Demonstration in Berlin:Alle gegen TTIP

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Der Berliner Antifa-Aktivist läuft neben der Dame vom Bund Naturschutz Starnberg: Zur bisher größten Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP kamen mindestens 150 000 Menschen nach Berlin. Wer sind die TTIP-Gegner?

Von Hannah Beitzer, Berlin

Um 12.30 Uhr ist der Berliner Hauptbahnhof dicht: keine S-Bahn hält hier mehr. Zu viele Demonstranten sind es, die seit dem Vormittag auf den Platz vor dem Bahnhofsgebäude strömen, zu viele sind es, die es noch nicht einmal nach draußen geschafft haben, wo bereits Tausende Menschen gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP demonstrieren. Sie sind per Zug oder in Sonderbussen aus ganz Deutschland angereist.

Noch während auf der Bühne Vertreter von Gewerkschaften, Grünen, Linkspartei, Kirchen, Umweltverbänden und globalisierungskritischen Gruppierungen reden, muss sich der Zug in Bewegung zu setzen, um Platz zu machen für die, die im Bahnhofsgebäude darauf warten, sich anzuschließen. Von 250 000 Teilnehmern sprechen die Veranstalter später, die Polizei schätzt, es seien mindestens 150 000 gewesen. Fest steht: Es ist die bisher größte Demonstration gegen das Handelsabkommen zwischen Europäischen Union und den USA in Deutschland.

Der TTIP-Protest ist breit

Seine Befürworter, darunter auch die deutsche Bundesregierung, argumentieren, dass es den Handel zwischen den USA und der Europäischen Union erleichtern und damit Investoren anlocken wird. Zölle sollen fallen, Waren und Dienstleistungen billiger werden, die Investoren Arbeitsplätze schaffen.

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Mehr als 150.000 Menschen demonstrieren gemeinsam gegen TTIP. Unterstützung bekommen sie auch vom Europäischen Gerichtshof - denn dessen Urteil gegen Facebook ist auch ein Aufruf gegen TTIP.

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Doch es gibt viele Menschen, die das nicht glauben. An diesem Samstag in Berlin wird deutlich, dass der Protest gegen TTIP die unterschiedlichsten Gruppen zusammenbringt. In schönstem Bairisch begrüßt zum Beispiel Gertraud Gafus, die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft die Demonstranten: "Das, was wir Bauern heute produzieren, liegt morgen bei euch auf dem Teller." Sie befürchtet wie viele Landwirte, Umwelt- und Verbraucherschützer, dass TTIP hauptsächlich den großen Konzernen hilft und noch dazu die Standards in der Lebensmittelproduktion sinken lässt. "Die Fähigkeit, Nein zu sagen, ist der erste Schritt zur Freiheit - auf geht's!", schließt sie unter Applaus.

Der evangelische Landesbischof Cornelius Bundschuh von Brot für die Welt weist auf die Nachteile hin, die der Auffassung seiner Organisation zufolge Entwicklungsländer durch TTIP erlitten. "Die armen Länder des Südens haben keine Möglichkeit, mitzureden." Vertreter der Gewerkschaften befürchten den Verlust von Arbeitnehmerrechten, sie schwenken Fahnen des DGB, der IG Metall, der Bildungsgewerkschaft GEW. Und einigen linken Aktivisten und Aktivistinnen geht es gleich um den Kapitalismus als ganzen, den sie abschaffen möchten: "A- Anti - Antikapitalista" tönt ihr üblicher Schlachtruf durch die Reihen. Datenschützer wiederum beklagen, dass TTIP Möglichkeiten zur Datenspeicherung und Überwachung biete.

Hinter verschlossenen Türen

Und alle miteinander kritisieren, dass TTIP hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werde und nicht einmal Abgeordnete der nationalen Parlamente das Recht hätten, die Verhandlungsunterlagen einzusehen. Dafür Lobbyisten aus der Wirtschaft - so der Vorwurf. Auch die Kritik an den internationalen Schiedsgerichten, die die TTIP-Entwürfe vorsehen, eint die Demonstranten.

Es ist also wahrlich eine breite Koalition, die da in Berlin auf die Straße geht. Zu breit, finden einige Kritiker. Sie werfen den TTIP-Gegnern vor, sich mit ihrem Protest zu nützlichen Idioten für anti-amerikanische und nationalistische Gruppierungen und Parteien zu machen. So hatte zum Beispiel Lutz Bachmann, Organisator der fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen, seine Anhänger aufgefordert, nach Berlin zu fahren.

