Kommentar:Augenwischerei für Anleger

Die Deutsche Börse erweitert den Dax und verschärft die Regeln für den Index. Die Reform ist aber kaum mehr als Symbolpolitik.

Von Victor Gojdka

Wenn Millionen Deutsche kurz vor der "Tagesschau" den Fernseher einschalten, dann zoomt die Kamera irgendwann verlässlich auf Deutschlands wohl berühmteste Anzeigetafel: Weiß auf schwarz zeigt sich Tag für Tag, ob der Dax heute geklettert, Achterbahn gefahren oder gar abgestürzt ist. Anleger verfolgen den wilden Lauf des Kursbarometers mit Spannung, schließlich haben sie allein in Deutschland 13 Milliarden Euro in Finanzpapiere investiert, die dem Dax eins zu eins folgen.

Wenn die Deutsche Börse den Leitindex nun generalüberholt, wird für die Privatanleger im Land aber kaum etwas besser. Vielmehr scheint es der Eschborner Konzern vor allem auf kosmetische Korrekturen abgesehen zu haben, auf öffentlichkeitswirksame Symbolpolitik.

Gebetsmühlenartig hatten Anleger über Jahre mit Recht kritisiert, der Dax sei viel zu abhängig von der alten Deutschland AG, von Autobauern und Chemiekonzernen, von Schlot- und Schornsteinfirmen. Zur Illustration müssen sich Anleger bloß einige der bekanntesten Aktiennotierungen im Land anschauen. Der Kurs der einst tonangebenden Deutschen Bank? Kollabiert. Die Notierungen des Chemie-Imperiums Bayer? Nach der verpatzten Übernahme des Pestizidherstellers Monsanto abgebröckelt. Und die Titel von Volkswagen? Dümpeln seit dem Abgas-Skandal dahin.

Wenn die Börse den Dax jetzt großspurig von 30 auf 40 Werte ausdehnt, sieht das auf den ersten Blick nach einem gehörigen Facelift für den Index aus. Die zehn neuen Titel - so scheint es - könnten einerseits mehr aussichtsreiche Internetfirmen wie den Onlinemodehändler Zalando oder die Immobilienplattform Scout 24 in den Dax bringen, andererseits aber auch solide Mittelständler wie den Duftstoffhersteller Symrise. Doch mit der öffentlichkeitswirksamen Zahl 40 blendet die Börse Privatanleger geschickt und lenkt sie von den harten Fakten ab.

In Wirklichkeit sind die möglichen Aufsteiger wohl zumeist so klein, dass sie am Ende zusammen nur für rund acht Prozent des gesamten Dax stehen dürften, erdrückt von Schwergewichten wie dem Softwarekonzern SAP oder eben Linde. Ob angesichts solcher Dominanz weitere Unternehmen aus der Leichtgewichtsklasse in den Index kommen oder nicht, ist für Privatanleger völlig irrelevant. In einem Szenario rechnen die Börsenoberen gar selbst vor, dass der Dax 40 in den vergangenen fünf Jahren exakt die gleiche Rendite eingefahren hätte wie der jetzige Dreißiger-Klub.

Und die Symbolpolitik zieht sich noch weiter durch das Reförmchen. Nach dem Milliardenskandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard mimt der Börsenbetreiber fortan den strengen Türsteher: Unternehmen sollen aus dem exklusiven Index fliegen, wenn sie nicht pünktlich ihre Finanzzahlen vorlegen, Anwärter müssen zudem zwei Jahre lang profitabel gewirtschaftet haben, bevor sie eingelassen werden. All diese Vorschläge klingen zunächst plausibel, kranken aber im Detail.

Wenn Unternehmen die verspäteten Bilanzen nach ihrem Rauswurf doch noch vorlegen, landen sie anschließend wieder auf der Anwärterliste für den Dax - könnten später also wieder aufgenommen werden. Selbst Manager, die notorisch Bilanztermine verpennen, könnten sich so im Nachhinein Mal um Mal wieder aufnehmen lassen. Und wenn Dax-Neulinge zwei Jahre in Folge Profite vorweisen müssen - warum müssen das bestehende Dax-Unternehmen nicht auch? Dass die Börse bei den Profiten außerdem just auf den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen schaut, macht bereits dem Namen nach deutlich, wie anfällig diese Zahl für Bilanzkosmetik ist.

Dass die Börse jedoch gar nicht viel strenger werden konnte, zeigt folgendes Gedankenspiel: Würde man alle Skandalunternehmen aus dem Dax schmeißen, bliebe wohl kaum noch ein kümmerlicher Rest übrig. Angesichts all der Zinstricks, Rotlichtaffären, Bilanzpatzer, Schmiergeldaffären oder des Abgas-Schmus in der Autoindustrie würde sich der Leitindex bei einer wirklich harten Gangart empfindlich dezimieren. Am Ende ist es nicht Aufgabe der Börse, sich um Moral und Solidität der Unternehmen zu kümmern - das müssen die Investoren schon selber tun.

Privatanleger sollten den Dax deshalb lieber meiden. Auf nur 30 oder 40 Aktien ein ganzes Vermögen aufzubauen, ist finanzielle Hochseilakrobatik - zumal der eigene Job ja auch noch am Lauf der deutschen Wirtschaft hängt. Mit Weltindizes, die das Geld rund um den Globus verteilen, sind Anleger besser beraten. Den Dax können sie sich dann im Fernsehen ja trotzdem anschauen.

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