Süddeutsche Zeitung

Der Euro:Sehnsucht nach den neuen Scheinen

Im Gegensatz zu einigen kleineren EU-Beitrittsländern müssen sich Tschechien, Ungarn und Polen damit abfinden, dass der Beitritt zur Währungsunion in weiter Ferne liegt.

Von Martin Hesse

Auf dem polnischen Markt in Kostrzyn, kurz hinter der brandenburgischen Grenze, gilt längst die neue Währung. Für 4,30 Euro geht eine Familien-Portion Käse über den Tisch. Lebensmittel, Zigaretten, Bekleidung - in der Grenzregion sind Deutsche die wichtigsten Kunden und sie zahlen in Euro.

Hier fällt es schwer zu glauben, dass es noch viele Jahre dauern wird, ehe der polnische Zloty von der gemeinsamen europäischen Währung abgelöst wird. Im Januar 2007 könnte es so weit sein - theoretisch.

Doch trauen etwa die Volkswirte der amerikanische Investmentbank Merrill Lynch der größten Volkswirtschaft unter den neuen Mitgliedern der Europäischen Union (EU) erst 2009 oder 2010 den Eintritt in die Währungsunion zu.

Es geht um Geld

Die Neuen und der Euro: Obwohl noch nicht einmal die Erweiterung der EU vollzogen ist, beschäftigt längst auch die Ausdehnung der Währungsunion Politiker, Geschäftsleute, Verbraucher und Anleger. Kein Wunder, geht es doch im engsten Sinne des Wortes um Geld.

Umgerechnet sind in den Beitrittsländern etwa 35 bis 40 Milliarden Euro Bargeld im Umlauf. Das ist zwar mit etwa zwei bis drei Prozent nur ein Bruchteil dessen, was in der Eurozone zirkuliert. Doch für die neuen Mitgliedstaaten geht es um mehr. Sie erhoffen sich nicht nur vom EU-Beitritt, sondern auch von der Euro-Einführung mehr Wohlstand und Wachstum.

"Wir sind eine sehr offene Volkswirtschaft. Daher bringt der Euro uns viele Vorteile", sagt der slowakische Finanzminister Ivan Miklos. Was für die Slowakei richtig ist, stimmt für die meisten Beitrittsländer: Ihre Volkswirtschaften sind stark in Europa integriert, einen Großteil des Handels wickeln sie untereinander und mit der alten EU ab.

Vorteile voll ausschöpfen

"Wenn die Wechselkursrisiken beseitigt sind, können die aktuellen und die künftigen Mitgliedstaaten die Vorteile des vergrößerten gemeinsamen Marktes voll ausschöpfen", sagt Arnout Wellink, Präsident der niederländischen Notenbank. Umtauschkosten fallen weg, vor allem aber können Unternehmen ohne Währungsrisiko über die Grenzen hinweg handeln und investieren.

Während die künftigen Euro-Länder von den Vorteilen der gemeinsamen Währung längst überzeugt sind, gibt es unter Ökonomen auch warnende Stimmen. Es sind die gleichen, die schon die Euro-Einführung 1999 für einen Fehler hielten. "Die Kritik von damals gilt heute erst recht", sagt Renate Ohr, Professorin für Wirtschaftspolitik an der Universität Göttingen.

Die potenziellen Mitgliedstaaten der Währungsunion seien zu unterschiedlich, als dass man für alle eine einheitliche Geldpolitik finden könnte. Schon jetzt ist manchem deutschen Politiker der europäische Leitzins zu hoch. Läge er niedriger, würden Kredite billiger. Dann könnten Verbraucher und Unternehmer mehr Geld leihen und die Wirtschaft ankurbeln, lautet das Argument.

In Spanien aber sehen Ökonomen das genau anders herum: Weil die Wirtschaft schnell wächst, drohe bei niedrigeren Leitzinsen eine höhere Inflation. Wird die Währungsunion nach Osten ausgedehnt, könnten sich derartige Konflikte häufen, fürchtet Ohr. "Ist der Euro einmal eingeführt, können Regierungen und Notenbanken der Beitrittsländer ihre Wirtschaftspolitik nicht mehr frei an den Erfordernissen des eigenen Landes ausrichten."

Zauberwort Konvergenz

Dieses Risiko sieht auch die Europäische Zentralbank (EZB). Die Frankfurter Währungshüter vertrauen jedoch darauf, dass sich die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den künftig 25 EU-Staaten allmählich reduzieren - Konvergenz, Angleichung, lautet das Zauberwort.

Die EZB spielt daher auf Zeit. Mitglieder des Zentralbankrates warnen die Euro-Anwärter durch die Blume vor einer verfrühten Einführung der neuen Währung. "Das wirtschaftliche Gewicht der neuen Mitgliedstaaten ist zusammengenommen vergleichbar mit dem der Niederlande. Die Nachteile einer verfrühten Euro-Einführung würden daher in erster Linie die neuen Mitglieder selbst treffen", sagt der Niederländer Wellink.