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Und in der Tat gibt es dort vereinzelt Plakate, die statt vor einer "Islamisierung des Abendlandes" nun vor einer "Amerikanisierung Deutschlands" warnen. "Ami, go home", heißt es auf anderen und ein Demonstrant sorgt sich um "deutsche Werte", die durch TTIP in Gefahr seien. Manch eine Investoren-Pappfigur, die Demonstranten vor sich her tragen, spielt mit Hakennase und schwarzem Umhang auf das antisemitische Schreckgespenst vom jüdischen Finanzkapital an.

Auf der Bühne mühen sich die Sprecher, diesem Eindruck entgegenzutreten. "Wir sind gegen TTIP, nicht gegen die USA", sagt etwa Thilo Bode von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch. Schließlich schwäche das Abkommen nicht nur die Rechte europäischer Parlamente, sondern auch die Rechte der US-Parlamentarier. Neben deutschen TTIP-Gegnern sprechen auf der Demonstration auch ein kanadischer Gewerkschaftsführer, ein US-amerikanischer Umweltaktivist und eine Anti-TTIP-Aktivistin aus Kamerun.

Von Pegida unterscheidet die Demo einiges

Wer den Zug entlanggeht, der vom Hauptbahnhof zur Siegessäule auf der Straße des 17. Juni läuft, sieht, dass rechte und antisemitische Symbole auf den Plakaten bei weitem die Minderheit sind. Stattdessen ist die Demo ebenso bunt wie die Rednerliste. Da läuft neben den jungen Antifa-Aktivisten aus Berlin die ältere Dame vom Bund Naturschutz Starnberg, die sich nachts um halb eins in den Zug gesetzt hat, um rechtzeitig in Berlin zu sein. Plakate, die das "Orchesterland Deutschland" preisen, wechseln sich ab mit jenen, die sich vor gentechnisch verändertem Essen fürchten.

Auch erklingen keine Volksverräter-Rufe, auf der Bühne würdigt niemand pauschal Politik und Medien herab - all das unterscheidet die TTIP-Demo ganz gewaltig von Pegida und Co. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hält vor dem Hauptbahnhof ebenso eine Rede wie Linken-Chef Bernd Riexinger, vereinzelt tauchen sogar SPD-Fahnen in der Menge auf. Als Hofreiter beklagt, dass seine Fraktionskollegen und er keinen Einblick in die TTIP-Unterlagen erhielten, erntet er warmen Applaus.

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Während das Ende des Zuges noch am S-Bahnhof Friedrichsstraße feststeckt, beginnt vor der Siegessäule auf der Straße des 17. Juni bereits die Abschlusskundgebung. Nach Reiner Hoffmann, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und BUND-Chef Hubert Weiger, spricht dort auch SPD-Frau Gesine Schwan. Sie hat es im Vergleich zu den anderen Rednern schwer, ist sie doch anders als die meisten hier gegen einen Abbruch der Verhandlungen. Pfiffe und Buhrufe begleiten ihre Rede.

Die Buchpreisbindung soll bleiben

Nach ihr spricht Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrates. Denn auch Kulturschaffende haben massive Vorbehalte gegen TTIP. "Die Monopolgiganten Amazon, Apple und Google werden mit TTIP ihre marktbeherrschende Stellung ausbauen können", warnt er - und, so fürchten es viele Kulturschaffende, Urheber und kleinere Kulturunternehmen unter Druck setzen. Seine Lobby hat auch bereits einen kleinen, greifbaren Erfolg des eigenen Widerstands zu vermelden: Die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat unlängst versichert, die deutsche Buchpreisbindung solle trotz TTIP erhalten bleiben.

Ob es tatsächlich so weit kommt, da ist sich Höppner allerdings nicht sicher - da ist das Misstrauen gegen die verhandelnden Parteien doch zu groß. Ob all die Befürchtungen, die die Demonstranten an diesem Samstag in Berlin äußern, sich tatsächlich bestätigen, kann im Moment allerdings auch niemand wissen. Denn noch ist das Abkommen ja nicht fertig. Wenn es nach den Demonstranten in Berlin geht, soll es das auch niemals werden - das haben sie heute ziemlich deutlich gemacht.

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Berlin
:150 000 demonstrieren gegen TTIP

Für die Veranstalter ist es "die größte Demonstration, die dieses Land seit Jahren gesehen hat". Tatsächlich haben in Berlin weit mehr Menschen gegen das TTIP-Abkommen protestiert als erwartet.

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