Datenaffären:Wenn der Chef Spione schickt

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Die Lehre aus den Datenskandalen: Deutschland muss Arbeitnehmer stärker schützen.

Herta Däubler-Gmelin

Seit Monaten nun gibt es Berichte über den skandalösen Umgang renommierter Unternehmen mit Daten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Immer mehr kommt ans Tageslicht - gerade auch über Unternehmen mit Weltgeltung, denen man solche Verhaltensweisen nicht zugetraut hätte. Da werden systematisch Telefondaten überwacht, um festzustellen, wer mit wem wann und wie lange gesprochen hat.

Heimliche Überwachung: Die Datenaffären bei Bahn und Telekom machen deutlich, dass die Rechte und Daten der Arbeitnehmer stärker geschützt werden müssen. (Foto: Foto: istock)

Da werden Mails auf Absender, Empfänger und öffentliche Kritiker gefiltert oder gleich vollständige Inhalte ausspioniert. Da werden PCs mit elektronischen Spionen mitgelesen und Festplatten ahnungsloser Mitarbeiter kopiert, da werden Krankendaten missbraucht und das Privatleben von Arbeitnehmern ausgespäht.

Dass dabei Strafgesetze und Betriebsvereinbarungen gebrochen, im Grundgesetz garantierte Persönlichkeits- und Mitbestimmungsrechte verletzt sowie Datenschutzbeauftragte an die Seite gedrängt werden, ist in solchen Unternehmen offensichtlich zweitrangig.

"Gläserne Belegschaften"

Der Zweck ist klar: Mehr Kontrolle soll her, Kontakte zwischen Mitarbeitern und einer möglicherweise kritischen Öffentlichkeit sollen unterbunden werden. Die Zentrale will alles wissen und alles steuern, um, bei Unbotmäßigkeit, Arbeitnehmer zu disziplinieren oder zu entlassen und kritische Experten und Journalisten mundtot machen.

Das Ziel sind "gläserne Belegschaften" und eine handzahme Öffentlichkeit. Das ist nicht akzeptabel - der Schutz von vertraulichen Interna ist berechtigt, die Methoden indes sind es nicht.

Damit nicht genug: Auch Konten von Mitarbeitern werden ausgespäht, angeblich um Korruption vorzubeugen. Mittlerweile geht bei Banken die nervöse Frage um, wie solch geschützte Kundendaten überhaupt abgezogen werden konnten - schließlich gibt es ja nur zwei Wege, und beide sind illegal: Entweder wurden Bankmitarbeiter bestochen oder Spione installiert.

Anstiftung zu Straftaten

Bekannt geworden ist auch, dass es für diese illegale Ermittlung solcher Daten mittlerweile Spezialisten gibt, die man gegen viel Geld anheuern kann. Das haben Unternehmen getan, obwohl das im Zweifel der Anstiftung zu Straftaten gleichkommt.

Die Verfassung, Gesetze, Mitbestimmungsrechte, der Schutz der Persönlichkeit und der Daten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - alle diese geschützten Rechte sind ganz offensichtlich auch im Jahr des 60. Geburtstags der Bundesrepublik in manchen Unternehmen immer noch Fremdwörter (oder: schon wieder, vielleicht verführt durch die neuen technischen Möglichkeiten).

Wir waren schon mal weiter. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht dem Schutz der persönlichen Daten längst den Rang eines Grundrechts eingeräumt. Es verteidigt ihn auch mit Zähnen und Klauen, wenn wieder mal ein Gesetz im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus zu weit geht. Diese Auseinandersetzung ist ganz offensichtlich noch lange nicht zu Ende.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was sich an der Unternehmenskultur ändern muss - und warum der Gesetzgeber in der Pflicht ist, etwas zu tun.

Eine Ursache dieser Missachtung von Persönlichkeitsrechten ist sicher auch, dass die Gegner des Datenschutzes und des Grundrechts der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung in den vergangenen Jahren immer dreister den Datenschutz als überzogen, als Investitionshemmnis, sogar als schädlich dargestellt haben. Wer kennt sie nicht, die Verleumdung: "Datenschutz ist Täterschutz"?

