Datenschutz:Mithörer bei Skype

Overhead view of woman with headphones using laptop at desk model released Symbolfoto property relea

Wer mit einer Maschine interagiert, sollte sich fragen: Könnte es sein, dass irgendwo ein Mensch zuhause sitzt und erfährt, was ich sage oder suche?

(Foto: imago)

Auch Microsoft verschweigt den Nutzern, dass Gespräche bei Skype mitgeschnitten werden.

Von Simon Hurtz, Berlin

Amazon tut es. Apple tat es. Google tat es. Wer fehlt? Microsoft. Und offenbar lässt auch das vierte große Tech-Unternehmen Sprachaufnahmen von menschlichen Mitarbeitern abhören. Im Gegensatz zu Alexa, Siri und Google geht es aber nicht nur um Sprachassistenten, sondern auch um ein Programm, das Hunderte Millionen Menschen für berufliche und private Telefonate nutzen: Skype.

Wer seine Sprach- und Videoanrufe mit dem Skype Translator übersetzen lässt, muss einem Bericht von Vice zufolge damit rechnen, dass nicht nur die Gesprächspartner, sondern noch mehr Menschen zuhören. Microsoft selbst spricht von einem "maschinellen Lernprozess". Im Hilfebereich heißt es nur, dass "automatische Transkripte analysiert werden". Dass diese Aufgabe offenbar von Menschen erledigt wird, geht aus Microsofts Erklärung nicht hervor. Auch in der Datenschutzerklärung steht kein Wort darüber.

Mitarbeiter des Softwarekonzerns schnitten im Home-Office allerlei Intimes mit

Die Vorwürfe basieren auf internen Unterlagen, Screenshots und Audio-Mitschnitten, die eine anonyme Quelle Vice zugespielt hat. Der Whistleblower arbeitet bei einem externen Dienstleister von Microsoft, wo er die Aufnahmen abhört und analysiert. Schon die Tatsache, dass er oder sie die Dokumente an Vice weitergeben könne, zeige, wie fahrlässig Microsoft handle und welch geringe Rolle Datenschutz dort spiele, sagte die Quelle demnach. Ein Teil der Angestellten soll die Aufnahmen nicht einmal in einer geschützten Büroumgebung, sondern von zu Hause aus bearbeiten. Aus den Unterlagen gehe auch hervor, dass Microsoft Mitarbeiter beschäftigt, die Aufnahmen der Sprachassistentin Cortana abhören und transkribieren.

In den vergangenen Monaten hatten mehrere Medien aufgedeckt, dass "künstliche" Intelligenz überraschend oft menschliche Ohren hat: Nach heftiger Kritik stellten Apple und Google die Praxis vorerst ein. Amazon gibt Nutzern zumindest eine Möglichkeit, die manuelle Auswertung zu deaktivieren.

Als die SZ Microsoft im Juli fragte, ob und in welchem Umfang Menschen bei Cortana mithören, antwortete das Unternehmen zwei Wochen lang nicht. Als Vice im April wissen wollte, wie viele Menschen Cortanas Aufzeichnungen hören können, sagte eine Sprecherin nur: "Microsoft weiß zu keinem Zeitpunkt, wer Fragen an Cortana gestellt hat." Auf eine aktuelle SZ-Anfrage sagte Microsoft nun, dass es die Daten anonymisiere und von Vertragspartnern eine Geheimhaltungsvereinbarung verlange. Zudem müssten diese externen Dienstleister hohe Datenschutzstandards einhalten. Microsoft mache die "Nutzung von Sprachdaten transparent, um sicherzustellen, dass unsere Kunden informierte Entscheidungen darüber treffen können, wann und wie ihre Sprachdaten verwendet werden". Das Unternehmen hole sich die Zustimmung ein, bevor es Sprachdaten sammle und nutze. Wie Nutzer eine informierte Entscheidung treffen sollen, wenn sie nicht wissen, dass Menschen ihre Telefonate abhören, erklärte Microsoft nicht.

Wie die vergangenen Enthüllungen zu den Aufnahmen von Alexa, Siri und Google enthält auch der Bericht von Vice Zitate von Mitarbeitern, die beim ersten Lesen schockieren: "Einige der Dinge, die ich gehört habe, können eindeutig als Telefonsex beschrieben werden", sagt eine Quelle. "Ich habe gehört, wie Menschen ihre vollständigen Adressen verraten oder Cortana nach Pornografie suchen lassen." Auch Mitarbeiter von Amazon, Apple und Google hatten von Berufsgeheimnissen, intimen Szenen und sogar von einer Vergewaltigung erzählt, die sie zu Ohren bekommen hätten, weil Sprachassistenten versehentlich aktiviert worden seien.

Der Skandal aber liegt nicht darin, dass überhaupt Menschen zuhören, um Software zu verbessern - sondern in der Tatsache, dass das jahrelang verheimlicht und verharmlost wurde. Nicht einmal Apple, das sonst bei jeder Gelegenheit beteuert, wie wichtig Transparenz und Datenschutz seien, hatte Nutzer eindeutig darauf hingewiesen, dass ein Teil der Aufnahmen von Menschen analysiert wird.

Nutzer können aus den jüngsten Enthüllungen lernen: "Künstliche Intelligenz", "Algorithmen" und "maschinelles Lernen" sind keine Magie. Dahinter stecken nicht nur menschliche Entwickler, die jene Technik konstruieren, sondern oft auch menschliche Kontrolleure, die mit den erfassten Inhalten arbeiten.

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