Dax-Aufsteiger K+S:Der Riese aus der Provinz

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Der Rohstoffkonzern K+S verdankt seinen Aufstieg in den Dax wohl der Kali-Spekulation. Heute ist er mehr wert als die Lufthansa.

Karl-Heinz Büschemann

Der Weg in die globale Wirtschaft führt in die Tiefe. Mit 35 Metern pro Sekunde saust der Personen-Fahrkorb in die Tiefe. Es klappert und rauscht, die Luft pfeift in den Ohren, und ein wachsender Druck macht sich im Gehörgang bemerkbar. Nach nicht einmal einer Minute ist die Fahrt zu Ende.

Ein Mitarbeiter des Kalibergwerk in Zielitz kontrolliert auf der Abraumhalde für Steinsalz die Förderanlagen (Foto: Foto: ddp)

Dem Besucher ist mulmig, er schluckt und entsteigt mit tastenden Schritten dem Fahrstuhl, der ihn 700 Meter tief in die Erde brachte. Es ist warm, etwa 24 Grad Celsius. Die von nur wenigen Lampen bekämpfte Dunkelheit wird noch verstärkt, weil die Wände dieser Unterwelt pechschwarz sind. Dunkle Tunnelröhren führen in alle Richtungen.

Kurt Schönewolf, ein sportlich durchtrainierter Mann von 50 Jahren, ist hier der Grubenbetriebsführer. "Mal sehen, welches Auto wir nehmen können", sagt er und zieht den mit Helm und Stirnlampe ausgestatteten Besucher in eine Kaverne mit fahlem Licht. Tatsächlich.

Dunkle Landstraße

Hier stehen Autos, schön ordentlich schräg an der Wand entlang geparkt. Land Rover, G-Klasse-Geländewagen von Daimler, wie sie auch die Bundeswehr verwendet, Suzukis. Schönewolf bittet den staunenden Besucher auf den Beifahrersitz eines reichlich verstaubten silbergrauen Allrad-Mitsubishi. Er legt den Automatikschalthebel auf D, schon geht es hinein in die Katakomben des Kali-Bergwerkes Werra.

Der Gast fühlt sich in dem Stollen wie auf einer dunklen Landstraße, auf der auch noch die Mittelstreifen fehlen. Verkehrsschilder mahnen Tempo 50 an. Nur selten kommt ein Auto entgegen. PKW-Scheinwerfer wirken hier wie Funzeln. Aber Schönewolf kennt hier jeden Winkel. Seit 30 Jahren ist er in diesem Bergwerk. Schon sein Vater hat hier nach Salz geschürft. Nach fünf Kilometern Fahrt über Pisten, ist das erste Ziel erreicht: eine Staubwolke.

Wie ein fauchender Drache dröhnt ein tonnenschwerer Lader auf den Mitsubishi zu. Das Monstrum ist so breit und so hoch wie der ganze Stollen, die riesige fünf Meter breite Schaufel vorne ist gefüllt mit gelbweißem Gestein. Polternd kippt die Schaufel ihre Last auf ein Fließband. Das bröselige Gestein verschwindet in einer lärmenden Brechanlage und wandert zerkleinert in einen finsteren Tunnel. Nur Sekunden später setzt das lärmende 300 PS-Ungetüm zurück, um eilig die nächsten 17 Tonnen Salzgestein herbeizuschaffen.

Im hessischen Bergwerk Werra nahe dem 4000-Einwohner-Ort Philippsthal, wo die thüringische Grenze nicht weit ist, und heute noch die Reste von Mauer und Stacheldraht zu sehen sind, fördert der Rohstoffkonzern K + S Salz zumeist normales Kochsalz, das auf dem Weltmarkt nicht viel wert ist.

Doch darin steckt auch Kali, ein begehrter Stoff, der als Dünger für die Landwirtschaft dient. Da der Weltmarktpreis für den gesuchten Dünger in den vergangenen drei Jahren in die Höhe schoss, ist der kaum bekannte Rohstoffkonzern mit Firmensitz in Kassel im September des vergangenen Jahres in den Dax gekommen.

Der Kursverlauf von K + S hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Zockerpapieren der Internet-Blase. Auch der Kali-Kurs stürzte wieder massiv ab. Manche behaupten, K + S sei nur wegen dieser Spekulation in den Dax gekommen. "Wie die Jungfrau zum Kinde", schrieb eine Zeitung. Am Donnerstag nächster Woche legt K + S seine Bilanz für 2008 vor. Der Umsatz ist um 60 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro gestiegen. Der Gewinn hat sich sogar auf 1,4 Milliarden vervierfacht. Nicht schlecht für ein Krisenjahr, das Geschäfte und Gewinne anderer Unternehmen in den Keller rauschen ließ.