Die Aspiranten dagegen sind ungeduldig. "Estland möchte eines der ersten neuen Mitglieder im Club sein und zum frühest möglichen Zeitpunkt den Euro einführen", formulierte im vorigen Jahr selbstbewusst Vahur Kraft, Präsident der estnischen Zentralbank. Estland zählt zu jener Gruppe der Beitrittsländer, die tatsächlich gute Chancen haben, bereits Anfang 2007 in "den Club" aufgenommen zu werden. Früher ist ein Beitritt rein technisch kaum möglich.

Wie die anderen baltischen Staaten Lettland und Litauen hat Estland bereits jetzt die eigene Währung fest an den Euro gekoppelt. Die Staatsfinanzen dieser Länder erfüllen bereits die Bedingungen für den Beitritt zur Währungsunion. "Daher spricht nichts dagegen, Mitte 2004 dem Wechselkursmechanismus beizutreten und die Euro-Einführung 2007 anzuvisieren", sagt Ralph Sueppel, Osteuropa-Experte bei der Investmentbank Merrill Lynch.

Die Ratingagentur Fitch traut auch Slowenien die Euro-Einführung 2007 zu, ein Jahr später könnten Zypern und Malta folgen.

Sorgenkinder

Der Ehrgeiz des Esten Vahur Kraft bereitet den Geldpolitikern im EZB-Tower denn auch wenig Kopfzerbrechen. Als Sorgenkinder gelten die drei Großen: Polen, Ungarn und Tschechien. "Für diese Länder sieht es nicht gut aus", sagt Sueppel.

Alle drei haben in den vergangenen Jahren hohe Defizite in den Staatshaushalten ausgewiesen, weil die Ausgaben aus dem Ruder liefen. Zloty, Forint und tschechische Krone waren heftigen Turbulenzen ausgesetzt. Die tschechische Regierung sagt offen, dass sie kein Interesse an einer frühzeitigen Euro-Einführung habe. Erst 2009 oder 2010 sollen sich auch die Tschechen an neues Geld gewöhnen müssen.

Ein Umdenken hat auch in Ungarn und Polen stattgefunden. Beide Länder halten offiziell zwar noch an einer frühestmöglichen Euro-Einführung fest, dürften aber laut Fitch wohl nicht vor 2009 der Währungsunion beitreten.

Spätestens dann will auch die Slowakei zu Euroland gehören. "Wir planen, dem Wechselkursmechanismus 2005 oder ein Jahr später beizutreten, so dass wir den Euro 2008 oder 2009 einführen können", sagt Finanzminister Miklos.

Haushaltsprobleme

Auf dem Weg zum Euro muss er wie sein tschechischer Kollege vor allem Haushaltsprobleme lösen. "Wir wollen das Defizit nicht nur kurzfristig unter die Marke von drei Prozent drücken, um das Maastricht-Kriterium zu erfüllen", sagt der Finanzminister. Ohne strukturelle Reformen könne das Defizit nicht dauerhaft unter dieser Marke liegen.

Wenn es darum geht, die Staatsfinanzen zu ordnen, haben die aufstrebenden osteuropäischen Staaten einen Vorteil. "Die Menschen sind besser an Reformen gewöhnt, da sie in den Jahren der Transformation viele fundamentale Veränderungen aushalten mussten", sagt Miklos.

Der niederländische Notenbankchef Wellink warnt allerdings davor, die Staatsfinanzen zu rasch und zu radikal zu stabilisieren, um möglichst schnell den Euro einführen zu können. "Dies könnte zusätzliche Kosten verursachen", fürchtet er. Eine Politik, die notwendige Investitionen in die Infrastruktur den Sparbemühungen opfere, sei riskant.

Die EZB legt wert darauf, dass die neuen EU-Mitglieder nicht nur die Maastricht-Kriterien erfüllen, sondern den großen Rückstand beim Pro-Kopf-Einkommen und bei der Produktivität aufholen, ehe sie den Euro einführen.

Keine Sentimentalitäten

Emotionen wie einst in Deutschland, wo Initiativen gegen die Abschaffung der D-Mark gegründet wurden, löst die Einführung des Euro in den Beitrittsländern jedenfalls nicht aus. "Den meisten Menschen ist der Euro wahrscheinlich ziemlich egal", sagt der Slowake Miklos. Die slowakische Krone habe verglichen mit westlichen Währungen eine kurze Geschichte. "Vielleicht sind wir deshalb etwas weniger sentimental, wenn es darum geht, unsere Währung aufzugeben."

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SZ vom 14.04.04
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