Süddeutsche Zeitung

Debatte um Hartz IV:Arbeitspflicht für Roland Koch

Jedes Thema hat seine Zeit. Anstatt Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit zu verdonnern, sollte sich die Politik lieber über die Zukunft des Sozialstaats Gedanken machen.

Marc Beise

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat sich für höhere Zuverdienstgrenzen bei Hartz-IV-Empfängern ausgesprochen, zugleich aber als Gegenleistung einen größeren Druck auf die Arbeitslosen zur Annahme auch niederer Jobs gefordert. Reflexartig und mit dem bekannten Exzess-Vokabular ("unanständig", "brutalstmöglich") sind SPD und Linke über den CDU-Politiker hergefallen. Die Kritik wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht, einerseits.

Es geht ja um die durchaus wichtige Frage, was der Staat von jenen verlangen darf und vielleicht muss, denen er hilft. In der Tat gibt es immer noch Menschen, die für sich ein Recht auf Bedürftigkeit reklamieren und allenfalls zu ihren eigenen Bedingungen bereit sind, sich um Arbeit zu bemühen. Denen will Koch notfalls mit einer Arbeitspflicht zu Leibe rücken. Darüber kann man wissenschaftlich und rechtlich auf hohem Niveau streiten.

Andererseits muss der Politiker Koch wissen, dass jedes Thema seine Zeit hat. Eine Arbeitspflicht für sich verweigernde Hartz-IV-Empfänger wäre in jedem Fall eine Forderung für Aufschwungzeiten. Jetzt hat das Land ganz andere Probleme - es sind gar nicht genügend Jobs da, in die Einzelne zwangsverpflichtet werden könnten. Ohnehin sind die früheren Zumutbarkeitsklauseln bei Langzeit-Arbeitslosen schon lange gefallen. Namentlich die Regierungs-SPD hat sich darum verdient gemacht, das Arbeitslosen- und Sozialhilfesystem neu geordnet zu haben. Das war richtig und wichtig, auch wenn die Nachfolger von Schröder und Müntefering davon nichts mehr wissen wollen.

Die Bedingungen für Hartz-IV-Empfänger sind hart, teilweise zu hart. Statt draufzusatteln, muss der Gesetzgeber im Gegenteil nachbessern, so bei der Unterstützung von Kindern und bei der Höhe des "Schonvermögens", also jenes Ergebnisses der Vorsorge aus besseren Zeiten, das vor dem Staat sicher sein soll. Eine Ordnungspolitik, die zu Recht auf Eigenverantwortung der Bürger besteht und staatlicher Fürsorge Grenzen setzen will, darf nicht unmenschlich sein. Sie darf nicht aus Bequemlichkeit ausgerechnet die Schwachen und Hilflosen ins Visier nehmen - wenn es andere, wichtigere Aufgaben gibt.

Wichtiger sind die Fragen nach der zukünftigen Gestalt des Sozialstaats insgesamt angesichts des sich abzeichnenden sinkenden Wohlstandes in Deutschland: Wie und wo wird der Sozialstaat so zurückgebaut, dass er bezahlbar bleibt, ohne maßgebliche Errungenschaften aufzugeben? Wie werden die Sozialsysteme finanziert? Wie viele Einschränkungen muss man den Rentnern zumuten? Wie kann die das Wachstum in Deutschland tragende Mittelschicht entlastet werden; konkret: Wie werden Steuerreform und -senkung, an denen die Koalition zu Recht festhält, finanziert? Welche Subventionen müssen fallen? Das allein wäre ein reiches Betätigungsfeld für einen Zupacker wie Koch.

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SZ vom 18.01.2010/tob
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