Süddeutsche Zeitung

Aktien:Der Dax ist eine Fehlkonstruktion

Der wichtigste deutsche Aktienindex ist einer der schlechtesten, die es auf der Welt gibt: Anleger werden von ihm in die Irre geführt.

Kommentar von Harald Freiberger

Endlich gibt es Grund zum Jubeln. Der Deutsche Aktienindex (Dax) hat es nach zwei Jahren und mehreren Anläufen geschafft, seinen Rekordstand zu übertreffen. An der Börse herrscht Champagnerlaune, hieß es früher bei solchen Gelegenheiten. Diesmal aber bleibt es merkwürdig ruhig, man sieht niemanden feiern. Eher herrscht Nachdenklichkeit und Ernüchterung, wie nach einer flauen Champagnerparty.

Dafür gibt es mehrere Gründe, die in die bittere Erkenntnis münden, dass der Dax einer der schlechtesten Aktienindizes ist, die es auf der Welt gibt. Vor einigen Jahren noch war das nicht weiter schlimm, weil der Dax lange Zeit keine große Relevanz hatte. Er war ein Index, der mehr oder weniger gut darüber Aufschluss gab, wie sich die großen deutschen Unternehmen an der Börse entwickeln. Mit dem Erstarken von börsengehandelten Indexfonds (ETF), die einen Index nachbilden und auf die immer mehr Anleger für ihre Altersvorsorge setzen, kommt dem Dax mehr zu als eine Informationsfunktion. Es geht jetzt für viele Menschen ans Eingemachte, nämlich um das eigene Geld. Deshalb kann es ihnen nicht mehr egal sein, wenn sich der Dax schlecht entwickelt. Es ist Zeit, etwas Besseres zu finden für Anleger, die in die deutsche Wirtschaft investieren wollen.

Früher diente der Dax nur der Information, doch jetzt geht es für Anleger ums eigene Geld

Da ist zunächst die reine Wertentwicklung. Andere Indizes, besonders in den USA, haben ihre Rekordstände schon vor Monaten erreicht. Der Dax liegt weit im Hintertreffen. Richtig bitter wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass in den Dax, anders als bei anderen Indizes, auch noch die Dividenden einfließen. Rechnet man diese heraus, liegt das deutsche Börsenbarometer noch viel weiter hinter anderen zurück und auch noch deutlich unter seinem Rekordstand. Das heißt: Wer seine Altersvorsorge auf einem Dax-ETF aufbaut, und viele Bundesbürger tun das, ist schlecht beraten.

Es gibt äußere Gründe, warum der Dax so viel schlechter dasteht als US-Indizes wie der S&P 500. Die US-Wirtschaft lief in den vergangenen Jahren besser, die US-Börse wird dominiert von sehr erfolgreichen Technologie-Konzernen wie Facebook und Amazon, die es so in Deutschland einfach nicht gibt. Doch zu einem guten Teil liegt das schlechte Abschneiden des Dax auch an einem inneren Grund: Der Index ist schlecht konstruiert. Mit nur 30 Mitgliedern spiegelt er die Breite und Stärke der deutschen Wirtschaft nicht wider. Auffällig ist, dass sich der M-Dax, der die 60 nächstgroßen deutschen Aktiengesellschaften zusammenfasst, viel besser entwickelte und seinen Rekordstand längst erreicht hat; häufig wird er schon "der bessere Dax" genannt.

Der Dax ist anfällig, wenn einzelne große Unternehmen in die Krise geraten, so wie es in den vergangenen Jahren bei der Deutschen Bank, bei VW oder Bayer der Fall war. Ihr einbrechender Kurs hat den Index nach unten gezogen, weil einzelne Aktien stärkeres Gewicht haben als in einem breiter gefassten Index, wie es der S&P 500 ist. Die Amerikaner haben daraus schon vor Jahrzehnten ihre Lehren gezogen und dem historisch gewachsenen Dow-Jones-Index, der auch nur 30 Aktien widerspiegelt, den S&P 500 hinzugefügt. Er ist der Index, auf den in den USA heute alle blicken. Der Dow Jones hat eigentlich nur noch anekdotische Bedeutung, wenn es darum geht, die Entwicklung des US-Aktienmarkts über einen sehr langen Zeitraum aufzuzeigen. Auf dem ETF-Markt in den USA spielt er praktisch keine Rolle.

Auch in Deutschland ist es längst an der Zeit, ein breiter gefasstes Börsenbarometer zum Leitindex zu machen. Eine Möglichkeit wäre es, auf Dax, M-Dax und S-Dax auszudehnen, der weitere 70 Unternehmen umfasst. Ein solcher Index bestünde aus 160 einzelnen Aktien. Es wäre für Anleger, die in ihrem Depot auf die deutsche Wirtschaft setzen wollen, ein zuverlässigeres Instrument als der Dax, den Vermögensverwalter, Bankberater und Verbraucherschützer nicht mehr ernsthaft empfehlen können, wenn Anleger ihr Investment breit streuen wollen. Darum gerät der Dax immer stärker ins Hintertreffen gegenüber großen, weltweit orientierten Indizes wie dem MSCI World.

Die Deutsche Börse äußert sich vorsichtig zu solchen Reformgedanken. Klar ist: Den Dax zu ersetzen ist keineswegs trivial, es hätte weitreichende Folgen für die Akteure auf den Kapitalmärkten. Aber es ist nötig. Auch die Politik sollte sich damit befassen: Es geht nicht mehr nur wie früher um ein Spielzeug weniger für Spekulanten an der Börse. Es geht darum, Privatleuten ein Instrument an die Hand zu geben, auf das sie ruhigen Gewissens ihre Altersvorsorge aufbauen können.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2020/hgn
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