Auch in der Computerei gilt, was in der Medizin schon lange eine Binsenweisheit ist: Viel hilft nicht immer viel. Aktueller Anlass für die Erkenntnis ist der plötzliche Absturz von Technologieaktien. Das chinesische Unternehmen Deep Seek hat vor gut zwei Wochen ein KI-Modell mit dem schlichten Namen R1 vorgestellt. Und bereits an diesem Montag hat die entsprechende App in den USA das Konkurrenzprodukt Chat-GPT als die am besten bewertete kostenlose Software-Anwendung in Apples App Store überholt.
Auch der neue US-Präsident Donald Trump setzt sich auf das Thema. Er spricht von einem Weckruf für amerikanische Unternehmen – und findet es zugleich „positiv“, dass KI nun günstiger zu haben sein könne.

Künstliche Intelligenz:Deep Seek: Dieser Mann steckt hinter dem chinesischen KI-Start-up
Ein Unternehmer aus China entwickelt eine KI-App, die schneller als Chat-GPT ist – und löst Bestürzung im Silicon Valley und an den Börsen aus. Wer ist dieser Liang Wenfeng?
Was die Anleger vor allem nervös macht, ist der Grund für den Erfolg von Deep Seek: R1 soll nämlich erheblich weniger Rechenkapazitäten brauchen als etwa Chat-GPT oder auch andere KI-Modelle etwa von Meta oder Google. Das chinesische Start-up mit seinem Gründer Liang Wenfeng hätte es demnach geschafft, ein ähnlich leistungsfähiges Sprachmodell zu entwickeln, aber mit erheblich weniger Computerpower. Internetpionier und Star-Investor Marc Andreessen ist jedenfalls voll des Lobes: Die App sei „einer der erstaunlichsten und beeindruckendsten Durchbrüche“.
Und dieser Durchbruch lässt nun die Aktien jener Firmen taumeln, die bisher besonders daran verdient haben, die Hard- und Software für immer neue, immer größere Rechenzentren zu verkaufen. Die Liste der Technologiefirmen, die nun die Abschläge treffen, liest sich wie ein Who-is-who der Branche: Natürlich ist Nvidia dabei, der Hersteller der KI-Chips, auf die die Tech-Firmen scharf sind und die deshalb zu hohen Preisen gehandelt werden. Der Börsenwert brach am Montag zeitweise um mehr als 17 Prozent oder knapp 600 Milliarden Dollar ein, so viel wie bei noch keinem Unternehmen zuvor an der US-Börse. Aber auch die Aktien europäischer Firmen wie Siemens Energy (minus 19 Prozent), die das Drumherum für Rechenzentren verkaufen, oder ASML aus den Niederlanden (minus acht Prozent), die Maschinen für die Fertigung der allerschnellsten Chips herstellen, sackten ab. Offenbar fragen sich die Investoren, ob es wirklich sinnvoll ist, hier weiter enorme Summen zu investieren, wenn es ganz offenbar auch mit geringerem Technikeinsatz funktioniert.
Sollte sich das neue chinesische KI-Modell tatsächlich als leistungsfähig und erfolgreich erweisen, ist aber auch ein geostrategisches Ziel der USA in Gefahr. Denn dann hätten es Firmen aus der Volksrepublik trotz der harten amerikanischen Sanktionen geschafft, eine konkurrenzfähige Technologie auf diesem Gebiet zu entwickeln – und Washington hätte es nicht geschafft, das zu verhindern. Im Gegenteil: Wenn die chinesischen Entwickler mit weniger Aufwand ein ähnlich gutes Ergebnis erreicht hätten, wären die US-Tech-Giganten sogar im Hintertreffen. Und auch das mit viel Pomp angekündigte 500-Milliarden-Dollar-Projekt für KI-Rechenzentren in den USA wäre eigentlich nicht nötig.
Der KI-Experte Kai-Fu Lee, der lange bei großen Tech-Unternehmen in den USA gearbeitet hat, hält das durchaus für wahrscheinlich. „Die USA sind gut bei Forschung und Innovation und besonders bei technologischen Durchbrüchen. Aber China ist besser im Ingenieurwesen“, sagte er zuletzt beim Asian Financial Forum in Hongkong. Wenn man nur begrenzte Rechenkapazitäten habe, lerne man die Dinge eben sehr effizient zu entwickeln.
Noch ist die Sache längst nicht ausgemacht. Dass der Markt so heftig reagiert, zeigt allerdings schon die Furcht davor, dass die KI-Euphorie in sich zusammenfallen könnte.