Dax-Konzern:Der Fall Wirecard ist schlecht für die Aktienkultur

Dax-Konzern: Blick aufs Parkett der Börse Frankfurt

Blick aufs Parkett der Börse Frankfurt

(Foto: Daniel Roland/AFP)

Seit Herbst ist Wirecard im Dax. Die Aktie des Konzerns schwankt wie wild. Das kann so nicht weitergehen.

Kommentar von Harald Freiberger

Es kann schon mal passieren, dass eine Aktie in kurzer Zeit um 25 Prozent einbricht. Bei sogenannten Penny Stocks ist das öfter der Fall. So werden Aktien abgestürzter Unternehmen genannt, die weniger als einen Euro wert sind. Fällt der Kurs eines solchen Papiers zum Beispiel von vier auf drei Cent, ist ein Viertel des Wertes vernichtet. Häufig werden diese Aktien zum Spielball von Spekulanten, die auf schnelle Gewinne hoffen. Deshalb heißen sie auch "Zockeraktien".

Ein neueres Phänomen ist es aber, dass so etwas mit einem Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) passiert, dem Börsenbarometer, das die 30 größten Aktiengesellschaften Deutschlands zusammenfasst. Genauer genommen ist es seit September des vergangenen Jahres möglich. Damals löste Wirecard, ein Zahlungsdienstleister aus Aschheim bei München, die Commerzbank im Dax ab. Dass der Kurs um mehr als vier Prozent fiel oder stieg, kam seitdem schon an 16 Tagen vor. Als am Mittwoch Betrugsvorwürfe laut wurden, stürzte die Aktie um 24,7 Prozent ab, am Ende lag das Minus noch bei 13 Prozent.

Wenn Gerüchte stets zu einem solchen Kursbeben führen, fehlt es an Transparenz

Man muss sich das einmal bei den Unternehmen vorstellen, mit denen Wirecard in einer Liga spielt, bei Siemens, Allianz oder SAP. Was wäre wohl los, wenn eines von ihnen schnell mal ein Viertel ihres Börsenwerts verlöre? Bei Wirecard aber tritt gerade ein Gewöhnungseffekt ein, man geht zur Tagesordnung über und hofft eben darauf, dass es am nächsten Tag wieder aufwärts geht - so wie es in den vergangenen Jahren unterm Strich immer aufwärts ging, schließlich ist Wirecard auf diese Weise auch groß und schließlich Dax-Mitglied geworden.

Es darf so aber nicht weitergehen, weil Wirecard den seriösen Ruf eines Aktienindex beschädigt, den sich dieser in den 30 Jahren seines Bestehens erworben hat. Der Dax ist mehr als ein Börsenbarometer, er ist ein Symbol und ein Spiegel der starken deutschen Volkswirtschaft. Wenn ein Mitglied dieses Clubs zum Spielball von Zockern wird, stimmt irgendetwas nicht, und dass man nicht genau weiß, woran es liegt, macht es nicht besser. Deshalb sollten die Aufsichtsbehörden das Geschäftsmodell von Wirecard genauer untersuchen. Und die Deutsche Börse sollte überlegen, ob sie Schwankungsgrenzen für die Mitglieder ihrer Indizes einführt. Bisher gibt es für sie nur zwei Kriterien: den Umsatz der Aktie an der Börse und den Marktwert des Unternehmens.

Am Mittwoch waren Betrugsvorwürfe gegen einen Wirecard-Manager in Singapur Anlass für den Absturz der Aktie. Er soll mit gefälschten Verträgen unrechtmäßig Geld zwischen Töchtern hin- und hergeschoben haben, um das Unternehmen besser da stehen zu lassen. Ähnlich war es schon öfter: Es tauchen Betrugs- oder Manipulationsvorwürfe auf, die Aktie stürzt ab, das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück, die Aktie steigt wieder.

Vielleicht sollten sich deshalb einmal die Behörden genauer ansehen, was an den Vorwürfen dran ist. Strafrechtlich muss so lange die Unschuldsvermutung für das Unternehmen gelten. Doch selbst wenn sich alle Anschuldigungen als haltlos herausstellen sollten, muss man Wirecard eine Frage stellen: Wie kann es sein, dass der Aktienkurs eines so großen Unternehmens so drastisch auf Gerüchte, Spekulationen und Vorwürfe reagiert, die dann nicht bewiesen werden? Man stelle sich so etwas bei Siemens, Allianz oder SAP vor. Die Investoren würden über unbewiesene Anschuldigungen nur müde lächeln. Bei Wirecard aber lösen sie jedes Mal ein Kursbeben aus.

Es muss einen Grund dafür geben, dass das Unternehmen so anfällig ist für Spekulationen. Wirecard hat seine Wurzeln in dem Geschäft, das mit dem englischen Fachbegriff als "Adult Entertainment" (Erwachsenenunterhaltung) bezeichnet wird: Es wickelte die Zahlungen für Anbieter von Pornografie und Glücksspiel ab. Seitdem ist es stark gewachsen, auch in anderen Bereichen. Es kann sein, dass es seriös geworden ist und nur die anderen böse sind. Doch wenn Zweifel am Geschäftsgebaren von Wirecard stets auf so fruchtbaren Boden fallen, fehlt es zumindest an Transparenz. Es ist die Pflicht des Unternehmens, diese Zweifel auszuräumen.

Gelingt ihm das nicht, ist es der Mitgliedschaft im Dax nicht würdig. Denn am Ende geht es um mehr als um die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens. Es geht um die Glaubwürdigkeit der gesamten Börse.

In Deutschland gibt es einen großen Bedarf, den Bürgern die Aktie als sinnvolles Instrument für die Altersvorsorge nahezubringen. Das wird konterkariert, wenn ein so großes Unternehmen zur Zockeraktie verkommt.

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