Debatte über Umverteilung:Wann Reiche wirklich reich sind

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Über Multimillionäre und Milliardäre gibt es kaum valide Daten, schreibt Brigitte Unger. (Foto: Manfred Vollmer)
  • Wer ist reich? Schwierig zu sagen, da es über Multimillionäre und Milliardäre kaum valide Daten gibt.
  • Diese wären aber für die Verteilungsdebatte wichtig - und sie könnten eigentlich auch erhoben werden, etwa durch zentrale Bankregister und mehr Datenaustausch.

Gastbeitrag von Brigitte Unger

Dass die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht, ist unbestritten. Aber wer sind eigentlich die "wirklich Reichen"? Die, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich vom großen Rest der Bevölkerung immer weiter abkoppeln?

In Deutschland gilt laut gängiger Definition, die unter anderem auch dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zugrunde liegt, als "reich", wer mehr als das Doppelte des Medianeinkommens hat. Das trifft laut einer aktuellen WSI-Untersuchung auf einen Single-Haushalt zu, der ein Nettojahreseinkommen von mehr als 35 616 Euro zur Verfügung hat.

Als "sehr reich" gelten Haushalte, die mehr als das Dreifache des Medianeinkommens haben, das entspricht einem Nettojahreseinkommen von mindestens 53 424 Euro. 41 Prozent der so definierten "sehr Reichen" sind Selbständige, 52 Prozent Angestellte (und einige wenige Arbeiter), sechs Prozent Beamte. Der typisch "sehr reiche" Deutsche ist älter als 55, männlich, hat Abitur, eventuell Studium, und lebt in einem Haushalt ohne Kinder. Wer zu dieser Gruppe gehört, hat auch eine hohe Chance, nicht stark sozial abzusteigen.

So sinnvoll es ist, diese Gruppe zu studieren, so sehr muss man sich aber trotzdem fragen: Sind das die wirklich Reichen? Ein Facharbeiter kurz vor der Rente? Ein Ingenieur? Ein Einzelhandelskaufmann? Ein Universitätsprofessor? Sind es diese 8,1 Prozent ("Reiche") beziehungsweise 1,9 Prozent ("sehr Reiche") der Bevölkerung, die laut Befragungen wie dem sozio-ökonomischen Panel (SOEP) die höchsten Einkommen haben, auf die sich eine Verteilungsdebatte konzentrieren sollte? Wohl nicht.

Aber damit gelangen wir zum Dilemma der deutschen Reichtumsforschung: Über Multimillionäre und Milliardäre, an die wir alle denken, wenn wir über Reichtum sprechen, gibt es kaum valide Daten. Wie die Europäische Zentralbank bedauernd feststellt, basieren Verteilungsstudien meist auf Umfragen. Aber, um es mit Gräfin Gloria Thurn und Taxis auszudrücken: Wer wirklich reich ist, weiß nicht, wie viel er verdient. Und er beteiligt sich auch kaum an Umfragen. Diese erreichen das Top 0,5 oder gar 0,1 Prozent der Reichen nicht.

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Der Household Finance and Consumption Survey (HFCS), eine Studie der Europäischen Zentralbank, versuchte erstmals, Vermögen besser zu erfassen und für Europa zu vergleichen. Deutschland entpuppte sich bei der Studie als das Land mit der größten Vermögensungleichheit im Euro-Raum. Die EZB-Studie litt aber unter dem Problem, dass sowohl Sach- als auch Finanzvermögen in den Ländern unterschiedlich statistisch erfasst werden. Auch unterscheiden sich öffentliche Rentenkassen, Bildungs- und Gesundheitssysteme der EU-Länder. Als Folge der unterschiedlichen Vermögenserfassung erschienen die Deutschen in der EZB-Studie im internationalen Vergleich als zu arm. Aber es gelang zumindest in einigen Ländern, die Vermögen der Top-Reichen, die ein Prozent stellen, zu erforschen.

So berechnete etwa die Vermögensstudie der österreichischen Nationalbank, dass das Top-1-Prozent der Vermögenden selbst bei den derzeitigen extrem niedrigen Zinsen monatlich mehr als 8000 Euro Vermögenseinkommen bezieht! Allerdings war in Österreich skurril auffallend, dass niemand reich sein will: (Fast) keiner der Befragten aus der 1-Prozent-Spitzengruppe ordnete sich bei den zehn Prozent der Reichsten ein.

Während die deutschen Umfragedaten des SOEP versuchen, Reichtum im Bereich von "mehr als zwei Millionen" Euro Vermögen abzugrenzen, die Österreicher eine neue Gruppe von Reichen im zweistelligen Millionenbereich entdecken, zeigen die jährlichen Schätzungen der US-Zeitschrift Forbes, dass keine der derzeit in Deutschland gängigen Datenerhebungen die wirklich Reichen auch nur annähernd erfasst.

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Die Forbes-Liste 2014 nennt die zehn reichsten Deutschen, die zusammen ein Vermögen von mehr als 140 Milliarden Euro besitzen. Sie sind Besitzer von Supermärkten, Autoproduzenten, Handelsunternehmen, Speditionen, Software-Unternehmen oder Banken. Sie bauen ihr Vermögen in den Unternehmen auf - das unterscheidet Deutschland mit seinen vielen wohlhabenden mittelständischen Unternehmen vom Rest Europas - und sie tun, was alle Reichen tun: Sie vererben ihr Vermögen weiter. Oft parken sie ihre Vermögen auch in Stiftungen.

Aus der österreichischen Vermögensstudie folgte, dass wirklich Reiche oft fünf Kinder und mehr haben. Ein eklatanter Unterschied zwischen der Beschreibung der "Reichen" und "sehr Reichen" in den deutschen Umfragedaten und den wirklich Reichen ist die Zahl der Kinder: Wirklich Reiche leben meist nicht als kinderloses Paar (wie die SOEP-Daten implizieren), sondern haben viele Kinder, denn sie pflegen ihre Dynastie fortzupflanzen.

Eine Verteilungsdebatte sollte sich vor allem auf das Top von 0,5 und 0,1 Prozent der wirklich Reichen beziehen, deren Vermögen in den letzten zwanzig Jahren massiv gestiegen ist. Dafür ist es dringend notwendig, eine international vergleichbare Definition von Vermögen festzulegen und differenzierte Einkommens- und Vermögensdaten der Top 0,5 und 0,1 Prozent zu erfassen. Umfragen sind hierfür ungeeignet.

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Zentrale Bankregister und internationaler Datenaustausch würden es ermöglichen, auch Vermögen im Ausland zu erfassen und Vermögensflucht zu begrenzen. Dass Vermögen immer noch genug Möglichkeiten hat, anonym zu bleiben, und eine Vermögenserfassung als Tabuverletzung gilt, ist angesichts zunehmender Ungleichheit nicht zu legitimieren.

© SZ vom 23.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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