Demokratie in Firmen:Der gewählte Chef

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Mitbestimmung wird vielen Angestellten immer wichtiger. Szene aus einem Labor von BASF (Foto: obs)
  • Viele Unternehmen überlegen, wie sich demokratische Entscheidungsprozesse in die Firma integrieren lassen.
  • Digitale Technologien erleichtern die Mitbestimmung.
  • Manchmal entscheiden Mitarbeiter nicht klug für sich selbst.
  • Offen bleibt die Frage, wer für Fehlentscheidungen die Verantwortung trägt.
  • Experten warnen, dass digitale Abstimmungen auch Raum für Überwachung bieten.

Von Alexandra Borchardt, München

Wenn man Mitarbeiter mitentscheiden lasse, sagt Marc Stoffel, dann über die wirklich wichtigen Fragen des Unternehmens und nicht über "das kleine Zeug, das niemanden interessiert". Stoffel ist CEO der Haufe-Umantis AG, einer Schweizer Firma für Talentmanagement-Software, und man sollte ihm glauben, dass er das wirklich so meint. Immerhin durfte die Umantis-Belegschaft 2012 darüber abstimmen, von welcher Firma man übernommen werden wollte; sie entschied sich für den kleineren der Kaufinteressenten. Übrigens wurde auch Stoffel von den Mitarbeitern gewählt. Und wie er da auf der Bühne steht, jung, hochgewachsen, charmant, kann man sich den Gedanken nicht verkneifen, dass er bei einem Wettbewerb "Deutschland sucht den Super-CEO", zumindest was die Optik angeht, ziemlich viele Stimmen bekommen würde.

Sieht so die Zukunft aus? Mitarbeiter wählen ihre Vorgesetzten, stimmen über die Produktpalette ab, entscheiden über ihre Arbeitszeiten und verhindern, dass bei Übernahmen der Käufer mit dem höchsten Angebot zum Zuge kommt. Wenn das alles so käme, könnte das eine bessere Zukunft sein? Die Konferenz "Das demokratische Unternehmen" hat in dieser Woche versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden. Sie wurde veranstaltet von der TU München, dem Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung ISF und der Human Resources Alliance, hinter der der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger steckt. So klar ist die Sache naturgemäß nicht, denn mit der Demokratie in Unternehmen verhält es sich genauso wie mit der Demokratie generell: zu wenig davon erstickt Engagement, das in Zeiten des schnellen Wandels auch in Firmen besonders nötig gebraucht wird. Zu viel davon kann alles zum Erliegen bringen. Die Regeln, nach denen Demokratie funktioniert, wollen also gut überlegt sein.

Schon der große Andrang im Audimax der TU könnte ein Beleg dafür sein, dass es keine versponnene Idee von Utopisten ist, das Thema Mitarbeiterbeteiligung wiederzubeleben, dessen zarte Wurzeln in den Neunzigerjahren vom Shareholder-Value-Primat erstickt worden waren. Dabei geht es, auch wenn die Gewerkschaften das ungern hören, um individuelle Beteiligung über die etablierten Formen der Mitbestimmung hinaus.

"Die heranwachsende Generation hat null Bock auf Fremdbestimmung"

Mehrere Entwicklungen sprechen dafür, in Unternehmen - um nun doch mal Willy Brandt zu strapazieren - mehr Demokratie zu wagen : Erstens wandeln sich die Werte der jüngeren Generationen, die in einer digital vernetzten Welt aufwachsen, in der sie Einflussnahme täglich praktizieren. "Die heranwachsende Generation hat null Bock auf Fremdbestimmung", sagte Prof. Klaus Dörre, Soziologe aus Jena.

Zweitens ändern sich Konsumtrends und Geschäftsmodelle zu schnell, als dass die klassische, auf Effizienz gebürstete Hierarchie-Organisation darauf angemessen reagieren könnte. Anders gesagt: Ist die Chef-Entscheidung endlich bis nach unten durchgesickert, hat die Konkurrenz schon längst etwas Neues erfunden. Und die Konkurrenz lauert heute nicht einmal mehr nur in der eigenen Branche. "Früher suchten wir Mitarbeiter, die tun, was wir sagen, heute suchen wir Mitarbeiter, die machen, was wir nicht sagen", formulierte es Microsoft-Deutschland-Geschäftsführer Klaus von Rottkay.

