Debatte um die Zukunft des Internets:Was beim Streit um das Urheberrecht wirklich zählt

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Nutzer gegen Staat, Staat gegen Konzerne, Konzerne gegen Piraten: Vor einem Jahr erfasste die Expertendebatte um das Urheberrecht plötzlich die gesamte Gesellschaft. Ein ABC zur Klärung der Fronten.

Von Dirk von Gehlen

Am 18. Januar jährt sich der Blackout-Day, der Tag, an dem viele Internetfirmen aus Protest gegen die Anti-Pirateriepläne der amerikanischen Regierung ihre Seiten schwärzten. Bis dahin war der Streit ums Urheberrecht noch eine Angelegenheit für juristische Fachkreise und Internetforen für Eingeweihte. Doch dann erfasste er von Amerika bis Deutschland die ganze Gesellschaft. Einerseits ist er eine Stellvertreterdebatte, in der sich Generationenkonflikt und Klassenkampf manifestieren. Andererseits geht es auch um die Zukunft der Kultur, und darum, wer und wie man von ihr leben kann. Geklärt wurde bisher noch nichts. Deswegen zeigt der alphabetische Überblick auf dieser Seite auch, welche Fragen noch offen sind.

Acta

Abkürzung für Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Multilaterales Abkommen gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen, das im Sommer mit 478 Gegenstimmen vom Europaparlament abgelehnt wurde Bereits 2008 begannen erste Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu dem Abkommen, das zum Beginn des Jahres 2012 nur wenigen Experten bekannt war. Innerhalb weniger Tage wurde es zu dem Symbol für die Urheberrechtsdebatte in Europa. Anfang Februar gingen trotz Minusgraden europaweit circa 100 000 Menschen gegen Acta auf die Straße, und rückten das Thema Urheberrecht ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit. Ihr Hauptkritik-Punkt, den auch Juristen z. B. des Max-Planck-Instituts unterstützten: Das Abkommen will mit unverhältnismäßigen Mitteln gegen Produktpiraterie und digitales Kopieren vorgehen.

Blackout Day

Webslang für den 18. Januar 2012. Damals drückte eine Allianz unterschiedlicher Webanbieter ihren Protest gegen die Sopa/Pipa-Pläne des amerikanischen Kongresses durch schwarze Balken aus - Google, Wikipedia, Wordpress, Reddit und Facebook opponierten gegen die amerikanischen Pläne, Urheberrechtsverletzungen eindämmen zu wollen. Sie halten die Maßnahmen des Protect IP Acts (Pipa) und des Stop Online Piracy Acts (Sopa) für unverhältnismäßig.

Blackout bei Wikipedia, Google und Co.
:So protestiert das Netz gegen SOPA

Das umstrittene Anti-Piraterie-Gesetz SOPA macht das Web mobil: Zahlreiche Webseiten drücken am 18. Januar ihren Widerstand gegen den Gesetzesentwurf aus. Hier eine Übersicht über die Protestaktionen

Chaos Computer Club

Anfang der Achtzigerjahre gegründete Hackervereinigung. 51 seiner Mitglieder verschickten am 29. März 2012 um 17.30 Uhr einen offenen Brief an die 51 Drehbuchautoren, die vier Stunden zuvor einen Brief mit der Anrede "Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!" verfasst hatten, in dem sie diese für ein falsches Verständnis in Bezug auf Urheberrecht und geistiges Eigentum kritisierten. Die 51 Hacker widersprachen heftig.

Delay, Jan

Deutscher Rapper und Facebook-Nutzer. Kurz nachdem er in einem Eintrag dort erklärt hatte, gegen Abmahnanwälte zu sein, ruderte er nach Rücksprache mit seiner Plattenfirma zurück und verkündete, illegales Kopieren sehr wohl abzulehnen. Er brachte dies außerhalb des Netzes auch in einem Streitgespräch mit dem Berliner Piraten Christopher Lauer im Spiegel zum Ausdruck.

Element of Crime

Band des Berliner Sängers und Autors Sven Regener, der Anfang des Jahres 2012 mit einem Wutanfall im Bayerischen Rundfunk bundesweit ganz neue Berühmtheit erlangte. Im Interview mit dem Radiomagazin Zündfunk schimpfte er auf all diejenigen, die ohne zu bezahlen seine Werke im Netz nutzen. Das fühle sich an, so der schimpfende Regener, als würde man ihm ins Gesicht pinkeln. Weitere Ausführungen zum Thema blieben im Laufe des Jahres aus. Regener gehört allerdings zu den Unterzeichnern des Appells "Wir sind Urheber" (siehe Urheber), der in der Wochenzeitung Die Zeit veröffentlicht wurde.

Faires Urheberrecht

Name einer Vereinigung von Unionspolitikern, die sich für ein zukunftsfähiges Urheberrecht einsetzen wollen - und darunter nicht nur eine stärkere Rechtsdurchsetzung verstehen wollen. Unter faires-urheberrecht.de sprechen sie sich gegen Netzsperren und für ein Fair-Use-Prinzip auch in Deutschland aus.

