Datenschutz:Was Facebook wirklich weiß

FILE PHOTO: The Facebook logo is reflected on a woman's glasses in this photo illustration

Was wird geklickt, wie lange schauen Nutzer wohin? Wer sich online bewegt, hinterlässt Spuren, und die sind für Werbetreibende interessant.<QM>

(Foto: Regis Duvignau/Reuters)

Die Nutzer können die vom Netzwerk gespeicherten Daten einsehen, doch was heißt das genau? Ein Selbstversuch.

Von Simon Hurtz

Für Facebook bestehen Menschen aus Daten. 472 Megabyte sind es beim Autor dieses Textes, verteilt auf 2362 Dateien in 752 Ordnern. So groß war sein persönliches Archiv, das Facebook-Nutzer herunterladen können. Angeblich enthält es alles, was Facebook über seine Mitglieder weiß. Tatsächlich sind diese 472 Megabyte aber nur ein kleiner Ausschnitt der Informationen, die das Unternehmen gespeichert hat: Facebook überwacht Nutzer umfassender, als es das Archiv suggeriert.

Die Datensammlung besteht aus zwei Teilen: "Deine Informationen" und "Informationen über Dich". Der erste Abschnitt enthält alle Beiträge, Likes, Fotos und privaten Nachrichten. Facebook kennt alle Freunde und weiß auch, welche Freundschaftsanfragen gelöscht wurden. Jede Information, mit der Nutzer Facebook jemals gefüttert haben, taucht dort auf. Im zweiten Abschnitt offenbart Facebook, welches Bild es sich von Nutzern macht. Man erfährt, in welche Werbezielgruppen man fällt und wofür man sich angeblich interessiere. Facebook wisse mehr über seine Mitglieder als deren engste Freunde, heißt es oft. Das Archiv wirkt eher wie die Einschätzung eines losen Bekannten: Die Zuordnung ist vage und teils fehlerhaft.

Selbst wer gar kein Konto besitzt, landet auf Servern des Konzerns

Doch dieser Eindruck trügt, Facebook sammelt viel mehr Informationen. Selbst Mark Zuckerberg kommt dabei manchmal durcheinander. Bei einer Anhörung vor dem US-Kongress fragte ein Abgeordneter, ob es möglich sei, alle Informationen herunterzuladen, die Facebook über ihn gespeichert habe, inklusive der Webseiten, die er besucht habe. Diese Option gebe es seit Jahren, antwortete der Facebook-Chef. In einer Pause besprach er sich mit seinen Mitarbeitern und korrigierte seine ursprüngliche Aussage. Demnach seien die besuchten Webseiten kein Bestandteil des Archivs und könnten nicht heruntergeladen werden. Angeblich würden sie nur temporär gespeichert.

Selbst wenn man dieser Beteuerung glaubt, ist Zuckerbergs Äußerung alarmierend: Entweder lügt der Facebook-Chef und versucht, die Öffentlichkeit zu täuschen, bis er merkt, dass ihm das auf die Füße fallen wird. Oder er hat den Überblick verloren, welche Informationen Nutzer herunterladen und kontrollieren können. Wenn über Facebook und Datenschutz diskutiert wird, gerät einiges durcheinander. Facebook verkauft nicht Daten, sondern Aufmerksamkeit. Nicht die Nutzer sind das Produkt, sondern die Zeit, die diese auf Facebook verbringen. Bei Google ist es genauso: Böten diese Unternehmen tatsächlich Nutzerdaten zum Kauf an, wären sie schlagartig wertlos. Der Datenschatz ist das wichtigste Kapital von Facebook und Google. Niemals würden sie ihn freiwillig Dritten überlassen.

Persönlich sind Nutzer für Facebook irrelevant. Es geht nur darum, sie in fein abgestufte Zielgruppen für Werbetreibende einzuordnen, damit Kunden passende Anzeigen schalten können. Dafür sammelt Facebook Informationen, ohne dass Nutzer es merken. Mit seinen Like-Buttons hat Facebook das Netz verwanzt. Jede Webseite, die diese Schaltfläche oder andere Facebook-Elemente einbindet, übermittelt Informationen: Facebook erfährt, wer diese Webseite besucht. Ob Nutzer bei Facebook angemeldet sind oder nicht, spielt keine Rolle. Selbst wer gar kein Konto besitzt, landet auf Facebooks Servern. Der Verlauf der aufgerufenen Webseiten verrät oft mehr über die Persönlichkeit als Beiträge und Fotos, die man freiwillig teilt.

Noch genauer beobachtet Facebook das Verhalten der Nutzer, wenn sie durch ihren Newsfeed scrollen, sei es in der App oder auf der Website. Wie lange betrachten sie ein Foto, das sie schließlich doch nicht liken? Wie lange verharrt der Cursor über einem Link, selbst wenn sie ihn gar nicht anklicken? Wann scrollen sie schnell, wann scrollen sie langsam? Welche Artikel öffnen sie nur kurz, um direkt im Anschluss wieder zu Facebook zurückzukehren? Wie viel Zeit verbringen sie auf Nachrichtenseiten, die sie über Facebook aufgerufen haben? Das sind nur einige der öffentlich bekannten Kriterien, die Facebook verwendet, um Nutzern personalisierte Inhalte anzuzeigen. Hinzu kommen etwa Verbindungsgeschwindigkeit, verbleibende Akkulaufzeit, installierte Apps und die Namen der auf dem Smartphone gespeicherten Dateien. Wie das die Algorithmen beeinflusst, die Inhalte für den Newsfeed auswählen, ist nicht bekannt.

Klar ist nur: Je mehr Zeit Nutzer auf Facebook verbringen, desto mehr Werbung kann Facebook einblenden, desto mehr Geld verdient Facebook. Das Geschäftsmodell beruht darauf, dass die Inhalte im Newsfeed relevant sind. Dementsprechend versucht Facebook, möglichst viel über die Interessen seiner Nutzer herauszufinden. Dazu zapft Facebook alle möglichen Quellen an. Man arbeite "mit einer auserlesenen Gruppe externer Datenanbieter zusammen", schreibt Facebook. Dazu zählen Dienstleister wie Acxiom, Datalogix, Epsilon, Experian und Quantium, die ihrerseits online und offline Daten zusammentragen. 2013 schrieb die Zeit: "So kann man bei Acxiom beispielsweise eine Liste mit allen Latinos kaufen, die Linkshänder sind und über 40 000 Dollar im Jahr verdienen." Das Unternehmen besaß zu dem Zeitpunkt im Durchschnitt mehr als 1500 Datenpunkte zu fast jedem US-Amerikaner und 44 Millionen Deutschen.

Wer sich um seine Privatsphäre sorgt, darf nicht nur Facebook betrachten. Firmen wie Acxiom legen riesige Datensammlungen an und vermarkten diese. Amazon-Bestellungen lassen detaillierte Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu. Twitter-Nutzer befüllen einer Studie zufolge "144 obskure Datenfelder" und können allein anhand der Metadaten identifiziert werden. Google ist vielleicht nicht böse, aber einer der größten privaten Datensammler der Welt - von Geheimdiensten wie der NSA erst gar nicht zu reden. All das ist kein Grund zur Panik. Der einzelne Nutzer ist für Unternehmen und Staaten eher uninteressant. Aber wer sich online bewegt, sollte sich über eines im Klaren sein: Der berühmte Satz, dass "niemand im Internet weiß, dass Sie ein Hund sind", gilt schon lange nicht mehr. Spuren hinterlässt man immer.

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