Denk doch, was du willst:Geld oder Leben

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Die Karlsruher Wissenschaftlerin Nora Szech untersucht die Mechanismen beim Streben nach Feld und Anerkennung. (Foto: oh)

Nora Szech will mit ihrer Forschung die Märkte besser und fairer machen. Auch privat versucht sie, gut zu sein: weniger Fleisch, Wimperntusche ohne Tierversuche, nicht immer das neueste Handy.

Von Max Hägler

Ach ja, die Mäuse und die Moral. Nora Szech seufzt ein wenig. Immer wird sie mit diesen Tieren in Verbindung gebracht - als ob es nicht auch andere spannende Forschungen gäbe. Die Sache mit der Fußball-Champions-League etwa oder diesen faszinierenden Intelligenztests. Aber um die kleinen Tiere kommt die Wissenschaftlerin nicht herum. Sie sind nun einmal ein Grund für die recht hohe Bekanntheit der noch so jungen Szech in der Wissenschaftscommunity: Weil sie überhaupt mit diesen Tieren gearbeitet hat - als Ökonomin - und weil die Ergebnisse in der Tat bemerkenswert sind. Nora Szech, Jahrgang 1980, untersucht, wie Märkte funktionieren, wie sich darin Käufer und Verkäufer verhalten. Aber nicht nur in der Theorie, sondern in der Praxis.

Vor einiger Zeit hat sie nachgeforscht, gemeinsam mit dem renommierten Bonner Kollegen Armin Falk, wie viel den Menschen eine Maus wert ist. Knapp 1000 Studenten aller möglichen Fakultäten haben die beiden durch ihre Experimente geschleust. Folgende Regel war vorgegeben: Wer in den einzelnen Spielen nicht handelt und kein Geld annimmt, der kann pro Spiel eine Maus retten, die eigentlich zur Tötung vorgesehen ist. Eine ganze Anzahl Labormäuse hatte Szech zuvor besorgt, die aus Sicht von Naturwissenschaftlern eigentlich überflüssig waren und vergast werden sollten. Ganz ohne Emotion war das nicht: Szech, die übrigens kein Fleisch isst, hoffte, dass sich möglichst viele retten lassen. Es ging um die Frage: Geld oder Mäuseleben?

Im Labor stellte sich heraus: Viele junge Leute wählten lieber Geld als Mäuseleben. Beinahe jeder zweite nahm das Geld, zehn Euro - und schickte seine Maus zur Vergasung. Es gab anschließend harsche Kritik von anderen Wirtschaftswissenschaftlern an dem Experiment: Es sei kein passendes Abbild der Realität, hieß es etwa. Aber Szechs Urteil ist klar: Einem lebenden Wesen Schaden zuzufügen - das ist ein Kennzeichen für Unmoral. Märkte korrumpieren die Moral, so lautete jedenfalls die schlagzeilenträchtige Folgerung, die das Wissenschaftsmagazin Science druckte.

In ihrem Fach, der Mikroökonomie, der Wissenschaft vom Handeln der Marktakteure, ist die Kategorie Moral eher nicht vorgesehen. Hier gilt das übliche Modell des Homo oeconomicus, diesem Typen, der in - möglichst transparenten - Märkten stets nach seinem größtmöglichen Vorteil strebt. Das Geldannehmen bei den Mäusen passt da rein. Aber was ist mit denen, die nicht das Geld wollten?, fragt Szech. Und denen, die danach von Schuldgefühlen berichteten? "Der Begriff des Homo oeconomicus, der ganz allein nach rationalen Kriterien entscheidet und angeblich immer möglichst viele Informationen haben will, trifft die Realität nicht", sagt Szech, "Moral spielt eine Rolle, vielleicht auch andere Regungen."

Die junge Frau liegt damit im Trend: Seit der Finanzkrise kritisiert Kanzlerin Angela Merkel, die Ökonomen hätten in ihren Prognosen "schwer neben der Realität gelegen". Der Rat der Kanzlerin war: Erweitert das Modell des Homo oeconomicus um die Verhaltensökonomie. Genau das macht Szech. Es interessiert sie zum Beispiel, wie sich Schuld und Schuldgefühle messen und teilen lassen. "Mein Anspruch: Helfen, die Welt zu erklären, sonst hätte unsere Wissenschaft ja keine Berechtigung." Dahinter steht bei ihr ein normativer Ansatz, der sich von vielen anderen in ihrem Metier unterscheidet, die nüchtern-neutral arbeiten: "Ich habe schon die Hoffnung", sagt sie, "dass ich die Märkte mitgestalten kann: besser, im Sinne von fairer."

Ist das eine Altersfrage? Vielleicht. Wenn Szech mit einem ihrer langen Schals durch ihre Fakultät läuft, kann man sie nicht recht von ihren Studentinnen unterscheiden. Andererseits ist sie so ausnehmend fröhlich dabei, dass es nicht vermessen ist, zu sagen: Ihr Lachen trägt sie von Raum zu Raum; und es passt schon, dass sie nebenbei Kurzgeschichten schreibt und in einer Indie-Pop-Band namens Kitty Wu singt. Die meisten ihrer Studenten sind viel stiller. Das Fairseinwollen, ist bei ihr wohl eher eine Frage von Haltung zum Leben, das aus Karrieresicht bislang sehr geradlinig verläuft. Aufgewachsen in Mülheim an der Ruhr, studierte Szech mithilfe der Studienstiftung des Deutschen Volkes in Bonn bei dem Mikroökonomen Benny Moldovanu. Von den Studenten bekam sie einen kleinen Preis als beste Tutorin. Bald nach ihrer Dissertation wurde sie Professorin an der Universität Bamberg - und ist seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Ökonomie in Karlsruhe.

