Süddeutsche Zeitung

Der Fall Augustinum:Von wegen christlich

Gegen vier Geschäftsleute, die den Seniorenstiftbetreiber über Jahre dreist ausgenommen haben sollen, liegt nun die Anklage vor. Doch der mutmaßliche Strippenzieher kann nicht mehr belangt werden.

Von Klaus Ott

Artur Maccari ist nun schon bald fünf Jahre tot, aber seine Ruhe gefunden hat der einst in einem christlich geprägten Konzern an führender Stelle wirkende Jurist immer noch nicht. Und das nicht nur wegen der sagenhaften Summe von 170 Millionen Euro, die das in München ansässige Augustinum von ihm fordert. Genauer gesagt, von seinen Erben. Der zeitlebens sehr angesehene Maccari, Ehrensenator einer katholischen Hochschule, war Aufsichtsratschef dieser Unternehmensgruppe. Die betreibt über ganz Deutschland verteilte Seniorenstifte und soll dabei von dem Senator schwer hintergangen worden sein. So steht es in einer dicken Anklageschrift, die seit Kurzem dem Landgericht München I vorliegt und im kommenden Jahr wohl zu einem ungewöhnlichen Prozess führen wird.

Lug und Trug ausgerechnet dort, wo christliche Werte gepredigt werden? Die Staatsanwaltschaft München I wirft nach langen Ermittlungen vier Angeschuldigten vor, Teil einer Bande gewesen zu sein, die das Augustinum bei Immobiliendeals übel ausgenommen habe. Bei Geschäften mit 14 der 23 Seniorenstifte des evangelischen Konzerns seien Millionenbeträge verschoben worden. Die vier Angeschuldigten, ein Ex-Chef und drei Handelspartner des Augustinums, hätten in die eigenen Taschen gewirtschaftet. Das meiste Geld sei aber bei Maccari gelandet, der als Oberkontrolleur eigentlich die Aufgabe hatte, für Recht und Ordnung zu sorgen.

Der mutmaßliche Strippenzieher kann nicht mehr belangt werden

Der Senator, ein stets seriös wirkender Anwalt mit vielen Ämtern, soll spätestens Mitte 2007 finanziell in Not gewesen sein. Und fortan seinen Einfluss beim Augustinum genutzt haben, um über Mittelsmänner und mit Scheinrechnungen weit mehr als zehn Millionen Euro auf seine Konten zu verschieben. Erst nach Maccaris Tod Anfang 2014 sei alles ans Licht gekommen.

So ist es der Anklage zu entnehmen. Der aktuelle Schaden für den Sozialkonzern wird darin auf gut 30 Millionen Euro beziffert. Das ist weit weg von den 170 Millionen Euro, die das Augustinum bei Maccaris Nachlass geltend macht. Rein vorsorglich, um jeden erdenklichen Anspruch zu sichern. Um den Nachlass kümmert sich längst ein Insolvenzverwalter, die Erben könnten die vielen Forderungen gar nicht begleichen. Ob die christliche Unternehmensgruppe und andere Gläubiger des Senators noch Geld bekommen, bleibt abzuwarten. Das Augustinum beteuert, die 7400 Bewohner der Seniorenstifte müssten sich keine Sorgen machen, ihnen drohten keine Nachteile. Die Verluste aus den Immobiliendeals habe man verkraften können.

Dennoch: Die mehr als 100 Seiten umfassende Anklage ist schwere Kost, auch für das von der evangelischen Pfarrerfamilie Rückert aufgebaute und geführte Augustinum. Die Rückerts hatten zunächst Schülerheime gegründet; es folgten Schulen, Internate und Werkstätten für Behinderte, Sanatorien für Demenzkranke, Kliniken und eben Seniorenstifte. 4400 Beschäftigte zählt die Gruppe heute. Der von Pfarrer Georg Rückert und seiner Frau Getrud 1954 in München-Pasing gegründete gemeinnützige Konzern wird heute in dritter Generation auch von Johannes Rückert geführt - als Mitglied eines achtköpfigen Kollegiums. Sein Vater Markus Rückert, der jahrzehntelang die Geschäfte führte, ist vor einigen Monaten in den Ruhestand gegangen. Markus Rückert war eine prägende Figur in der evangelischen Wohlfahrt, der Diakonie, der das Augustinum angehört. Doch sein Wirken im eigenen Unternehmen ist nicht frei von Kritik.