Drittens, gibt es dank digitaler Technologien viel bessere Möglichkeiten für Mitsprache und Beteiligung. Armin Steuernagel, vielfacher Jung-Gründer und auch bei der Konferenz zu Gast, hat zum Beispiel Appstimmung.de entwickelt, ein Instrument, mit dem er Mitarbeiter in seinen Firmen mitreden lässt. "Wer gefragt wird, denkt mit", so Steuernagels Philosophie.

Viertens, ist die gebündelte Intelligenz von Gruppen erwiesenermaßen höher als die von einzelnen Menschen, und seien es Hochleister. Dafür gebe es reichlich empirische Belege, sagte der MIT-Professor Thomas Malone in einer Videoschalte. Praktisch muss man sich dazu nur den WM-Erfolg der deutschen Fußballnationalmannschaft vor Augen führen. Gruppen entschieden umso klüger, je höher die soziale Intelligenz ihrer Mitglieder sei, sagte Malone. Es geht ums Zuhören, ums Wahrnehmen von Stimmungen, ums aufeinander eingehen. Und: Der Anteil von Frauen in einer Gruppe verbessere deren Ergebnisse. Malone: "Wenn man es richtig macht, können demokratische Unternehmen die intelligenteren Unternehmen sein."

Man sollte die Diskussion ganz unideologisch führen, sagte Prof. Isabell Welpe, Inhaberin des Lehrstuhls Strategie und Organisation an der TU und Mitinitiatorin der Konferenz: "Unternehmen produzieren Entscheidungen, und wenn man die verbessert, verbessert man die Wettbewerbsfähigkeit."

"Der Schwarm folgt nicht immer nur der Intelligenz"

Aber nicht in allen Fragen entscheiden Mitarbeiter klüger als Chefin oder Chef. Ines Pohl, basisdemokratiegestählte Chefredakteurin der taz, kann dazu viel erzählen. Manchmal bringen eben auch die Lauten, die Besserwisser die Mehrheit hinter sich. "Der Schwarm folgt nicht immer nur der Intelligenz", sagte Pohl.

Manchmal entscheiden die Mitarbeiter nicht einmal klug genug für sich selbst. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles nannte das Beispiel von Richard Branson, der seinen Beschäftigten freistellt, wie viel Urlaub sie nehmen. Das Ergebnis: Es werden weniger freie Tage genommen als zuvor; natürlich auch, weil sich niemand die Blöße geben möchte, als erholungsbedürftig zu gelten. Hier haben Gewerkschaften und Betriebsräte eine wichtige Aufgabe, sie können Standards durchsetzen, die Mitarbeiter vor Selbstausbeutung schützen. "Die individuelle Mitbestimmung ersetzt die kollektive nicht", sagte Nahles.

Das wohl größte Problem ist aber die Frage der Verantwortung, wie sie zum Beispiel die Eigentümerin für ihre Firma oder der Top-Manager für seine Belegschaft trägt. Wer den Kopf hinhält, will und muss auch entscheiden können, und wer entscheidet, muss auch die Konsequenzen tragen. "Empowerment ja, aber dann bitte auch Commitment", forderte deshalb Helmut Lind, Vorstandschef der Sparda-Bank München. Es war auch Lind, der einen weiteren heiklen Punkt ansprach, die Machtfrage. Kontrolle abzugeben, das sei für Manager auch von Angst und Zweifeln begleitet: "Was ist, wenn ich plötzlich nicht mehr wichtig bin?" Das Gefühl, verantwortlich und damit wichtig zu sein, motiviert immerhin viele Führungskräfte zu Spitzenleistungen. Es gehört persönliche Größe dazu, den anderen im Team einen Teil davon abzugeben.

So manch ein Manager könnte denn auch die Digitalisierung nur vordergründig als Instrument der Beteiligung anpreisen, sie aber als Mittel der Kontrolle nutzen. Das Konzept der Vertrauensarbeitszeit, wie sie viele Firmen einführen, mündet nämlich oft darin, dass Arbeitsleistung akribisch erfasst wird. Wo den Büroarbeiter niemand fragte, wie er seinen Tag verbrachte, werden die Aktivitäten des Heimarbeiters genau registriert, es wird streng nach Zielen geführt. "Das Steuern nach Zahlen, ersetzt die Hierarchie, es bringt eine neue Zentralisierung der Macht", warnte ISF-Vorstand Andreas Boes. Noch sei nicht entschieden, ob die Digitalisierung eine Arbeitswelt voller digitaler Fließbänder oder eine Welt von Beteiligung und Ermächtigung der Beschäftigten produziere.

© SZ vom 14.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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