Szech ist politisch, gesellschaftspolitisch muss man wohl sagen. Aber gar nicht verbissen. "Ich bin nicht der absolute Gutmensch, das ist unmöglich", sagt sie. Ein bisschen gut will sie jedoch schon sein: Weniger Fleisch, Wimperntusche ohne Tierversuche. "Und nicht immer das neueste Handy!" Sie springt auf, läuft vom Besprechungstisch zu ihrem Rucksack - und zieht ein altertümliches, silberfarbenes Gerät hervor. Eines, das wohl mit Mühe SMS empfangen, aber sicher keine Fotos machen kann. Wer nicht immer das neueste Ding kaufe, spare Ressourcen, gerade diese Metalle, die so selten sind und für deren Produktion irgendwo Menschen sehr leiden müssen. Sie jedenfalls, sagt Szech, wolle nicht in einer rein selbstbezogenen Welt leben, in der die Umwelt nicht von Belang ist. Ist das nicht naiv?

Naja, zum einen, sagt sie, gebe es ja viele integere Menschen: Es hätten ja doch immer noch recht viele ihre Maus leben lassen, selbst wenn 50 Euro geboten wurden. Für die Übrigen gelte: Empathie lasse sich ja lernen, das zeigten Forschungen der Wissenschaftler, mit denen sie zusammenarbeitet: "Tröstlich!" Und zum anderen sei es auch egal, wie das Wesen der Menschen mehrheitlich sei: Das Miteinander lasse sich ja auch über Regeln gestalten. "Das tun wir ja auch und das finde ich richtig." Die marktliberalen Kollegen schlucken da heftig.

Wobei Regeln aber nicht nur ein menschenfreundlicheres Umfeld schafften, sondern die Leistung befördern könnten, sagt Szech. "In der Champions League sehen wir das ja bei K.o.-Spielen mit der doppelten Zählung von Auswärtstoren", sagt Szech, die als BVB-Anhängerin mitreden kann in Fußballangelegenheiten. "Je nachdem, wie man mit einer Pattsituation umgeht, kann dies enorme Auswirkungen haben", dies habe eine neue Untersuchung gezeigt. Auch bei Bewerbungen.

"Wenn Frauen glauben, dass sie eine echte Chance haben, steigern sie ihren Einsatz."

In Deutschland bekommen bei gleicher Eignung Mitglieder benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen, etwa Frauen oder Menschen mit Handicap, den ausgeschriebenen Job. "Das ist nicht nur politisch korrekt, sondern führt auch zu positiven Anreizen für alle Bewerber", sagt Szech, die solch ein Verhalten auch in mathematische Formeln umwandelt. Ob beim Fußball oder den Bewerbungen: Dahinter stecke der Gedanke, dass vermeintlich Schwächere üblicherweise eine größere Leistung erbringen müssen, um das gleiche Ziel zu erreichen. "Wenn Frauen glauben, dass sie eine echte Chance haben, steigern sie ihren Einsatz." Im Gegenzug würden sich aber auch Männer als vermeintlich stärkere Bewerber mehr anstrengen.

Das Streben nach Anerkennung und letztlich Erfolg spielt auch in einer anderen Untersuchung Szechs eine Rolle. Sie legte den Probanden einen Wissenstest vor, wieder waren Mäuse im Spiel, die eigentlich getötet werden sollten. Es galt: Je besser der Proband im Test abschneidet, desto unwahrscheinlicher ist die Rettung der ihm zugeteilten Maus. Ziemlich viele waren bereit, schlechte Tests abzuliefern, einige kreuzten offensichtlich Falsches an. Dann kam die Anerkennung, das Ansehen ins Spiel, weil Szech das Ganze den Probanden nun explizit als "IQ"-Test verkaufte - die Bereitschaft, die Maus zu retten, sank signifikant. "Dieses Streben nach Exzellenz und Anerkennung ist ähnlich dominierend wie das Streben nach Geld", sagt Szech. Je exzellenter man selbst ist, desto mehr Tiere sterben, desto unmoralischer verhält man sich. Aber darf man das Experiment mit der echten Welt vergleichen? Das darf man schon, sagt Szech, mit dem Herumtricksen bei VW-Motoren zum Beispiel: Die Ingenieure wollten Anerkennung, auch wenn sie unmoralisch erkauft worden war.

Und die ganzen Mäuse? Was passiert eigentlich mit diesen Tieren, die ihr Weiterleben moralisch integeren Studenten verdanken? Die hätten ein gutes Leben, sagt Szech lächelnd. In kleinen Gruppen lebten die, so wie sie es mögen, dazu "super Bodenstreu", die nicht staubt und sich gut anfühlt. Ja, so gut gehe es diesen Mäusen, dass viele von ihnen älter werden, als erwartet. Bald geht das Geld für ihre Altersversorgung zur Neige. Aber wie sagte Szech vorher? Das Professorsein habe zwar manch schwierige Seiten, all der Papierkram etwa. Aber dank des Papierkrams und des Chefseins komme man auch viel leichter an Personal und Budgets. Und damit wohl auch an ein paar Extra-Euro für die Mäuse-Pension.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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