Klassische Branchen im Vordergrund

Waren im wichtigsten Index der deutschen Börse früher Großkonzerne und Hochtechnologieunternehmen tonangebend, so schieben sich nach mehr als einem Jahr Finanzkrise wieder klassische Branchen in den Vordergrund. Etwa dieses Bergwerksunternehmen mit 12.000 Mitarbeitern, das als Repräsentant der Uralt-Economy durchgehen könnte.

K + S steht für Bescheidenheit. Das Unternehmen gehörte bis Ende der neunziger Jahre dem Chemiekonzern BASF. Selbst als sie verkauft und im M-Dax gelandet waren, machten die Kalischürfer kaum Schlagzeilen. In der neuen Zentrale am Kasseler Bahnhof Wilhelmshöhe könnte auch das örtliche Ordnungsamt seinen Sitz haben.

Der Vorstandsvorsitzende Norbert Steiner, 54, kann aus seinem asymmetrischen Eckbüro die imposante Herkulesstatue über der Stadt sehen. In erster Linie aber ist sein Blick von den wenig attraktiven Bahngleisen bestimmt.

Den als Pragmatiker bekannten Manager, der seit knapp zwei Jahren an der Spitze von K + S steht, stört diese Nüchternheit nicht. Der Aufstieg von K+S in den Dax scheint ihn sogar überrascht zu haben. Am Boden bleiben, sagt der Jurist aus dem Siegerland, ist sein Motto: "Wir sind an der Börse mehr wert als die Lufthansa, aber deswegen heben wir nicht ab." Steiner und sein Vorgänger Ralf Bethke, der den Aufsichtsrat führt, genießen bei den Aktionären hohes Ansehen als solide Manager.

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Name wirkt peinlich

Das eigentliche Revier von K + S ist die Provinz. Im Harz, in der Röhn, in den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Thüringen liegen die Kali-Schächte. Und die Kunden sind die Bauern dieser Welt. Allerdings leistete sich das Management vor zehn Jahren einen Ausflug in die große Welt der Moderne. Dem Vorstand war der altertümlich wirkende Name "Kali und Salz AG" peinlich geworden.

Als sich andere Firmen mit Phantasienamen wie Eon oder Infineon schmückten, nannten die Kasseler ihr Unternehmen in "K plus S" um. Der Effekt war gering. Wer am Bahnhof Wilhelmshöhe nach der K+S-Zentrale fragt, stößt auf Ratlosigkeit. Die Frage nach Kali und Salz dagegen führt sofort zur korrekten Auskunft. In der schlichten Zentrale arbeiten etwa 400 Mitarbeitern, hier residiert einer der vier größten Kali-Anbieter der Welt.

"Achtung, starkes Gefälle", sagt das Verkehrsschild unter Tage. Thomas Schönewolfs Mitsubishi neigt sich nach vorne und folgt einer abschüssigen Piste. Gerade erst hatte der chauffierende Grubenbetriebsführer noch zufrieden darüber referiert, dass die Kali-Vorräte hier noch 40 Jahre reichen. Doch jetzt muss er einräumen, dass die Folgen der Weltwirtschaftskrise auch in der Grube Werra angekommen sind. Die Nachfrage nach Kali stockt und in manchem Stollen hier unten herrscht Kurzarbeit. "Mit ein paar Wochen Verzögerung bekommen wir den Rückgang zu spüren."

Gibt es vielleicht doch eine Blase im Kali-Geschäft, die bald platzt und die schönen Zahlen von K + S wieder eintrübt, ja vielleicht sogar dem Dasein im Dax ein Ende setzt? Die Weltmarktpreise für den Rohstoff haben sich allein in den zurückliegenden beiden Jahren verfünffacht. Davor war der Preisverlauf über viele Jahre eher gemächlich gestiegen. Wird die Kurve nach dem überhitzten Anstieg ebenso übereilt wieder nach unten gehen, ähnlich wie beim Rohöl?

"Derzeit gibt es gar keinen Markt", sagt ein Manager in der Unternehmenszentrale. Das kling unheimlich. Alle großen Abnehmer wie China oder Russland, die den Dünger sonst güterzugweise abrufen, warten ab. Verkauft wird praktisch nichts. Das ist eine neue Erfahrung. In normalen Jahren flattern um diese Jahrszeit die Orders nur so ins Haus. Die Landwirtschaft braucht ihren Dünger im Frühjahr. Danach nützt er nichts mehr. Daher herrscht am Kasseler Bahnhof jetzt Ruhe. Wohin geht Nachfrage? Was passiert mit den Preisen?

Nur im Dunkel der Grube ist von Unsicherheit oder Pessimismus nichts zu spüren. Thomas Schönewolf macht sich keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz und auch nicht um den seines Sohnes, der auch schon im Bergwerk Werra arbeitet: als Mechaniker für eines der 500 Autos unter Tage. Die Zahl der Menschen auf der Welt wachse jedes Jahr, sagte der erfahrene Bergmann auf der Rückfahrt. Die brauchten Nahrung und Dünger: "Deshalb ist Kali immer knapp".

© SZ vom 07.03.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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