Gema

Abkürzung für die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Die Verwertungsgesellschaft vertritt die Rechte von Komponisten, Textdichtern und Verlegern und geriet 2012 aus zahlreichen Gründen in öffentliche Debatten. Im Sommer wegen der Bundestagspetition mit der Nummer 35441, die von mehr als 62 000 Menschen unterzeichnet wurde. Sie fordern, die sogenannte Gema-Vermutung aus dem Urheberrechts-Gesetz zu streichen. Aktuell verursacht die sogenannte Tarifreform Aufregung, die die Gebührenordnung für Discotheken- und Clubbesitzer neu regeln soll. Auch der Tantiemen-Streit mit dem zum Konzern Google gehörenden Videoportal Youtube erregte und erregt viel Aufmerksamkeit. Unterstützung erhielt die Gema von Sven Regener (siehe Element of Crime), der während seines Radiointerviews sagte: "Die Gema sind wir, die Komponisten und Textdichter."

Heveling, Ansgar

Deutscher Bundestagsabgeordneter aus Korschenbroich in Nordrhein-Westfalen. Er wurde bekannt, als er zu Beginn des Jahres 2012 in einem Beitrag im Handelsblatt die Netzgemeinde scharf angriff und ihr ein baldiges Ende voraussagte: "Das Web 2.0 wird bald Geschichte sein. Es stellt sich nur die Frage, wie viel digitales Blut bis dahin vergossen wird."

Internet und digitale Gesellschaft

Titel der Enquete-Kommission des Bundestages, die im Sommer 2010 einberufen wurde und sich mit den Folgen der Digitalisierung befassen soll. Ein zentrales Thema der Kommission, die sich aus 17 Parlamentariern und 17 "Sachverständigen" zusammensetzt, ist das Urheberrecht.

Juristen

Gewinner der aktuellen Auseinandersetzung sind bisher einzig Juristen. Sogenannte Abmahnanwälte verdienen ihr Geld damit, Menschen abzumahnen, die unautorisierte Kopien von urheberrechtlich geschütztem Material zum Download anbieten. Constanze Kurz vom CCC (siehe Chaos Computer Club) rechnete im Mai in der FAZ vor: "Über zweihunderttausend kostenpflichtige Abmahnungen mit einem Durchschnittsbetrag von knapp tausend Euro wurden im Jahr 2011 verschickt. Das ergibt eine Gesamtsumme von mehr als 190 Millionen Euro."

Korb, dritter

Bezeichnung für die angekündigte Urheberrechtsreform, die von der Bundesregierung bisher jedoch nicht vorgelegt wurde. Stattdessen wurde von Schwarz-Gelb ein Gesetzentwurf zum Leistungsschutzrecht auf den Weg gebracht, der Ende November in erster Lesung nach 23 Uhr im Bundestag debattiert wurde. Im Parlament waren zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Abgeordnete anwesend, auf Twitter wurde die Debatte allerdings von vielen Nutzern verfolgt.

Lobbyist

"Das sollte sich jeder fragen, ob er sich zum Lobbyisten von einem internationalen Großkonzern machen will", sagte Sven Regener in seinem Wutanfall (siehe Element of Crime). Der Begriff des Lobbyisten machte auch in anderen Teilbereichen der Urheberrechtsdebatte die Runde. Einzig der Lobbyist für den Nutzer ist bisher noch nicht gefunden.

Megaupload

Name eines mittlerweile geschlossenen One-Click-Hosters des in Neuseeland lebenden gebürtigen Kielers Kim Schmitz. Anfang des Jahres 2012 wurde der 38-Jährige, der sich auch Kim Dotcom nennt, wegen eines Auslieferungsbegehrens des FBI verhaftet Ihm wurde vorgeworfen, Urhebern einen Schaden von mehr als 500 Millionen Dollar zugefügt zu haben.

Netzgemeinde

Oberbegriff für eine nur schwer greif- und definierbare Gruppe von Netznutzern. "Liebe Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren", stand Ende Januar des Jahres im Handelsblatt. "Und das ist nicht die Offenbarung eines einsamen Apokalyptikers, es ist die Perspektive eines geschichtsbewussten Politikers." Dieser kommt aus Korschenbroich (Siehe Heveling, Ansgar) und rief in seinem Gastbeitrag: "Bürger auf zur Wacht" - gegen die Gefahren der Digitalisierung und adressierte dabei eine untergehende Netzgemeinde (siehe Netzgemeinde), die wenige Wochen später die 51 Drehbuchautoren ebenfalls ansprachen.

