beginn der 2010er-Jahre alle Zutaten für einen großen Wirtschaftsskandal zu enthalten. Die Staatsanwaltschaft Kiel witterte hinter Geschäften mit Beate-Uhse-Aktien und Kreditvergaben der Sparkasse Flensburg besonders schwere Untreue und Beihilfe dazu, sowie verbotene Aktienkurs-Manipulationen. Das mediale Echo war entsprechend laut; von "Klüngel im Küstennebel" schrieb etwa der Spiegel. Den großen Schurken bei alledem glaubte die Staatsanwaltschaft schnell ausgemacht zu haben: den Flensburger Steuerberater und Geschäftsmann Richard Orthmann.

Er sei das Gehirn einer kriminellen Clique, die mit krummen Geschäften vor allem bei der Sparkasse Flensburg einen Vermögensschaden von 45 Millionen Euro angerichtet habe, so die Lesart der Ermittler. Zu den Beschuldigten gehörten neben Orthmann auch der Sohn von Firmengründerin Beate Uhse und Vorstände der Sparkasse. Orthmann, zeitweise Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Beate Uhse AG, landete auf Betreiben der Staatsanwaltschaft Anfang August 2011 sogar für 62 Tage in Untersuchungshaft. Nach seiner Freilassung setzte ihn die Justiz wochenlang in einer Art Hausarrest fest.

Neun Jahre später ist von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen ihn nichts geblieben. Die Verfahren gegen Orthmann und fünf weitere Angeklagte wurden eingestellt, nur in zwei Fällen gegen (gemessen an der genannten Schadenssumme) ziemlich überschaubare Geldauflagen. Es ist ein ziemliches Desaster für die Ermittler. Besonders im Fall von Richard Orthmann stellt sich ziemlich laut die Frage nach den Ermittlungsmethoden und einem zugrunde liegenden, völlig überzogenen Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft. Für den nun das Land Schleswig-Holstein finanziell geradestehen muss.

In besagtem, knapp formuliertem Beschluss vom August 2020 sprach die zweite Zivilkammer des Landgerichtes Flensburg Orthmann nach langen Vergleichsverhandlungen 80 000 Euro Entschädigung zu, plus Zinsen. Zwischenzeitlich ist das Geld bezahlt. Bereits in früheren Verfahren hatte der beruflich und privat in der Schweiz ansässige Geschäftsmann etwa 400 000 Euro Entschädigung erstritten.

"Es ist eine Genugtuung, dass im Laufe der Jahre alle Verfahren eingestellt wurden und meine Unschuld einwandfrei bewiesen wurde", sagt Orthmann. "Einzig die Reputation kann dadurch nicht wieder hergestellt werden, es bleibt aufgrund der von der Staatsanwaltschaft forcierten Berichterstattung mit einer gewissen Vorverurteilung etwas hängen." Innerlich habe er "mit den Machenschaften der Staatsanwaltschaft" abgeschlossen.

Naturgemäß kommt es häufiger vor, dass sich ein Verdacht nicht erhärtet, der Ermittlungen zugrunde liegt. Oder dass eine Staatsanwaltschaft zwar Anklage erhebt, ein Gericht aber zu einem anderen Urteil kommt. All dies ist rechtsstaatlich normale Praxis und nicht per se verwerflich. Im Fall Beate Uhse allerdings stellen sich Fragen nach der Sorgfalt, den Methoden und der Verhältnismäßigkeit der Kieler Ermittlungsbehörde. So stützten sie ihre Vorwürfe gegen Orthmann wesentlich auf einen vermeintlichen Kronzeugen, den das Landgericht Kiel später als psychisch krank einstufte. Der Mann, ein früherer Angestellter Orthmanns, habe "offensichtliche Falschaussagen" getätigt und allerhand "frei erfunden", um seinem Ex-Chef zu schaden.

Darauf hätten die Ermittler leicht selbst kommen können. Spätestens als der Zeuge bei einem Notar ein bizarres Testament verfasste, das auch in den Justizakten landete. Darin vererbte er seine Comic-Hefte und "Lilibiggs Murmelspiel" sowie ein Millionenvermögen aus Immobilien, Firmenbeteiligungen, Wertpapieren und Oldtimern, das er gar nicht besaß, "aber noch erwerben werde". Ein erträumtes Vermögen also. Kein sonderlich vertrauenerweckendes Verhalten für einen Kronzeugen in einem großen Wirtschaftsverfahren.

Der zuständige Staatsanwalt allerdings zog durch - drei Jahre nach dem seltsamen Testament erhob er Anklage gegen Orthmann und fünf andere Angeklagte. Das Landgericht Kiel lehnte es jedoch ab, überhaupt einen Prozess zu führen und zerpflückte die Anlageschrift. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft ließ das zuständige Oberlandesgericht zwar ein Untreueverfahren gegen zwei Flensburger Banker zu, nicht aber gegen den mutmaßlichen Drahtzieher Orthmann und die anderen Angeklagten. 2017 endete auch das Verfahren gegen die Sparkassen-Manager mit Einstellungen nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung gegen Geldauflagen.

So blieb von dem vermeintlich großen Wirtschaftsskandal um Beate Uhse letztlich so gut wie nichts übrig, vom Reputationsschaden für die Beteiligten abgesehen. Die Beate Uhse AG existiert nicht mehr; ihr operatives Geschäft führt nach einem Insolvenzverfahren eine niederländische Gesellschaft weiter. Und während Richard Orthmann um Entschädigung kämpfte, wurde der federführende Staatsanwalt zu einem Abteilungsleiter im Kieler Innenministerum befördert.

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