Süddeutsche Zeitung

Geldanlage:Der Dax ist für Anleger eine Katastrophe

Internationale Indizes haben den Dax schon lange abgehängt, fette Rendite liefert er auch nicht mehr. Privatanleger lieben ihn trotzdem - dabei sollten sie besser fremdgehen.

Kommentar von Victor Gojdka

Wenn Millionen Deutsche kurz vor der Tagesschau schon den Fernseher einschalten, dann sehen sie unweigerlich Deutschlands vielleicht bekannteste Anzeigetafel. In der Börse vor Acht können sie den wilden Lauf des Deutschen Aktienindex verfolgen, den die Finanzer liebevoll Dax nennen. Mal schießt er wie eine Rakete nach oben, mal dümpelt er vor sich hin, mal klettert er mühevoll wie ein Bergsteiger mit Sauerstoffmangel.

Der Dax? Das ist für viele Deutsche der Inbegriff des Aktienmarkts. Viele Milliarden Euro stecken in speziellen Finanzpapieren, mit denen auch Privatanleger den Lauf des Leitindex eins zu eins nachzeichnen wollen. Sogar Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, hält ein solches Dax-Papier. Für den Chef der Deutschen Börse ist der Leitindex gar eine "Institution". Doch während die Börsenoberen zum 30. Geburtstag des Aktienindex im vergangenen Jahr opulente Törtchen verspeisten, müssen Anleger einsehen: Für sie ist Deutschlands bekanntester Aktienkorb eine Katastrophe. Statt fetter Rendite lieferte er in den vergangenen Jahren eher Magerkost. Internationale Indizes haben den deutschen Leitindex schon lange abgehängt. Leiten? Das tut der Dax lange nicht mehr - er leidet.

Denn die Liste der herzkranken Unternehmen im deutschen Börsenkorb wird mit jedem Monat länger. Der Kurs der Deutschen Bank taumelt von einem Tief zum nächsten, die Notierungen der Autogiganten BMW und Daimler sind schon seit Jahren im Rückwärtsgang. Der Chemieriese Bayer hat sich im Größenwahn überhoben - und seinen Aktienkurs dabei nach unten gedrückt. Es scheint, als werde der Deutsche Aktienindex aktuell zerrieben zwischen der Misere der Autobranche, dem schlechten Management einiger Unternehmenslenker und einem US-Präsidenten, der die globalen Lieferketten zerschlägt.

Die anekdotischen Beispiele weisen auf einen tieferliegendes Problem des Aktienindex hin: Die klassischen Industriebranchen und sehr exportabhängige Unternehmen machen einen Gutteil im Leitindex aus. Das Schicksal der Dax-Kurve hängt daher am Faden der Weltwirtschaft. Zieht sich die globale Wirtschaft einen Schnupfen zu, herrscht in der deutschen sogleich Lungenentzündung - und damit auch im Dax. Für Anleger kann das sogar doppelt fatal sein, wenn am Ende nicht nur der eigene Arbeitsplatz am Lauf der deutschen Exportwirtschaft hängt - sondern auch das eigene Aktiendepot.

Für viele Anlagegesellschaften hingegen ist es ein Werbeargument: Der Dax sei ein Abbild der gesamten deutschen Wirtschaft, werben sie immer wieder. Und führen damit Privatanleger wider besseres Wissen in die Irre. Denn viele Mittelständler sind gar nicht an der Börse notiert. Und die sechs größten Firmen im Dax machen rund die Hälfte des Gewichts im Leitindex aus. Mit anderen Worten: Sie erdrücken den Index. An das Schicksal von SAP, Linde, Allianz und Siemens ketten sich Anleger also ganz besonders. Sein Schicksal im Wesentlichen an nur sechs Aktien binden? Finanzielle Hochseilakrobatik für Profis.

Die Börsenoberen in Deutschland pumpen den Dax künstlich auf

Aber nichts für Privatanleger. Im internationalen Vergleich kann der Dax schon lange nicht mehr mithalten. Auch wenn Deutschland international lange als Vorzeigeökonomie galt, die Kurse anderer Aktienindizes sind dem Dax weit davongeeilt. Während der Dax seit der Jahrtausendwende um 73 Prozent gestiegen ist, hat der amerikanische S&P 500 um 98 Prozent zugelegt - auch, weil dort Technologiegiganten wie Apple, Microsoft und Amazon Schub geben.

Doch dieser beliebte Vergleich ist zu allem Übel noch hochgradig geschönt, denn Anleger vergleichen so Äpfel mit Birnen. Was kaum bekannt ist: Die Börsenoberen in Deutschland pumpen den Dax künstlich auf. Anders als in den großen Börsenindizes in den USA fließen in den Lauf der Dax-Kurve schließlich nicht nur die reinen Kurssteigerungen der Unternehmen ein, sondern auch die Milliardensummen, die sie an Dividenden alljährlich an die Aktionäre ausschütten.

Wer diese Verzerrung herausrechnet, stößt auf eine Kurve des Schreckens. Seit der Jahrtausendwende hat sich der abgespeckte Dax kaum vom Fleck bewegt. Dieser "reine" Dax notiert heute ungefähr da, wo er schon vor 20 Jahren stand. Kein gutes Zeichen für einen Index, der "Fieberkurve der Wirtschaft" sein will.

Privatanleger sind gut beraten, wenn sie, statt Heimatliebe zu beweisen, lieber fremdgehen. Spezielle Welt-Aktienindizes mit komplizierten Kürzeln wie MSCI World streuen das Risiko besser. Den Dax sollten sie lieber meiden.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2019
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