Herta Däubler-Gmelin ist ehemalige Bundesjustizministerin und klärte als Sonderermittlerin die Datenaffäre bei der Bahn auf. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt haben wir das Ergebnis. Das Bewusstsein, welcher Schaden damit einhergeht, wurde zurückgedrängt. Dabei ist es doch offensichtlich, dass Totalkontrolle und Bespitzelung die Menschen zu Duckmäusern macht, die ihre Rechte nicht wahrnehmen, die keinen aufrechten Gang riskieren und den Mund nicht aufmachen.

Man mag es nicht glauben, aber man stößt bisweilen in Unternehmen immer noch auf die Auffassung, genau das könne zum Unternehmenserfolg beitragen; wichtig sei doch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter funktionierten.

Respekt vor der Persönlichkeit

Solchen Auffassungen muss entgegengehalten werden, dass unsere Verfassungs- und Rechtsordnung nicht an Werkstor und Bürotür endet. Und es sollten die vielen Studien zur Manager-Pflichtlektüre erklärt werden, die klar zeigen: Motivation und Identifizierung der Mitarbeiter mit dem Unternehmen entscheiden über dessen Erfolg.

Dafür braucht es jedoch eine Unternehmenskultur, die den Respekt vor der Persönlichkeit und den Rechten gerade auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennt und ernst nimmt.

Wir haben Datenschutz - und Telekommunikationsgesetze. Sie müssen im Hinblick auf den Schutz zum Beispiel von Kunden- und Verbraucherdaten erweitert werden. Besonders wichtig und längst überfällig ist jedoch ein Gesetz zum Arbeitnehmerdatenschutz.

Bespitzelung verbieten

Es muss mindestens die Bespitzelung am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld verbieten, notwendige Kontrollen an klare Voraussetzungen, Verfahren und Bestimmungen binden, die jeweils durch Tarifvertrag beziehungsweise Betriebsvereinbarung festgelegt sind und die die Verwendung der Ergebnisse regeln.

Es ist mehr als ärgerlich, dass die große Koalition vor den Wahlen zwar für viel Unnötiges Zeit und Arbeitskapazitäten findet, aber nicht für das Gesetz über den Arbeitnehmerdatenschutz. Trotz der immer neuen Skandale, trotz des Umstands, dass wahrscheinlich nur die wenigsten bisher bekannt geworden sind. Dabei gibt es hervorragende Vorschläge aus Wissenschaft und Praxis, es gibt ausformulierte Forderungen von Datenschutzbeauftragten und Gewerkschaften.

Druck von Lobbyisten

Einige der Verantwortlichen werden doch wohl nicht unter dem Druck von Lobbyisten stehen und deshalb meinen, mit der Zeit würden auch diese Skandale durch den Mantel des Vergessens zugedeckt. Das wäre ein Irrtum.

Erfreulich ist nämlich, dass gerade die skandalgebeutelten Unternehmen unter dem Einfluss ihrer Betriebs- und Aufsichtsräte daran gehen, ihre Betriebsvereinbarungen zu verbessern und damit dem Gesetzgeber zu zeigen, was unternommen werden muss, wenn man nicht Duckmäuser, sondern Mitarbeiter will und braucht.

Dieser Weg ist richtig. Er kann dazu führen, dass auf die Skandalmeldungen endlich auch wieder gute Nachrichten aus diesen Unternehmen folgen werden. Ihr Vorbild ist zugleich eine Aufforderung an Lidl, Deutsche Bank, EADS, Siemens und all die anderen Unternehmen, deren Verhaltensweise noch nicht öffentlich geworden sind, dem Beispiel zu folgen. Vor allem aber muss der Gesetzgeber endlich Flagge zeigen.

© SZ vom 17.06.2009/kaf/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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