Organisationsform, alternative

Als solche versteht sich die geplante nicht exklusive Verwertungsgesellschaft C3S, die es laut eigenen Angaben "Musiker und Musikerinnen ermöglicht, ihre unter nicht-kommerziellen Creative-Commons-Lizenzen veröffentlichten Werke außerhalb traditioneller Schemata kommerziell verwerten zu lassen". Dabei würde C3S eine Alternative zur Gema bilden. War in diesem Jahr nicht nur wegen der Gema im Gespräch, auch der zehnte Geburtstag der CC-Lizenzen trug dazu bei. Anfang 2013 will die C3S als Organisation offiziell auftreten und anschließend einen Antrag auf Zulassung als Verwertungsgesellschaft beim Deutschen Patent- und Markenamt einreichen.

Privatkopie

Im Rahmen des deutschen Urheberrechts über eine sogenannte Schrankenbestimmung geregelter Ausgangspunkt der Debatte. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung kann jedermann jederzeit Kopien ohne Qualitätsverluste anfertigen. Der britische Wirtschaftsminister Vincent Cable kündigte kurz vor Weihnachten eine umfassende Reform des britischen Urheberrechts an, in der er auch die Privatkopie rechtlich verankern will.

Qual

Zwar wird von Reformern wie Bewahrern des Urheberrechts stets eine niveauvolle Debatte eingefordert, die Auseinandersetzung wird für beide Seiten allerdings oft eher zur Qual - zum Beispiel als das Kollektiv Anonymous im Frühjahr Privatadressen einiger Unterzeichner des "Wir sind die Urheber"-Appells (siehe Urheber) veröffentlichte.

Robots.txt

Name einer Datei, mit deren Hilfe eine Webseite einer Suchmaschine mitteilen kann, ob sie von der Suchmaschine gefunden werden möchte oder nicht. Betreiber können so Teile ihrer Webseite zum Beispiel für Google sperren. Im Rahmen der Debatte um das Leistungsschutzrecht (siehe Korb, dritter) bekam diese auf dem sogenannten Robots-Exclusion-Standard-Protokoll beruhende Datei größere Bekanntheit. Befürworter und Gegner des Leistungsschutzrechts für Presseverlage stritten darüber, ob mit Hilfe der robots.txt-Datei Verlage selber entscheiden könnten, ob sie von Google gefunden werden wollen oder nicht.

Schramm, Julia

Politikerin der Piratenpartei und Autorin des Buchs "Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin", das deshalb Aufsehen erregte, weil ihr Verlag eine unautorisierte Kopie des Buchs aus dem Netz entfernen ließ. Kritiker hielten Schramm deshalb vor bei eigener Kunst nicht das zu praktizieren, was sie vorher bei fremder Kunst gefordert hatte: ein weniger restriktives Urheberrecht.

Tisch, runder

Unter dem Titel "Runder Tisch Urheberrecht" lud die Piratenpartei im Sommer "Kulturschaffende, Rechteinhaber und Nutzer" zu einer "basisdemokratischen Debatte". Der Urheberrechtsbeauftragte der Partei Bruno Kramm erklärte: "Um unsere Urheberrechtsreform grundlegend an den zahllosen individuellen Bedingungen der Kreativen zu überprüfen, möchten wir den Urhebern eine basisdemokratische Teilhabe am weiteren Entwicklungsprozess ermöglichen."

Urheber

Zentraler Begriff einiger Kampagnen des Jahres 2012. Die bekannteste mit dem Titel "Wir sind die Urheber" wurde im Frühjahr von der Wochenzeitung Die Zeit veröffentlicht. Eine alternative Kampagne trug die Titel "Wir sind Urheber".

VDD

Abkürzung für den Verband der Deutschen Drehbuchautoren, auf deren Website am 29. März um 13.11 Uhr ein Brief veröffentlicht wurde, in dem sich 51 vornehmlich für den öffentlich-rechtlich finanzierten "Tatort" tätigen Mitglieder des Verbands in scharfem Ton für ein starkes Urheberrecht aussprachen.

Warnmodell

Ein vom Kölner Juristen Rolf Schwartmann im Rahmen eines Gutachtens ( PDF) fürs Bundeswirtschaftsministerium aufgebrachte Idee, bei der Urheberrechtsverletzer von ihrem Provider eine aufklärende Warnung erhalten. Erst nach wiederholtem Rechtsverstoß soll eine Strafe folgen. Kritiker halten einen solchen Ansatz für unvereinbar mit dem Fernmeldegeheimnis und halten ihn zudem für fehleranfällig.

Zukunftsforum Urheberrecht

Diskussionsveranstaltung, zu der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger im September nach Berlin lud. Die großen Verbände der Musik-, Film- und Verlagswirtschaft sagten das Forum kurzfristig ab, weil sie es für eine "Alibiveranstaltung" hielten. In einer gemeinsamen Erklärung formulierten sie: "Es ist an der Zeit, dass das Bundesjustizministerium Verantwortung übernimmt, die unterschiedlichen Reformvorschläge ordnet und konkrete Gesetzesvorschläge vorlegt."

© SZ vom 18.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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