Die Anklage zeichnet das Bild eines Konzernchefs, der seinem Mit-Geschäftsführer Kurt Wilkin und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Artur Maccari blind vertraute. Der sich von den beiden und deren mutmaßlichen Kumpanen leicht habe betrügen lassen. Der naiv Verträge mit einem Volumen von insgesamt mehr als 700 Millionen Euro unterschrieb, ohne diese intensiv zu studieren. Auf diese Weise verkaufte das Augustinum zahlreiche Seniorenstifte an eine kleine Immobilienfirma namens Nordic Kontor (NK) aus Norddeutschland - um die Häuser dann von NK zu ungünstigen Konditionen zurückzumieten. Das Geld für den Handel hatte NK, eine Mini-GmbH mit 25 000 Euro Eigenkapital, auch noch vom Augustinum bekommen. Auf diese Weise lasse sich die Bilanz der evangelischen Unternehmensgruppe verschönern, zum Wohle der dort betreuten Menschen, soll Maccari seinen Aufsichtsratskollegen und Unternehmenschef Rückert weisgemacht haben. Das besagen jedenfalls die Ermittlungsergebnisse.

Markus Rückert hat der Staatsanwaltschaft erzählt, er habe zahlreiche Vereinbarungen auf Zuruf von Maccari unterzeichnet, zusammen mit Wilkin. Ohne den Inhalt im Detail zu prüfen. Kauf- und Mietverträge mit NK, Kreditverträge für die Mini-Firma und Treuhandverträge. Rückert gab zu Protokoll, ihm sei von Maccari beispielsweise eine Vereinbarung vom 6. Mai 2011 zur sofortigen Unterschrift vorgelegt worden. Er habe es nicht für notwendig gehalten, sich die Zeit für eine genauere Lektüre auszubedingen, und das Papier unterzeichnet. Er vertraute Maccari.

Ist es verantwortungsvoll, eine Unternehmensgruppe mit 350 Millionen Euro Jahresumsatz so zu führen? Wohl kaum. Die Staatsanwaltschaft hat geprüft, ob Rückert Konzernvermögen willentlich veruntreut habe. Und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Pasinger Pfarrer keinesfalls die Absicht gehabt habe, das Lebenswerk seiner Familie zu schädigen. Sondern arglos und gutgläubig gewesen sei, was aber nicht strafbar ist. Ein gegen Rückert eingeleitetes Bußgeldverfahren wurde wieder eingestellt.

Sofern das Landgericht einen Prozess ansetzt, was absehbar ist, sollen auf der Anklagebank also Platz nehmen: Rückerts ehemaliger Geschäftsführerkollege Wilkin, die beiden Betreiber von NK und ein in der Schweizer lebender Geschäftsmann, der viele der mutmaßlich kriminellen Geschäfte vermittelt haben soll. Um dann Aufsichtsratschef Maccari heimlich Millionenbeträge zuzuschieben. Alle vier Angeschuldigten sollen mitkassiert, sollen den christlichen und gemeinnützigen Sozialkonzern gemeinsam betrogen haben. Den beiden NK-Betreibern wird beispielsweise vorgeworfen, fast zehn Millionen Euro auf Konten einer Firma namens Ipsorum verschoben zu haben, um das Geld dem Zugriff des Augustinums zu entziehen. Die beiden NK-Leute bestreiten die Vorwürfe, ebenso wie der Mittelsmann aus der Schweiz. Der beruft sich laut Anklageschrift im Wesentlichen darauf, dass alle Geschäfte transparent und mit Wissen und Wollen des Augustinums durchgeführt worden seien.

Als einziger saß Wilkin, desen Anwalt sich nicht äußert, bereits im Gefängnis; in Untersuchungshaft. Wilkin soll, Ironie des Schicksals, am wenigsten von den mutmaßlichen Schiebereien profitiert haben. Die "Spinne im Netz", das sagen Kenner des Verfahrens, sei Maccari gewesen. Derjenige also, den das Landgericht nicht mehr bestrafen kann. Dessen Wirken aber aufgeklärt werden muss, um über Schuld oder Unschuld der vier anderen zu befinden. Maccaris Familie, die unter all dem schwer leidet, will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Sondern verweist auf das Münchner Landgericht. Das muss jetzt klären, ob das Augustinum tatsächlich betrogen wurde. Die Staatsanwaltschaft hat den Schaden mit zwischenzeitlich knapp 72 Millionen Euro berechnet. Dem Sozialkonzern ist es aber mittlerweile gelungen, mit Hilfe der Justiz einen Teil des Eigentums an Seniorenheimen zurückzuholen und den Schaden zu verringern. Bis auf gut 30 Millionen Euro eben.

Bei Maccari und seinem mutmaßlichen Helfer Wilkin soll im Augustinum laut Anklage eine "Selbstbedienungsmentalität" geherrscht haben. Von teuren Abenden im Münchner Nobel-Restaurant Tantris, die 37 000 Euro gekostet hätten, ist die Rede. Und davon, dass 4500 Euro für den Kauf von Champagner und Wein ausgegeben worden seien. Ohne dass klar sei, wofür der Betreiber von Schulen, Sanatorien und Stiften die edlen Getränke gebraucht habe.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2017
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